Horst und Birgit Lohmeyer © picture alliance/dpa Foto: Axel Heimken

"Jamel rockt den Förster": 15. Ausgabe des Festivals gegen Hass

Stand: 12.08.2022 16:46 Uhr

Um auf die rechtsextreme Szene in ihrer Region aufmerksam zu machen, haben Birgit und Horst Lohmeyer vor 15 Jahren das Festival "Jamel rockt den Förster" auf die Beine gestellt. Am Freitag hat es begonnen - ein Gespräch.

Im Jahr 2004 zogen Birgit und Horst Lohmeyer von Hamburg raus aufs Land. Die Schriftstellerin und der Musiker fanden in Jamel in der Gemeinde Gägelow in der Nähe von Wismar ein neues Zuhause. Aber willkommen waren sie dort nicht. Jamel ist eine Hochburg der rechtsextremen Szene in Mecklenburg-Vorpommern. Familien ziehen extra dorthin, um Gleichgesinnte zu finden. Um auf die Situation in ihrer Region aufmerksam zu machen, haben Birgit und Horst Lohmeyer vor 15 Jahren das Festival "Jamel rockt den Förster" auf die Beine gestellt. Am 12. und 13. August findet die 15. Jubiläumsausgabe des Festivals statt.

Frau Lohmeyer, Die Toten Hosen oder auch Herbert Grönemeyer sind bei Ihnen aus Solidarität schon aufgetreten - ohne Gage. Sie verraten im Vorfeld nicht gerne, wer auftreten wird. Kann ich dennoch irgendwas aus Ihnen rauslocken?

Birgit Lohmeyer: Es ist in diesem Jahr, zu unserem 15. Jubiläum, tatsächlich so, dass Horst und ich gar nicht wissen möchten, wer hier auftreten wird. Deswegen können wir gar nichts ausplaudern. Was natürlich klar ist, für Stammgäste sowieso, dass unsere Hausband wieder dabei ist: Tequila & the Sunrise Gang aus Kiel. Die haben wir ja schon seit Jahren im Portfolio, weil die so klasse sind und tolle Stimmung machen.

VIDEO: Im Nazidorf (31 Min)

15 Jahre "Jamel rockt den Förster" sind ein guter Anlass, Bilanz zu ziehen. Welche Spuren hat das Festival in Jamel bisher hinterlassen? Haben Sie erreicht, was Sie sich vorgenommen haben?

Lohmeyer: Unsere Ausgangsmotivation war ja: Wir müssen uns wehren dagegen, dass uns die zugezogenen Nazifamilien mobben. Die hatten schon alle möglichen Straftaten gegen uns verübt, um uns hier zu vertreiben. Die wollen unter sich sein, die wollen unbeobachtet ihre Dinge tun, die sie meinen tun zu müssen. Das war Gegenwehr, und die funktioniert heutzutage immer noch. Wir sind relativ prominent geworden mit unserem Festival, aber es passieren trotz alledem nach wie vor Straftaten gegen uns - allerdings durchaus seltener und ein wenig harmloser als zum Beispiel die Brandstiftung, die wird 2015 erleiden mussten.

Da wurde ein Brandanschlag auf ihrem Gelände verübt, bei dem beinahe Ihr Wohnhaus abbrannte. Gibt es eine Ebene abseits des Politischen, wo Sie mit Ihren Dorfbewohnern einigermaßen entspannt mal zusammensitzen können?

Lohmeyer: Nein. Die Absicht hätten wir auch nie im Leben, weil unsere Nachbarn zu 98 Prozent beinharte, in der rechtsextremen Szene verhaftete Menschen sind. Und zwar nicht nur die Männer, auch die Frauen, auch die Kinder, die von klein auf völlig indoktriniert werden, uns meiden und uns mimisch und gestisch beschimpfen. Das ist eine Sippschaft, mit der niemand gerne freiwillig zu tun haben möchte. Deswegen gibt es hier im Dorf keinerlei Kontakte. Es gibt zwei Immobilien, in denen Menschen wohnen, die nicht eindeutig rechtsextrem sind, die uns aber auch komplett meiden, nicht mit uns sprechen und uns nicht grüßen. So ist die Gemengelage hier im Dorf.

Es ist toll, dass Sie diese mediale Aufmerksamkeit bekommen. Auch Michel Abdollahi hat einen Film über Jamel für den NDR gedreht, mit dem Titel: "Im Nazidorf". Haben Sie den Eindruck, dass diese mediale Präsenz die Spannungen sogar noch verschärft?

Lohmeyer: Die Nazis sind ja nicht alle total verblödet, sie wissen das auch für sich zu nutzen. In diesem Film der Panorama-Redaktion hat Herr Krüger - das ist der Anführer der hiesigen Nazis - ein großes Podium bekommen, sich zu produzieren und sich als Gutmensch darzustellen. Insofern denke ich, dass die mediale Präsenz für uns einen Schutz darstellt, andererseits aber durchaus auch von der rechten Szene genutzt wird.

Beschreiben Sie mal, wie Jamel aussieht, wenn es rockt, und wie, wenn die Bühne abgebaut ist.

Lohmeyer: Wenn es rockt, dann ist dieses Dorf sehr gut besucht. Es ist ja ein Sackgassendorf, in dem sich sonst niemand freiwillig verliert. Es gibt auch keine Anlässe, da es hier keine Unternehmen gibt, die man besuchen könnte oder andere Dinge. Dann laufen hier viele tausende bunte Menschen übers Gelände, über die Campingflächen. Sie haben ein ganz anderes Lebensgefühl im Gepäck als unsere Nachbarn. Das ist natürlich toll und ist für Horst und mich emotional sehr unterstützend, zu wissen: Wir sind zwar 363 Tage im Jahr relativ allein mit diesen Rechtsextremen, aber zumindest sind im Geiste ganz viele Menschen bei uns. Wenn das Festival zu Ende ist, gibt es an den Abbau-Tagen noch viel Betrieb, aber danach wird es sehr ruhig.

Sie sind auch mal bei den Kommunalwahlen angetreten und deutlich gescheitert. Gab es und gibt es Phasen, in denen Sie und ihr Mann dachten: Jetzt lassen wir es einfach und ziehen wieder zurück in die Stadt, wo es einfacher ist?

Lohmeyer: Nein, überhaupt nicht. Dass ich einmal zur Kommunalwahl hier antrat, das war quasi ein Versuchsballon. Ich bin ja SPD-Mitglied, insofern wurde ich auf die Liste gestellt und habe mich nicht dagegen gewehrt. Aber es ist ganz klar, wie hier die Meinungsverhältnisse in der Gesamtgemeinde sind. Die rechtsextreme Konkurrenz hat zum Beispiel auch eine kleine Wählergruppe in der Wahl gehabt und sie haben mit 200 Stimmen einen Sitz in der Gemeindevertretung errungen. Da fragt man sich, wer diese rechtsextremen Verbrecher wählt. Das können nicht nur Jameler gewesen sein, weil hier maximal 25 Leute wohnen, die wahlberechtigt sind. Die können ja nicht allein diesen Stimmenanteil, den Herr Krüger mit seiner Liste bekommen hat, gezeitigt haben. Insofern haben wir hier schon ein richtig dickes Problem, nicht nur in Jamel, sondern auch in der gesamten Gemeinde.

Und das Festival geht natürlich in weitere Runden. Sind Sie guter Dinge, dass das weiterläuft?

Lohmeyer: Auf jeden Fall. Wir haben ja, seit Die Toten Hosen uns 2015 mit ihrem Auftritt unterstützt haben, weiterhin von denen Unterstützung erhalten, sodass wir mittlerweile ein Festival-Organisationsteam haben, das zu 80 Prozent aus Musikbusiness-Profis besteht. Die wissen, was sie tun, sie haben die besten Kontakte und die Erfahrung mit dem Management von großen Veranstaltungen. Insofern geht das auf jeden Fall weiter, genauso wie auch die Nazis hier weiter leben werden. Wir wollen sie ja nicht vertreiben. Wie auch Deutschland nach wie vor ein rechtsextremes Problem hat, das es behandeln muss und nicht weggucken darf.

Das Gespräch führte Eva Schramm.

Dieses Thema im Programm:

NDR Kultur | Journal | 29.07.2022 | 16:15 Uhr

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Rechtsextremismus

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