Christoph Bangert © picture alliance / dpa Foto: Rolf Vennenbernd

Fotografieren im Krieg: "Davor muss man großen Respekt haben"

Stand: 23.03.2022 14:20 Uhr

Christoph Bangert hat viele Jahre als Fotograf aus Krisen- und Kriegsgebieten für Zeitungen und Magazine berichtet. Heute unterrichtet er an der Hochschule Hannover Fotojournalismus und Dokumentarfotografie.

Herr Bangert, wir werden in diesen Tagen und Wochen überströmt mit grausamen, verstörenden Bildern aus dem Ukraine-Krieg. Wie reagieren Sie darauf als jemand, dessen Blick geschult oder "gewöhnt" ist an solche Bilder?

Christoph Bangert: Auch für mich ist diese große Anzahl an Bildern überwältigend. Gleichzeitig ist es sehr wichtig, dass Bilder existieren, dass berichtet wird. Wir müssen uns sehr genau angucken, in welchem Kontext diese Bilder veröffentlicht werden. Erreichen uns diese Bilder über die sozialen Medien? Oder sind es die traditionellen Medien, die uns Bilder zeigen?

Wie schauen Sie auf das, was uns im Fernsehen, in Magazinen an Fotomaterial präsentiert wird? Was steht nicht sichtbar hinter diesen Bildern, die Sie als Profi ganz anders sehen als wir?

Bangert: Ich glaube, dass Kolleginnen und Kollegen vor Ort einen ganz entscheidenden Beitrag leisten, diesen Krieg für uns einzuordnen und greifbar zu machen. Davor muss man großen Respekt haben, gerade vor den einheimischen Kolleginnen und Kollegen, die da sehr tapfer ihre Arbeit machen. Wir sollten nicht das Gefühl haben, dass alles, was vor Ort geschieht, auch gefilmt oder fotografiert wird. Es ist immer nur ein Ausschnitt, ein Bruchteil. Es ist immer nur ein Versuch, das Geschehene einzuordnen und zu erklären.

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Reporter machen viele Bilder, aber nicht alles kann einer Leserin oder einem Zuschauer zugemutet werden. Welche Kriterien legen Sie bei Ihrer Auswahl zugrunde?

Bangert: Die Auswahl ist ganz wichtig. Wir treffen ganz bewusst Entscheidungen, welche Bilder wir als Publikation zeigen wollen. Aber genauso müssen wir uns als Betrachtende entscheiden, welche Bilder wir eigentlich sehen müssen oder wollen. Da gibt es in der Redaktion ganz klare Kriterien: Es muss einen Nachrichtengehalt haben, es muss etwas erzählen. Und da ist das große Problem, dass es schon so viel Material gibt, es gibt Bilder, die in unseren Köpfen schon existieren. Unsere Herausforderung als Bilderschaffende ist, diese Bilder, die die Betrachtenden erwarten, so ein bisschen aufzubrechen, dass wir den Krieg nicht immer nur in Klischees und ständigen Wiederholungen zeigen und Bilder liefern, die die Betrachtenden schon kennen oder zu kennen glauben, sondern dass wir auch andere Aspekte des Krieges zeigen, die vielleicht ein bisschen konkreter, überraschender, empathischer sind.

Sie haben nicht nur für Zeitungen und Magazine gearbeitet, Sie haben auch Fotobände gemacht. "Rumors of War" heißt Ihr jüngstes Buch, eine Art Kriegstagebuch. Bei diesen Büchern sind Sie bei der Auswahl eigenständig - wie entscheiden Sie für sich?

Bangert: Das ist natürlich toll, weil man normalerweise immer im Auftrag arbeitet, für Publikationen. Ich habe lange für die "New York Times" gearbeitet, wo es eine Bildredaktion gibt, die am Ende die Auswahl trifft. Beim Buch bin ich da recht frei, da kann ich das so machen, wie ich das gerne möchte. Es ist ganz wichtig, dass man diese Autorenschaft hat, aber auch diese Verantwortung selber tragen darf über das, was man zeigen möchte. Das Buch hat zudem den Vorteil, dass es ein völlig anderer Veröffentlichungskontext ist als die Tageszeitung. Es gibt viele schreckliche Bilder, die man berechtigterweise in der Tageszeitung nicht zeigt. Es ist außerdem so, dass beim Buch die Rezipierenden selber besser entscheiden können, was sie sehen wollen. Das ist ein Riesenvorteil, dass die Entscheidung bei den Bildbetrachtenden liegt.

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Die Bilder aus diesem Buch stammen aus Ihrer Zeit in Afghanistan, von Juni bis August 2013. Trotzdem ist das Buch 2021 erschienen - Sie haben sich also acht Jahre Zeit gegeben. Gibt es dafür einen Grund?

Bangert: Ja. Ich habe das erstmal liegen lassen, weil ich mir nicht im Klaren war, was ich da eigentlich erzählen will und ob das überhaupt jemanden interessiert. Es ist mir auch sehr schwer gefallen, meine eigene Entscheidung, nicht mehr in Krisengebieten zu arbeiten, zu realisieren. Das hat Jahre gedauert, bis mir klar wurde, dass es zwar wichtig ist, dass es Journalistinnen und Journalisten gibt, die vor Ort arbeiten - aber es muss nicht zwingend ich sein. Dazu zählen auch die Sucht nach dieser Arbeit und die Schwierigkeiten, die auftauchen, wenn man diese Arbeit nicht mehr machen will.

Sie haben in dem Buch geschrieben: "Ich werde niemals wieder in den Krieg gehen." Fällt es Ihnen heute dann doch schwer, in einer so akuten Situation, wie wir sie gerade in der Ukraine erleben, "nur" als Beobachter zuhause zu sein?

Bangert: Das fällt mir unglaublich schwer. Ich hätte nicht gedacht, dass es mir so schwer fällt. Es ist ja schon einige Jahre her, dass ich zuletzt in einem Krisengebiet gearbeitet habe. Ich hatte eine richtige Sinnkrise und hatte das dringende Bedürfnis, vor Ort zu arbeiten. Aber nicht aus so einer Sucht nach diesem Adrenalin, nach dieser Aufregung, nach dieser Gefahr, sondern weil ich das Gefühl hatte, dass ich meinen Beitrag leisten und meine Pflicht als Journalist erfüllen muss. Ich kann diese Arbeit machen, ich weiß, wie das geht, aber es hat einige Tage oder Wochen gedauert, bis ich zur Vernunft gekommen bin und gesagt habe, dass das die jüngeren Kolleginnen und Kollegen machen sollen. Ich habe einige ehemalige Studierende, die jetzt vor Ort arbeiten, und die unterstütze ich, so gut ich kann. Meine Aufgabe ist es jetzt, die jüngere Generation auszubilden und dass sie so gut, so professionell und so besonnen vor Ort arbeiten können wie möglich.

Das Interview führte Claudia Christophersen

Dieses Thema im Programm:

NDR Kultur | Journal | 23.03.2022 | 18:00 Uhr

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