"Vergessen, dass": Theaterstück über Demenz feiert Premiere in Braunschweig
Am Freitag feiert in Braunschweig "Vergessen, dass" Uraufführung. Regisseur und Autor Jan Neumann hat das Stück über Demenz gemeinsam mit dem Ensemble für das Staatstheater Braunschweig entwickelt.
Herr Neumann, wie sind Sie zu dem Thema Demenz gekommen?
Jan Neumann: Die jetzige Schauspieldirektorin des Staatstheaters Braunschweig Ursula Thinnes hatte mich eingeladen, gemeinsam eine sogenannte Stückentwicklung in Frankfurt zu machen, als sie noch Dramaturgin in Frankfurt am Main war. Aus dieser gemeinsamen, sehr schönen Arbeitserfahrung heraus schlug sie mir vor, nach Braunschweig zu kommen und eine Stückentwicklung zum Thema Demenz und Vergessen zu machen. Das fand ich sehr reizvoll und bin dieser Einladung gerne gefolgt.
Hat sie dieses Thema schon länger beschäftigt?
Neumann: Mich beschäftigt das Thema des Erinnerns und des Vergessens eigentlich immer und durchgängig. Es gibt ja manchmal Urthemen, um die man immer wieder kreist. Ich habe schon mehrere Arbeiten zum Thema Erinnerung gemacht, in Weimar am Deutschen Nationaltheater oder in Stuttgart. Da ging es darum, wie sich Erinnerungs- oder Gedächtnisstrukturen in einer Stadtstruktur abbilden. Was ist kollektives Erinnern? Und was ist in dem Fall dieses spezielle Vergessen in Form einer Demenzerkrankung?
Vor so einer Theaterproduktion steht eine lange Recherchephase. Wie sah diese aus?
Neumann: Im Vorfeld, bevor es den Stücktext oder irgendwelche Rollen gibt, entsteht schon ein Bühnenraum. Ich führe zunächst Gespräche mit der Dramaturgin Ursula Thinnes und dem Dramaturgen Volker Bürger sowie mit der Bühnenbildnerin Dorothee Curio. Wir tauschen uns aus, man liest verschiedenes, führt erste Gespräche, in dem Fall auch mit Betroffenen. Und dann treffen wir auf die Schauspieler und Schauspielerinnen und haben auch verschiedene Expert*innen eingeladen. Wir haben mit Damen vom Sozialdienst gesprochen, wir waren im Pflegeheimen, speziell in einem Pflegeheim für Demenzerkrankte. Wir haben mit Angehörigen von den Menschen, die an Demenz erkrankt sind, gesprochen. Wir haben viel gelesen, recherchiert und dann improvisiert.
Gab es für Sie Aha-Momente?
Neumann: Auf jeden Fall. Es geht ja dann darum, das, was man gesammelt hat, und die Begegnungen mit den Menschen aus der Realität gemeinsam mit dem mit den Schauspielerinnen in eine fiktive Geschichte umzuwandeln. Für mich ist es was, wenn ich ehrlich bin. Mich hat das sehr berührt, zu erleben, dass wir alle am Ende in einem System landen, das nicht an jeder Ecke rundläuft. Dass man dort auf Menschen trifft, die teilweise unglaublich engagiert sind, unglaublich liebevoll mit den alten Menschen umgehen - das hat mich zutiefst berührt.
Gleichzeitig war es auch die Beschäftigung mit dem eigenen Älterwerden - da sind 20, 30 Jahre wirklich nicht viel. Ich habe das Gefühl, dass wir in unserer Gesellschaft zu wenig darüber sprechen und uns zu wenig damit zu beschäftigen, obwohl uns das alle in irgendeiner Form erwartet.
In Ihrem Stück erkrankt ein Vater an Demenz - eine Erfahrung, die viele Menschen mit ihren engsten Angehörigen machen. Das tut weh, zu sehen, wie jemand, den man liebt, plötzlich vergisst und einen Teil seiner Identität verliert, so scheint es. Konnten Sie in Ihrem Stück der Thematik ein bisschen die Schärfe nehmen?
Neumann: Wir haben mit sehr vielen verschiedenen Menschen gesprochen, sowohl mit Menschen, die an Demenz erkrankt sind, aber noch in einem Stadium sind, wo sie über ihre eigene Erkrankung sprechen können, als auch mit Menschen, die ihre Angehörigen pflegen, die an Demenz erkrankt sind. Auffällig war, dass es sehr unterschiedliche Haltungen gibt. Sehr berührend sind immer die Fälle, wo es Menschen gelingt, die Demenzerkrankung ihres Liebsten oder ihrer Liebsten anzunehmen, genauso wie Menschen, die selber die Erkrankung haben und das annehmen als etwas, was gegeben ist, um damit dann umgehen zu können.
Das ist eigentlich das, was bei uns in der Arbeit dazu geführt hat, dass es ein sehr versöhnlicher Abend wird, der mit sehr viel Situationskomik in dieser tragischen Grundsituation arbeitet. Dass es bei all dem Schrecken auch sehr viele schöne Momente gibt, viel Heiterkeit, viel Lebenswertes. Ich finde es ganz wichtig, dass es eine positive Botschaft gibt. Eigentlich ist es eine Katastrophe und wir gucken in unserem Stück Menschen zu, die versuchen, mit dieser Katastrophe umzugehen. Das ist bisweilen sehr hochtourig, sehr komisch, weil es eigentlich eine Komödie der Verzweiflung geworden ist.
Das Gespräch führte Eva Schramm.
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