Friederike Schubert © Kerstin Schomburg Foto: Kerstin Schomburg

Kein trockener Gesetzestext: Das Grundgesetz als Musikkonzert

Stand: 23.05.2022 16:51 Uhr

Seit 2019 arbeitet Friederike Schubert als Dramaturgin und Regisseurin am Schauspiel Hannover. Eine ihrer Inszenierungen in der Spielzeit 2020/21 hieß "Grundgesetz - in Concert". Ein Interview.

Frau Schubert wie kamen Sie auf die Idee, das Grundgesetz musikalisch umzusetzen?

Friederike Schubert: Die Idee kam mir beim Unterrichten. Wir haben uns mit Studierenden der Hochschule in Salzburg über utopische Theaterformen unterhalten. Wir haben viel darüber gesprochen, wie demokratische Verfahren funktionieren können, und dabei ist mir aufgefallen, dass vielen der Studierenden gar nicht so richtig bewusst war, dass Demokratie nach Regeln funktioniert und nicht, dass das die Regierung der Mehrheit ist. Das hat mich nicht losgelassen und deswegen habe ich lange darüber nachgedacht, wie man einem jungen Publikum die Regeln, auf denen unsere Demokratie beruht, näher bringen kann. Ich komme aus einer Musiktheaterfamilie, und alle, die Musik hören, wissen, dass Musik einen nochmal anders berührt als nur das gesprochene Wort. Deswegen war das für mich naheliegend, dass ich damit gerne musikalisch arbeiten möchte, damit das nicht nur ein trockener Gesetzestext bleibt oder eine Idee, sondern dass das auch spürbar und erlebbar für die Zuschauer wird.

Weitere Informationen
Konrad Adenauer unterzeichnet das Grundgesetz am 8. Mai 1949 © dpa/picture-alliance

Grundgesetz: Wie Deutschland seine Verfassung bekam

Am 23. Mai 1949 wurde das Grundgesetz der Bundesrepublik verkündet. Weltweit orientierten sich Staaten an der deutschen Verfassung. mehr

Welche Themen, welche Artikel des Grundgesetzes haben Sie da besonders inspiriert?

Schubert: Meine wunderbare Dramaturgin Anna Rietschel hat mir ganz viele tolle Artikel über das Grundgesetz zusammengestellt, mit Ausschnitten aus dem Grundgesetz. Vor allen Dingen die journalistisch aufgearbeiteten Artikel haben uns da sehr geholfen, weil sie schon Schlagworte liefern. Es gibt zum Beispiel ein tolles Jugendbuch, das sich mit Demokratie beschäftigt, und darin gibt es einen Teil, wo Politiker*innen gefragt worden sind, wie Demokratie funktioniert. Das war direkt ein Titel, den wir übernommen haben: Einen Song heißt "Wie geht Demokratie, Frau Weidel?". Das war so eine kleine Spitze in Richtung antidemokratischer Parteien.

Wir haben uns auch mit den Themen beschäftigt, die junge Leute sehr umtreiben, etwa Artikel 20a, dem Klima-Artikel. Es hat uns auch sehr beschäftigt, wie sich das Grundgesetz im Laufe der Jahre verändert hat: Gerade am Asylparagrafen lässt sich gut beobachten, dass da ein großer Eingriff passiert ist. Wie die Kolumnistin Mely Kiyak sagen würde: Das Grundgesetz ist beweglich. Wenn wir alle Demokratie wollen, dann ist das super. Und andernfalls wäre andernfalls.

Es hat uns auch interessiert, was bei uns in Deutschland legal und was illegal ist: Da machen wir die Spanne zwischen Kiffen im Park und dem Abschieben von Asyl-suchenden Personen.

Wie fielen denn die Reaktionen im Publikum aus?

Schubert: Die Reaktionen waren sehr positiv. Wir hatten das Glück und Unglück, dass wir zwar mit der Produktion in eine Corona-Pause zwischen zwei Lockdowns reingefallen sind und somit wie geplant produzieren konnten, aber im Herbst nur vor reduziertem Publikum spielen konnten. So ein Konzert verlangt natürlich, dass man in einem vollen Haus spielt, dass man mit dem Sitznachbarn oder der Sitznachbarin in Kontakt tritt, dass man sich mit dem Fußwippen gegenseitig ansteckt. Aber obwohl die Zuschauer jeweils mit einem Leerplatz saßen, hat man schon gemerkt, dass da etwas überspringt, dass das die Leute mitnimmt und zum Denken anregt, aber auch zum Mitschnippen oder Klatschen. Da war doch der eine oder andere Ohrwurm dabei.

Das Stück war empfohlen ab 14 Jahren - kamen auch viele Jugendliche?

Schubert: Weil die Schulen sehr zurückhaltend mit ihren Theaterbesuchen in den Jahren 2020 und 2021 waren, war es nicht so, wie wir uns das vorgestellt hatten, als wir das Stück vor der Pandemie konzipiert hatten. Da hatten wir uns natürlich erhofft, dass viele Lehrpersonen das als ein Zusatz zu ihrem Lehrplan sehen. Dieser Plan ist nicht so aufgegangen, aber ich glaube schon, dass die jungen Leute, die es gesehen haben, damit etwas anfangen konnten.

Glauben Sie grundsätzlich, dass es mehr kreative Initiativen zur Vermittlung politischer Bildung braucht?

Schubert: Ich glaube, dass das als Kulturschaffende unser Auftrag ist. Wir haben gerade in der Corona-Pandemie auch viel über Relevanz von Kultur diskutiert, und ich glaube, dass es unser Privileg ist, dass uns an staatlich geförderten Institutionen von der Gesellschaft Zeit geschenkt wird, uns mit gesellschaftlichen Themen auseinander zu setzen. Diese Zeit, die wir investieren, bringen wir dann auf die Bühne und regen hoffentlich zum Nachdenken oder auch zur Freude und zur Entspannung an. Ich glaube, dass es für Kunst- und Kulturschaffende ein wichtiger gesellschaftlicher Auftrag ist, unsere Gesellschaft zu reflektieren und Utopien zu entwerfen, damit wir diesen gesellschaftlichen Vertrag auch erfüllen.

Weitere Informationen
Prof. Dr. Hans Michael Heinig im Porträt © Georg-August-Universität Göttingen

Prof mit Playlist: Der Soundtrack zum Grundgesetz

Der Juraprofessor Hans Michael Heinig spielt seinen Studierenden Lieder vor, um den "emotionalen Raum" des Verfassungsrechts zu ergründen. mehr

Sie haben sich im Zuge dieser Inszenierung intensiv mit dem Grundgesetz auseinandergesetzt. Hat das etwas in Ihnen persönlich ausgelöst, dass Sie sich vielleicht noch stärker gesellschaftlich engagieren oder sich vielleicht noch bewusster sind, in welchem vergleichsweise luxuriösen Rechtsraum wir leben?

Schubert: Auf jeden Fall. Das war ja eine Utopie, die zu einer sehr dystopischen Zeit entstanden ist. Die Menschen hatten eigentlich allen Grund zu sagen: Lasst uns in Ruhe, ihr habt uns über Jahre verfolgt, ins Exil geschickt. Diese Menschen haben sich aber trotzdem zusammengesetzt und eine Utopie für eine Demokratie in Deutschland entworfen. Das hat mich in meiner Auseinandersetzung schon sehr beeindruckt und den Auftrag verstärkt, dass ich mich als kulturschaffende Person mit den Mitteln, die mir zur Verfügung stehen, da engagieren muss. Ich glaube, dass es unser Auftrag ist, im Sinne der Mütter und Väter des Grundgesetzes weiter zu arbeiten und zu gucken, was es da zu verteidigen gibt - und wo man auch Aktualisierung vornehmen und darauf aufmerksam machen kann.

Das Gespräch führte Eva Schramm.

Dieses Thema im Programm:

NDR Kultur | Journal | 23.05.2022 | 16:45 Uhr

Schlagwörter zu diesem Artikel

Theater

Der Arm einer Frau bedient einen Laptop, der auf einem Tisch in einem Garten steht, während die andere Hand einen Becher hält. © picture alliance / Westend61 | Svetlana Karner

Abonnieren Sie den NDR Kultur Newsletter

NDR Kultur informiert alle Kulturinteressierten mit einem E-Mail-Newsletter über herausragende Sendungen, Veranstaltungen und die Angebote der Kulturpartner. Melden Sie sich hier an! mehr

NDR Kultur App Bewerbung

Die NDR Kultur App - kostenlos im Store!

NDR Kultur können Sie jetzt immer bei sich haben - Livestream, exklusive Gewinnspiele und der direkte Draht ins Studio mit dem Messenger. mehr

Mann und Frau sitzen am Tisch und trinken Tee. © NDR Foto: Christian Spielmann

Tee mit Warum - Die Philosophie und wir

Bei einem Becher Tee philosophieren unsere Hosts über die großen Fragen. Denise M‘ Baye und Sebastian Friedrich diskutieren mit Philosophen und Menschen aus dem Alltag. mehr

Mehr Kultur

Drei Menschen stehen auf der Bühne der NDB Ahrensburg im Stück "De Siedenspringer". © NDR

Theaterfestival op Platt: Zehn Bühnen aus Schleswig-Holstein dabei

Von Flensburg bis Elmshorn, von Rendsburg bis Lübeck: Erstmals spielen alle Ensembles an ihren Heimatbühnen und nicht im Freilichmuseum Molfsee. mehr