Das Opernhaus in Odessa © picture alliance / Photoshot

Ukrainisches Kulturgut: Mutwillige Zerstörung oder Kollateralschaden?

Stand: 24.03.2022 16:49 Uhr

Der ukrainische Kunstwissenschaftler Konstantin Akinsha erfasst in seinem Online-Blog, welche Museen in der Ukraine bereits evakuiert worden sind, welche zerstört wurden, welche historischen Gebäude beschädigt oder in Gefahr sind.

Herr Akinsha, ist das mutwillige Zerstörung durch die russischen Soldaten? Oder ist es das, was man "Kollateralschäden" nennt?

Konstantin Akinsha: Man kann hier nicht von Kollateralschäden sprechen. Dieser Begriff passt für mich nicht zur Kunst, Architektur und Kulturgütern, auch wenn die Zerstörung nicht mutwillig geschieht. Ich glaube nicht, dass diese Aktionen zu den Zielen der russischen Armee gehören. Die Militäraktion in der Ukraine ist so chaotisch und barbarisch, dass die Kulturgüter einfach automatisch zu Opfern der Militärschläge werden. Stellen Sie sich die Resultate der Bombardierungen vor: Sie bombardieren Städte mit ein bis drei Millionen Einwohnern flächendeckend. Hier geht es nicht um präzise Schläge - hier werden Bomben genutzt von bis zu einer halben Tonne. Was hier passiert, ist fürchterlich. Zusätzlich hören wir von chaotischen Plünderungen durch russische Soldaten. Hier geht es nicht um Sicherung von Kunst - Soldaten laufen in die Museen und nehmen mit, was sie können. Wir sehen also Chaos, aber dieses Chaos ist keine Entschuldigung. Wir erleben eine Situation, wie wir sie seit 1945 nicht erlebt haben. Gerade erst mussten wir erleben, wie das Museum in Mariupol komplett zerstört wurde. Andere Museen folgen. Die Situation ist entsetzlich.

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Was kann man überhaupt noch tun, um ukrainische Kulturgüter zu retten?

Akinsha: Das einzige, was man wirklich tun kann, ist, Russland zu stoppen. Die Situation ist tragisch. Die Ukrainer haben den großen Fehler gemacht, nicht vor dem Krieg Museen zu evakuieren. Ich kann das nachvollziehen - die Regierung wollte jede Panik im Land unbedingt vermeiden. Sie werden sich erinnern, wie Wolodymyr Selenskyj die Amerikaner für ihre düsteren Prognosen kritisiert hat. Nun wurden wenige Museen evakuiert. Niemand, auch ich nicht, hätte sich einen Krieg von dieser Tragweite und eine solche Barbarei vorstellen können.

Sie bemühen sich, die Zerstörung zu dokumentieren. Woher bekommen Sie Ihre Informationen und wie vertrauenswürdig sind diese Informationen?

Akinsha: Ich kann nur einen kleinen Teil der Zerstörung erfassen, und ich hoffe, dass in der Ukraine noch mehr getan wird. Ich untersuche die Bilder auf den Nachrichtenkanälen genau. Aber über allem liegt der Nebel des Krieges, und man muss mit jeder Information, die man bekommt, sehr vorsichtig sein. Aber man kann abstrahieren, was kommt. Und nun sind Kunstgegenstände, ist die Architektur der Stadt Tschernihiw in Gefahr: mittelalterliche Kirchen, ein großes Kunstmuseum mit einer wichtigen Sammlung, westeuropäisch, ukrainisch und russisch. Hier gibt es keine Stromversorgung und konstante Bombardierung. Man muss kein Experte sein, um zu erkennen, was hier passiert. Man konnte das auch vor der Zerstörung des Museums in Mariupol wissen.

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Haben Sie Helfer in der Ukraine vor Ort?

Akinsha: Ich hatte Kontakt zu einem Fotografen in Charkiw, der die Zerstörung seiner Stadt genau dokumentieren wird. Er geht ein hohes Risiko ein. Er fotografiert während laufender Bombardements. Gerade versuche ich, eine Schutzweste und einen Helm für ihn zu finden, was nicht leicht ist. Er nimmt erschütternde Bilder auf. Ich hoffe, dass es gelingt, möglichst viel von der Zerstörung zu dokumentieren.

Sie wurden selbst in Kiew geboren. Was hören Sie über die Lage in der Hauptstadt?

Akinsha: Soweit wir diesen Krieg verfolgen können, halten die Ukrainer die Stadt Kiew. Das russische Militär versucht immer wieder, die Stadt zu umzingeln und zu attackieren. Ich kann Ihnen nicht sagen, was passieren wird, wenn das gelingt. Die Stadt ist auch die kulturelle Hauptstadt der Ukraine. Es gibt diverse wichtige Kulturdenkmäler auf der Webseite des UNESCO Weltkulturerbes: die Sophienkathedrale oder das Höhlenkloster von Kiew. Dazu eine unendliche Zahl an Baudenkmälern und über 30 Museen. Viele von ihnen wurden nicht komplett evakuiert. Die Museumsmitarbeiter leben in den Kellern der Museen. Sie schlafen auf den Kisten mit Kunstwerken, einfach, damit sie immer in der Nähe sind. Es muss nur eine Rakete, die das ukrainische Präsidialamt treffen soll, fehlgehen - sie würde das ukrainische Nationalmuseum treffen.

Das Interview führte Mischa Kreiskott.

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Dieses Thema im Programm:

NDR Kultur | Klassisch unterwegs | 24.03.2022 | 14:20 Uhr

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