"In den Wolken": Iris Berben über den Film "Triangle of Sadness"
Im Film "Triangle of Sadness" geht Iris Berben auf eine dekadente Luxus-Kreuzfahrt - und erleidet Schiffbruch. Im richtigen Leben läuft es besser denn je für sie.
Es sind nur drei Worte, die Iris Berben in Ruben Östlunds Cannes-Gewinner "Triangle of Sadness" von sich gibt: "In den Wolken". Sie spricht diesen Halbsatz in verschiedener Tonlage - freundlich, ungeduldig, aufgeregt, verzweifelt. Ihre Figur, die an den Rollstuhl gebunden ist, kann sich nicht mehr anders verständigen. Ein Schlaganfall hat ihr Sprachzentrum lahmgelegt.
Dreh mit Ruben Östlund: "Mit der kleinsten Szene einen Tag beschäftigt"
Ein Dreh ohne Dialogtext: Fährt da eine Profi-Schauspielerin wie Iris Berben mal eben hin und improvisiert? "Bei Ruben Östlund dreht man in einer solchen Intensität, wie ich sie in meinen 52 Jahren Film noch nicht erlebt habe. Insofern konnte ich da nicht 'mal eben hingehen'!", schildert sie die Zusammenarbeit mit dem schwedischen Regisseur. "Da ist man mit der kleinsten Szene einen Tag beschäftigt, weil er sie in den unterschiedlichsten Variationen von einem abverlangt. Und das kann bis zu 50 und 70 Mal sein. Das ist ein ganz anderes Arbeiten, als ich das gewohnt war."
Iris Berben liebt Herausforderungen und die unterschiedliche Arbeitsweise von Regisseuren und Regisseurinnen findet sie spannend. "Jeder hat eine andere Temperatur", sagt sie lachend. "Der eine ist schnell, der andere griesgrämig, der eine brüllt, der andere ist ein extrem ruhiger Beobachter."
Erste Kurzfilme an der Hamburger Kunsthochschule
Iris Berben hat viele Temperamente von Regisseuren und Regisseurinnen erlebt. Mit 17 war sie bei ersten Kurzfilm-Drehs an der Hamburger Kunsthochschule dabei war. 1950 geboren in Detmold, aufgewachsen in Hamburg, hat sie der Schule zu dem Zeitpunkt ohne Abitur schon den Rücken gekehrt. Das einengende Klima an Nonnen-geführten Mädchen-Internaten war nichts für sie. Drei Mal fliegt sie aus solchen Lernanstalten. Aber warum? "Das ist nicht der Rede wert" winkt Berben ab. "Das sind die 60er-Jahre gewesen, die kann man wirklich nicht mit heute vergleichen. Das war ein ganz anderes Korsett. Heute wären das Nichtigkeiten."
Im Film-Geschäft stehen der jungen Iris Berben dafür alle Türen offen. 1968 zieht sie von Hamburg nach München, dreht hier einen Edgar Wallace-Krimi, da einen Italo-Western, schließlich bevorzugt Fernseh-Comedies wie "Zwei himmlische Töchter" und Serien wie "Das Erbe der Guldenburgs". Ab Mitte der 90er-Jahre ist sie in einer ZDF-Krimi-Reihe 31 Folgen lang "Rosa Roth".
Iris Berben: "Komödie ist die Königsklasse"
Iris Berben ist da schon nicht mehr wegzudenken aus dem deutschen Fernsehen - und eine der wenigen, die parallel auch als Kino-Star gefeiert wird. Sie hat den nötigen Glamour für rote Teppiche, die gebotene Ernsthaftigkeit für Dramen und das richtige Timing für Komödien. Letztlich die schwerste aller Disziplinen: "Komödie ist - im Gegensatz zu dem, was viele glauben - immer noch die Königsklasse", findet Berben. "Ein altes, von mir auch wirklich erlebtes und gelebtes Sprichwort sagt: Du kannst die Zuschauer sehr viel leichter zum Weinen bringen als zum Lachen. Die Mechanismen sind sehr viel leichter."
"Der Nachname": Weiterer Film mit Iris Berben kommt am 20. Oktober ins Kino
Mit Sönke Wortmann hat Iris Berben 2018 "Der Vorname" gedreht. In dem wird darüber gestritten, ob man sein Kind heute noch oder wieder Adolf nennen dürfe. In der Fortsetzung "Der Nachname", die am 20. Oktober ins Kino kommt, findet ein Familientreffen im Ferienhaus auf Lanzarote statt, wo erneut irrwitzige Konflikte ausgetragen werden. Was ihr daran gefällt: "Hier kann man gesellschaftspolitische Themen auf komödiantische Weise abhandeln. Sie verlieren aber nicht ihre Seriosität."
"Triangle of Sadness": Macht und Umkehrung von Macht
Thematisch ist "Der Nachname" allerdings ein Leichtgewicht. Wenn man den Film mit "Triangle of Sadness" vergleicht. Eine politische interessierte und engagierte Frau wie Iris Berben muss zwangsläufig ins Schwärmen geraten, wenn sie die Vielzahl der relevanten Themen aufzählt, um die Ruben Östlund in seiner beißenden Satire auf die Welt der Schönen und Reichen kreist. "Er legt den Finger in die Wunde. Er stellt die Frage, ob wir nicht am Ende des Kapitalismus angelangt sind", sagt Berben. "Es geht um Macht und Umkehrung von Macht, Gleichbehandlung der Geschlechter, Schönheit als Währung. Unendlich viele große Themen, die uns alle gerade berühren, verhandelt dieser Film. Aber er gibt keine Antworten. Und das ist das Kluge daran."
Iris Berbens Sorge vor dem Rechtspopulismus
Diejenigen, die einfache Antworten geben, machen Iris Berben derzeit mehr Sorgen. Rechtspopulisten, die von einer aggressiven regierungs- oder gar demokratiefeindlichen Stimmung profitieren und die Spaltung der Gesellschaft vorantreiben. "Es macht mich traurig, es macht mich auch wütend. Es darf uns nicht sprachlos machen. Wenn man sprachlos ist, sind die anderen lauter." Jeder sei gerade sehr herausgefordert - durch Corona und den Krieg in der Ukraine. "Es kommt im Moment alles zusammen - das überfordert viele Menschen, weil sie Angst haben und, sich oft allein gelassen fühlen", schildert Berben. "Menschenfänger versprechen ihnen einfache Antworten - die gibt es aber nicht. Die Welt ist so komplex, dass wir es nur miteinander schaffen können, nicht gegeneinander."
Standing Ovations in Cannes
Es liegt sehr viel Leidenschaft in Berbens Gestik und Stimme bei diesem Thema. Und man hat den Eindruck, dass sie sich privat unter Normalsterblichen auf der Elbfähre wohler fühlt als mit Oligarchen an Deck einer Luxus-Yacht. Den Ausflug nach Cannes und die Standing Ovations nach der Premiere von "Triangle of Sadness" hat sie doch sehr genossen: "Ich kenne Cannes gut und bin fast jedes Jahr da. Aber wenn man dann selber im Hauptprogramm ist und über 2.000 Menschen den gesamten Film über mitgehen, wenn sie lachen, schluchzen, weinen, sich erschrecken, Szenenapplaus geben, dann weiß man, da hat jemand wirklich etwas ganz richtig gemacht", sagt Berben. "Das war ein triumphaler, wunderwunderschöner, warmer Moment in meinen über 50 Jahren Film."