Porträt Ingo Schulze © Soeren Stache/dpa Foto: Soeren Stache

Ingo Schulze über Kultur-Sponsoring: "Eine Frage der Würde"

Stand: 11.05.2022 16:37 Uhr

"Toxisches Sponsoring" ist ein Begriff, der gerade viel diskutiert wird, aktuell am Beispiel der Salzburger Festspiele. Denn Kulturförderung durch Industrie oder Politik kann zu Konflikten führen. Ein Gespräch mit dem Schriftsteller Ingo Schulze.

Herr Schulze, Sie selbst haben mal den Thüringer Literaturpreis während der Entgegennahme auf offener Bühne kritisiert. Wie war das genau?

Ingo Schulze: Das war im Jahr 2007, also doch schon ein Weilchen her, und damals gab es noch so eine andere Selbstverständlichkeit. Da hatte das Land Thüringen den mit 6.000 Euro dotierten Literaturpreis über die "E.ON Energie" finanzieren lassen. Der Preis wird alle zwei Jahre vergeben. Das war für mich natürlich ein Zwiespalt: 6.000 Euro ist nicht wenig und ich wollte den Preis gerne entgegennehmen - war aber dadurch gezwungen, mich mit E.ON zu beschäftigen, denn, da eigentlich alles von E.ON finanziert wurde, machte mich das zum Werbeträger dieses Konzerns. Es gäbe gar nichts dagegen einzuwenden, wenn es den E.ON-Literaturpreis gegeben hätte - das wäre eine klare Sache. Aber es war der Thüringer Literaturpreis und es war eine überschaubare Summe. Wenn man glaubt, sich das finanzieren lassen zu müssen und den Preisträger zum Werbeträger macht, das fand ich nicht in Ordnung.

Anstatt abzulehnen, haben Sie das lieber öffentlich zum Thema gemacht, und zwar direkt bei der Verleihung.

Schulze: Ich hatte in dem Jahr das Glück, dass ich schon vom Gemeinwesen dieses großes Stipendium für die Villa Massimo in Rom hatte. In dem Jahr hätte ich mir das leisten können, auf so einen Preis zu verzichten, weil ich dieses Stipendium hatte, aber normalerweise kann sich das niemand leisten, so etwas abzulehnen. Aber man kann das auch anders finanzieren. Und da hatte ich gesagt: Wenn der Freistaat Thüringen bereit ist, das in eigener Regie zu machen, dann würde ich meinen Preis da mit hineingeben. Und so ist es dann gekommen: Man hat ein jährlich zu vergebendes Literaturstipendium, das Harald-Gerlach-Stipendium erfunden, in das meine 6.000 Euro eingeflossen sind.

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Nun ist der moralische Erregungsgrad bei Menschen recht unterschiedlich verteilt. Kennen Sie auch Kolleginnen oder Kollegen, denen so etwas völlig egal ist, nach dem Motto: Einem geschenkten Gaul...?

Schulze: Das muss jeder und jede für sich entscheiden. Ich würde über niemandem richten wollen, aber insgesamt ist das etwas, was unsere ganze Gesellschaft betrifft. Heute gibt es dafür schon eher ein Bewusstsein. Da gibt es vielerlei Dinge, die man berücksichtigen muss. Wir hängen letztlich alle irgendwie drin: Auch wenn ich etwas über den Staat bekomme - woher kriegt der Staat seine Steuern? Es ist halt eine Gesellschaft mit ihren Spielregeln, und da kommt man als Einzelner nicht raus.

Sie sagen, Kunst muss also auch die Ökonomie durchaus befragen dürfen, richtig?

Schulze: Wenn ich mir eine Ausstellung anschaue, die von XY gesponsort ist, dann frage ich mich auch, ob in dieser Kunst nicht auch XY infrage gestellt werden müsste. Ich finde, dass durch dieses Sponsoring auch Abhängigkeiten entstehen. Ich kann den Betrieben in dem Sinne erstmal keinen Vorwurf machen - für die ist das ein Standortfaktor. Ich glaube, direkt in der Gesetzgebung für das Sponsoring steht auch drin, dass das dem Betrieb Sichtbarkeit bringen muss. Wir haben Gesetze gemacht, die den Betrieb auch zwingen, einen zum Werbeträger zu machen. Das muss das Gemeinwesen, die Politik entscheiden und ändern.

Sponsoring ermöglicht aber auch erst vieles, was man sich sonst gar nicht genehmigen könnte. Es sei denn, man hätte im Westflügel eine private Oper und im Südflügel die eigene Gemäldegalerie, oder?

Schulze: Aber das ist ja auch wieder eine Frage der Steuern: Wenn man Sponsoring betreibt, zahlt man weniger Steuern. Man bekommt also vom Gemeinwesen etwas erlassen. Und da muss man gucken, inwieweit es sinnvoll ist, das in Privathände zu geben. Für einen Museumsdirektor kann es sein, dass es manchmal einfacher ist, mit Privaten zusammenzuarbeiten, weil dann die Entscheidungen oftmals schneller sind. Aber grundsätzlich ist das schon fragwürdig. Heute gibt es zum Glück ein stärkeres Bewusstsein dafür.

Für Laien ist es oft auch schwer erkennbar, welche Unternehmensbeteiligungen sich jeweils noch hinter Sponsoren verbergen. Als Ausstellungsbesucher oder als Konzertgängerin liest sich doch kaum jemand zusammen, welche Gelder da woher fließen. Was meinen Sie?

Schulze: Nein, das ist auch nicht in Bausch und Bogen abzulehnen, nur dort, wo es überhandnimmt. Ich finde, es ist auch eine Frage der Würde. Wir können uns Kunst leisten und sollten das auch tun. Man muss schon über das Sponsoring nachdenken, denn uns gehen dadurch auch Steuergelder verloren. Es ist wirklich eine Abwägung.

Bei manchen mündet diese derzeit unklare Situation in die Forderung nach einer Art Gütesiegel für Finanzierungen im Kulturbereich. Fänden Sie so etwas hilfreich, hier klare Kriterien zu schaffen, die verbindlich für alle gelten?

Schulze: Das wusste ich noch gar nicht. Das fände ich durchaus gut.

Das Interview führte Philipp Cavert.

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Dieses Thema im Programm:

NDR Kultur | Journal | 11.05.2022 | 16:15 Uhr

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Kulturpolitik

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