Gewinner oder Verlierer? Männer im Wandel der Gesellschaft
Jahrhundertelang galten Männer als das starke Geschlecht. Doch diese Zeiten sind vorbei. Wie wird Männlichkeit in der heutigen Gesellschaft definiert?
"Ich muss alle Männer enttäuschen: Das Patriarchat ist ein Auslaufmodell", sagt Martin Speer. Der Aktivist engagiert sich für Feminismus und ist deutscher Botschafter der UN-Kampagne HeForShe, die sich weltweit für Geschlechtergerechtigkeit einsetzt. Speer beobachtet die aktuellen Diskussionen in unserer Gesellschaft - von MeToo, Frauenquote, Gleichstellung bis zur Debatte um die toxische Männlichkeit.

"Bei meinem eigenen Aufwachsen habe ich gemerkt, wie viel toxische und destruktive Männlichkeitsbilder ich von meinem Umfeld automatisch übernommen hatte", schildert der Aktivist. "Ich habe irgendwann gemerkt, dass mir das nicht guttut und dass es den Männern in meinem Umfeld nicht guttut, wenn sie immer die harten Kerle sein müssen."
Auch Männer profitieren vom gesellschaftlichen Wandel
Jahrhundertelang galten Männer als das starke Geschlecht, dominierten als "Herren der Schöpfung" in Beruf, Politik und Familie. Doch diese Zeiten sind vorbei. Männer nehmen ganz selbstverständlich Elternzeit und leben in Beziehungen auf Augenhöhe. Martin Speer sieht darin eine Chance: "Entweder ich passe mich als Mann an den Wandel an und sehe die Chance darin für ein gesünderes, ein glücklicheres, eigentlich auch für ein erfolgreicheres Leben. Oder ich verweigere mich dem Wandel. Aber der Wandel wird sich nicht aufhalten lassen."

Der Psychologe und Psychotherapeut Michael Klein hingegen sieht die Männer in der aktuellen Debatte in der Defensive. Er befürchtet, dass sie bereits jetzt benachteiligt werden, vor allem durch den Feminismus: "Ich will sagen, dass die feministische Sicht im Regelfall die Situation von Männern nicht fair berücksichtigt, sondern einseitig. Das ist auch naheliegend, wenn ich Feministin bin, dass ich erstmal meine Sichtweise und meine Interessen habe."
Klein beschäftigt sich mit psychischer Männergesundheit und betreibt die Internetseite Men’s Mental Health. Darin schreibt er nicht nur über aktuelle Themen wie Gendersprache oder Vaterschaft, er blickt auf seiner Seite auch auf die Historie des Patriachats zurück: "Die meisten Männer in der Geschichte der Menschheit waren auf der Seite der Opfer. Und das sollte auch in der aktuellen Geschlechterdebatte Anlass zu Vorsicht gegenüber pauschalierten Sichtweisen und schnellen Schlussfolgerungen sein."
"Toxische Männlichkeit": Minderheitenphänomen oder strukturelles Problem?
In den Medien werden Männer heute oft einseitig und zu oft als toxisch dargestellt, kritisiert Klein. Männer, die gewalttätig sind, die Frauen verachten, seien nur eine kleine Minderheit. Martin Speer dagegen sieht eine reale Gefahr durch die sogenannte toxische Männlichkeit: "Wenn wir uns auf Schulhöfen umhören, wenn wir in den sozialen Netzwerken uns umschauen, da ist noch viel wirklich toxische Männlichkeit unterwegs", schildert Speer. "Viel Abwertung von Frauen, viele Muster sind noch sehr präsent."
Bildungssystem verstärkt klassische Rollenbilder
Entscheidend für eine Gesellschaft, in der Männer und Frauen wirklich gleichberechtigt sind, ist die Bildung. "Wir sprechen schon von einer internationalen Boy-Crisis - das heißt, dass die Jungen im Bildungssystem - meistens unbewusst - benachteiligt werden", sagt Michael Klein. Es fehlten männliche Vorbilder für die Schüler, denn über 80 Prozent des Lehrerpersonals seien Frauen: "Da kann es sein, dass ein Junge vom Kindergarten bis zur Mittleren Reife oder bis zum Abitur keine einzige männliche Bezugsperson hatte."
Auch Speer wünscht sich, dass das erzieherische Umfeld diverser wird, denn es kommt schon im Kindergarten darauf an, welche Rollenbilder vermittelt werden. Für ihn geht es um ein lebenslanges Lernen in Sachen Geschlechtergerechtigkeit: "Ich würde mir wünschen, dass wir in Schulen, in Familien, in Unternehmen Räume haben, die dabei helfen, sich kritischer mit der eigenen Rolle und mit dem eigenen Geschlecht auseinanderzusetzen."
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