Tote Korallen aus der Nähe. © Screenshot

Konferenz in Bremen: Wie können Korallen gerettet werden?

Stand: 05.07.2022 14:40 Uhr

Mehr als 1.000 Forschende aus etwa 90 Ländern suchen in dieser Woche bei der 15. Weltkorallenriff-Konferenz in Bremen nach Lösungen zur Rettung von Korallen. Ein Gespräch mit der Meeresbiologin Antje Boetius.

Frau Boetius, Korallen sind nicht nur deswegen schützenswert, weil sie Hobbytauchern tolle Fotomotive liefern. Welche Rolle spielen diese Tiere in unserem Ökosystem?

Antje Boetius: Die Korallen gehören zu den ältesten Tieren auf der Erde, und sie sind gleichzeitig ein essenzielles Habitat für viele Meereslebewesen und auch für den Menschen, der in der Nähe der Korallenriffe lebt. Ein Drittel aller Meereslebewesen hat irgendwann mal etwas mit Korallenriffen zu tun: Sie brüten dort, sie treffen sich, sie verstecken sich, sie ziehen ihre Jungen auf, sie fressen daran. Auch der Mensch profitiert von Korallenriffen: Sie bieten Schutz gegen Wellenschlag, man kann dort fischen, der Tourismus läuft, wenn das Korallenriff gesund ist. Korallen sind essenziell für das Leben auf der Erde.

Auf der Konferenz in Bremen konnte man erfahren, dass allein in den vergangenen zehn Jahren fast 15 Prozent der Riffe abgestorben sind und nur noch 20 Prozent in einem verhältnismäßig guten Zustand sind. Sollte sich die Erde um zwei Grad erwärmen, würden diese Riffe gänzlich verloren gehen - es soll aber Möglichkeiten geben, den Korallenriffen zu helfen. Welche sind das?

Boetius: Die Daten sind verheerend. Der Ozean wird zu heiß für Korallen. Deswegen sind 90 Prozent des Great Barrier Reefs, der größten biogenen Struktur der Meere, in diesem Jahr schon erbleicht. Natürlich fragt man sich, was man tun kann. Wie kann man dem globalen Problem Klimawandel, der Versauerung und Erwärmung der Meere durch zu viel CO2 in der Atmosphäre, begegnen? Da kommt alles auf den Tisch, was wir nutzen können, um Korallenriffe zu retten, etwa lokaler Schutz oder Wiederherstellungsmaßnahmen.

Superkorallen, die hitzeresistent sein sollen, ist so ein Stichwort. Was hat es mit denen auf sich? Was können die?

Boetius: Das ist sehr spannend. Es gibt auf der Erde tatsächlich Korallenarten und zum Teil Individuen, die hohe Temperaturen ertragen können, zum Beispiel im Roten Meer. Eine Idee ist, diese genau zu verstehen. Diese Korallen haben eine evolutive Anpassung an die Wärme durchgemacht, und wenn wir wüssten, welche Gene das sind, könnte man die vielleicht transportieren oder die Korallen umsiedeln, sodass sie künftig die Strukturen bilden, die jetzt zerstört werden. Wenn man aber weiß, wie riesig und alt die Korallenriffe sind, müssen wir uns fragen, ob wir Menschen wirklich im Meer Korallenriffe im ausreichenden Maße wiederherstellen können. Forschung ist auf der einen Seite wichtig, um alles auf den Tisch zu bringen, was wir tun könnten - aber wir wissen nicht, ob es wirklich gelingt. Da scheint mir ausreichender Klimaschutz eine viel logischere Maßnahme zu sein.

Bundesumweltministerin Lemke hat gesagt, sie erwarte aus der Wissenschaft klare Forderungen an die Politik, damit diese verbindliche Beschlüsse zu Schutzmaßnahmen fassen könne. Heute wird ein Papier mit Forderungen an die internationale Politik verabschiedet. Was versprechen Sie sich davon?

Boetius: Zuletzt haben wir auch über die Akademien, die am G7- und G20-Prozess beteiligt waren, solche Forderungen aufgestellt. Das noch mal ganz spezifisch für die Korallenriffe zu tun, macht durchaus Sinn. Zusammengenommen kommt aber das Gleiche heraus: Klimaschutz ist Meeresschutz. Wir müssen global agieren, um die CO2-Emissionen dringend zu verringern. Langfristig müssen wir aus der Kohle raus, sonst haben die Korallen keine Chance.

Wir können aber noch mehr zu tun. Lokal kann viel getan werden: weniger Fischerei, weniger Verschmutzung, weniger Veränderungen durch Tourismus. All das hilft schon ein Stück weiter. Dafür muss es auch finanzielle Unterstützung geben für die Ärmsten der Armen, die oft vom Handangeln oder Tauchen an Korallenriffen leben. Wir müssen alle Bereiche der Erde so aufstellen, dass Menschen von Korallenriffen auf gesunde und nachhaltige Weise leben können. Diese Forderungen werden dabei sein und noch viele mehr - auch hinschauen, messen, forschen.

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Es gibt ja auch Kaltwasserkorallen - gibt es auch welche in Nord- und Ostsee?

Boetius: Wir finden immer wieder neue Kaltwasserkorallenriffe an den unglaublichsten Plätzen. Wir haben bei meinen letzten Expeditionen bis zum Nordpol hin unglaubliche Riffe mit Korallen drauf gefunden. Die sind gut versteckt, da gibt es keine Fischerei. Die Europäische Union hat Tiefseefischerei jenseits von 600 Metern eingeschränkt, sodass die Kaltwasserkorallen, die vor der globalen Zerstörung durch Fischerei standen, jetzt etwas besser geschützt sind.

Die Riffe in Nord- und Ostsee sind klassisch gebildet durch Austern, durch Muscheln, durch verschiedene Formen von Lebewesen, kalzifizierende Algen zum Beispiel. Sie sind keine klassischen Korallenriffe, aber sie sind durchaus Riffe, die ähnliche Funktionen haben. Hier müssen wir uns mit dem Thema beschäftigen, wie wir Riffe in die Nordsee zurückkriegen, und kann da vielleicht am Ende sogar der Windpark helfen.

Darf man eigentlich guten Gewissens Korallenschmuck tragen?

Boetius: Es gibt verschiedene Hinweise, die man beachten muss. Es gibt antiken Schmuck, da ist die Koralle tot. Manche tragen Korallen-Ketten als Zeichen, dass wir etwas tun müssen. Die Frage ist, was heute noch produziert wird. Man kann oft im Urlaub ganz billig Korallenketten kaufen, und da muss man fragen, was das ist, wo das her kommt. Sind es die natürlich am Meer angewaschenen Reste oder wird dort geerntet? Das pauschal zu beantworten, finde ich nicht richtig - man muss nachfragen, hinhören und hinschauen.

Das Interview führte Philipp Cavert.

Dieses Thema im Programm:

NDR Kultur | Journal | 05.07.2022 | 16:15 Uhr

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