Zwei Polizeibeamte stehen zwischen zwei Einsatzfahrzeugen der Polizei. © picture alliance/dpa Foto: Philipp von Ditfurth

Racial Profiling: "Das ist ein Riesenproblem"

Stand: 29.08.2022 15:57 Uhr

Auf dem Weg von Hamburg zum SHMF wurde ein Künstler-Konvoi angehalten. "Porgy and Bess"-Hauptdarsteller Morris Robinson wirft nun dem Zoll Racial Profiling vor.

Ein Gespräch mit dem Journalisten Stephan Anpalagan, der häufig über Gesellschaftsthemen mit dem Schwerpunkt Rassismus schreibt.

Herr Anpalagan, Sie sind asiatischer Herkunft. Ihre Eltern sind Tamilen. Sie selbst kennen das Gefühl, öfter als andere kontrolliert zu werden. Wie fühlt sich das an?

Stephan Anpalagan: Jede Form von Diskriminierung ist eine Form von Entwürdigung und Herabsetzung. Das ist im Prinzip auch eine Form von Entmenschlichung, von Entgrenzung. Und dass das von Sicherheitsbehörden, von staatlichen Akteuren immer noch ein Thema ist in Deutschland, ist in höchstem Maße bedauerlich.

Sie schreiben, es gebe praktisch keine Möglichkeit, sich dagegen zu wehren. Wie geht man also damit um? Wie verhalte ich mich, wenn ich zum Beispiel aufgrund meines fremdländischen Aussehens ohne konkreten Anlass kontrolliert werde und die Polizei mich vielleicht noch auf Englisch fragt: "Do you speak german?"

Anpalagan: Das Problem ist ja schon das "fremdländische Aussehen". Wie sehen denn Menschen aus, die nicht deutsch sind oder die ausländisch aussehen? Das ist also nicht eine Frage der Fremdenfeindlichkeit, sondern das ist ein klar rassistisches Problem. Nicht-weiße Menschen werden aufgrund ihrer Hautfarbe vermehrt von der Polizei kontrolliert - das ist ein Riesenproblem.

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Was man tun kann? Man muss - es bleibt gar keine andere Wahl - ruhig bleiben. Man sollte Zeugen herbeirufen. Man sollte versuchen, den gesamten Vorfall zu dokumentieren, per Video, per Audio. Man sollte versuchen, Informationen zu erlangen über die handelnden Ermittlungsbeamten und anschließend das Ganze einem Anwalt vorlegen. Man sollte sich an die Antidiskriminierungsstelle des Bundes wenden und versuchen, dort Unterstützung zu erfahren. Aber grundsätzlich ist das alles sehr mühsam, sehr schwierig. Wer eine Anzeige gegen Polizeibeamte stellt, wird recht schnell damit konfrontiert, dass es eine Gegenanzeige gibt wegen Widerstands gegen Vollzugsbeamte. Und dieser Gegenanzeige wird häufig stattgegeben. Man wird ganz häufig auch verurteilt, wohingegen die eigene Anzeige gegenüber den Polizeibeamten fallengelassen wird. Das ist ein ganz großes System-Problem, das wir in Deutschland haben.

Im Fall des Schleswig-Holstein-Musikfestivals schildert jemand einen Fall, die Gegenseite dementiert. Wie geht man mit diesem zurückbleibenden unguten Gefühl um, das nicht widerlegbar ist?

Anpalagan: In dem Fall, den Sie schildern, müssen wir vorsichtig sein. Wir haben keine genaueren Einblicke. Aber es kann durchaus sein, dass der Zoll seine Arbeit gemacht hat. Nach dem, was man dort hört, ging es darum, dass der Zoll bestimmte Fahrzeugtypen aus dem Verkehr gezogen hat: Lkw, Kraftfahrzeuge von Gewerbetreibenden, Minivans. So etwas ist natürlich in keinem Fall verwerflich. Wenn man sich allerdings dann noch die Berichte der Zeuginnen und Zeugen anhört, die sagen, dass sie das Gefühl hatten, in besonderem Maße wegen ihrer Hautfarbe kontrolliert worden zu sein und auch die Kontrolle selbst sehr darauf zielte, dass sie Fremde oder nicht aus Deutschland waren, dann haben wir einen Fall von Rassismus in der Polizeiinteraktion.

Das Thema Racial Profiling sei immer noch ein vernachlässigtes Thema und grundsätzlich ein Problem hierzulande, sagen Sie. Wo liegen die besonderen Tücken und Fallstricke?

Anpalagan: Die Tücken und Fallstricke liegen unter anderem in sogenannten kriminalistischen Erfahrungen der Polizeibeamten. Wir haben Polizeigesetze, wir haben Strafgesetze, wir haben die Strafprozessordnung - aber darüberhinaus gibt es auch eine Art von Organisationssystem, das sich auf die sogenannte kriminalistische Erfahrung der Polizeibeamten aufbaut. Das heißt, es gibt eine Art von Erfahrungswissen, was von Generation zu Generation weitergegeben wird. Dieses Erfahrungswissen ist ein großes Problem. Wenn sie nämlich vorrangig Schwarze kontrollieren und sie bei fünf von 100 Schwarzen Drogen finden, dann kann es sein, dass sie ihren Nachfolgern oder ihren Anwärterinnen sagen: "Siehste, da lohnt es sich, genauer hinzuschauen." Aber das wiederum hat hauptsächlich damit zu tun, dass ich in eine gewisse Richtung hineinblicke und dort Funde mache, die ich nicht mache, wenn ich woanders hinschauen würde. Dieses Erfahrungswissen, das an sich auch schon aus rassistischen Motiven speist, wenn es beispielsweise um den Umgang mit Sinti und Roma geht, ist ein Problem. Das wissen auch die Zuständigen der Polizei. Da würde es sich lohnen, in der Polizeiausbildung, der Polizeiweiterbildung und in der Polizeiarbeit verschärft draufzuschauen.

Das Gespräch führte Philipp Cavert.

Dieses Thema im Programm:

NDR Kultur | Journal | 29.08.2022 | 16:15 Uhr

Der Arm einer Frau bedient einen Laptop, der auf einem Tisch in einem Garten steht, während die andere Hand einen Becher hält. © picture alliance / Westend61 | Svetlana Karner

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