Theaterformen 2021: Anna Mülters neue kuratorische Handschrift
Das abwechselnd in Braunschweig und Hannover stattfindende Festival Theaterformen steht für experimentelles Theater aus aller Welt, partizipative Projekte vor Ort und Arbeiten im öffentlichen Raum.
Anna Mülter besucht online das "Festival Santiago a Mil" in Chile. "Almagesto" ist eine der Produktionen, die dieser Tage dort gezeigt werden: Drei Frauen unterschiedlicher Herkunft liegen, zum Stern geformt, zwischen Felsformationen irgendwo im Hochland Chiles. Himmelskörper sollen sie beschützen, bis sie ihre wahre Liebe finden.
Um sich einen Überblick über die südamerikanische Szene zu verschaffen, ist das Digitale dieser Tage hilfreich. Als künstlerisches Mittel des Theaters muss es sich noch entwickeln, sagt die studierte Literatur- und Theaterwissenschaftlerin:
"Ich habe viele Sachen gesehen, die zum Beispiel auf dem Handy stattfanden und Kanäle wie Telegram oder Instagram benutzt haben, die in sich wieder vielfältige Möglichkeiten bieten mit kurzen Videos, mit Links, Chats und Sprachnachrichten. Und da sehe ich auch schon ein großes Potential und das ist dann etwas, wo Theater anknüpfen kann, weil sich da auch wieder Gemeinschaft - zumindest virtuell - ein Stück weit herstellen kann."
Nicht nur im Digitalen mehr Zugänglichkeit schaffen
Sich auf das Miteinander zu beziehen, alle in der Gesellschaft zu erreichen, ist der 43-Jährigen wichtig. Bevor sie in ihre Heimatstadt Hannover zurückkam, hat sie die Tanztage Berlin geleitet und war mitverantwortlich für das Tanzprogramm der freien Spielstätte Sophiensæle.
Dort hat sie sich dafür eingesetzt, dass blinde und sehbehinderte Menschen über akustische Bildbeschreibungen Zugang zum Tanz bekommen. In Hannover will sie diesen Weg fortsetzen: Die Internetseite der Theaterformen wird derzeit neu gestaltet. Auch, damit sie für Menschen mit Einschränkungen gut nutzbar ist. In einem Theaterstück zum Thema Klimagerechtigkeit soll es um den Stadtraum Hannover und seine unterschiedlichen Menschen gehen:
"Ich finde, dass in Deutschland der Diskurs zum Thema Nachhaltigkeit sehr stark von einer weißen, nicht behinderten Mittelklasse dominiert ist", sagt Anna Mülter. "Und wir wollen ganz besonders da marginalisierte Perspektiven ins Zentrum stellen. Das heißt, ich lade eine ganze Menge Künstler:innen mit Behinderung, schwarze Künstler:innen, indigene Künstler:innen ein, die an einem prominenten Ort in der Stadt Projekte umsetzen, und lade aber auch ganz viele Initiativen dazu ein, mitzumachen. Und das ist im weiteren Feld zu sehen, im Zusammenhang mit: Wie können wir Theater zugänglicher machen?"
Die Begegnung zwischen Publikum und Darstellenden barrierefreier machen
Zugänglichkeit - auch ganz konkret verstanden als Barrierefreiheit der Orte, an denen die Theaterformen stattfinden. Denn die Begegnung zwischen Publikum und den Darstellerinnen und Darstellern in realiter sei fürs Theater unabdingbar. So plant Anna Mülter das am 8. Juli beginnende, zehntägige Theaterfestival erst einmal für konkrete Orte in Hannover und hofft, dass sie nicht ins Digitale ausweichen muss. Dabei sind auch Arbeiten, die sich im Tanz verorten, spannend.
"Gerade in meiner Arbeit zuletzt an den Sophiensælen hatten die Künstler:innen auch viel mehr Interesse daran, auch mit Text zu arbeiten oder auch mit Theaterillusionen, die man sonst eher im Theater, nicht im Tanz verortet", erzählt Anna Mülter. "Gleichzeitig sehe ich auch im Theater performative Formen stärker werden und dass zum Teil interdisziplinäre Projekte stattfinden, wo mehr mit Bewegung gearbeitet wird. Die Künste sind da immer im Fluss und das macht es auch aus."
Es ist eine neue kuratorische Handschrift, das Interesse am experimentellen, ortsspezifisch verankerten Theater mit gesellschaftspolitischem Fokus wird aber weiter geführt. Die Präsentation von Theaterformen aus aller Welt auch.
