"Der Fall Tellkamp" auf 3sat: Regisseur Gräfenstein über seine Doku
In dem Film "Der Fall Tellkamp - Streit um die Meinungsfreiheit", der am Mittwoch ab 20.15 Uhr auf 3sat lief und jetzt in der Mediathek steht, geht es um Uwe Tellkamps islamkritische Äußerungen. Ein Gespräch mit dem Regisseur des Films Andreas Gräfenstein.
Herr Gräfenstein, der Titel "Der Fall Tellkamp" klingt ja provokant. War es schwer, Uwe Tellkamp für diesen Film als Gesprächspartner zu gewinnen?
Andreas Gräfenstein: Man versucht immer, das Vertrauen zu gewinnen. Das ist bei allen Leuten, die man für einen Dokumentarfilm gewinnen möchte, der Fall. Ich glaube, dass gerade hier der Schlüssel war, dass er verstanden hat, dass ich möglichst vorurteilsfrei an das Thema herangehe, weil es mir darum ging, einen diskursiven Film zu machen. Ich habe ihn nicht gleich mit Vorurteilen, Vorhaltungen konfrontiert, sondern habe gesagt, dass wir einen Film machen, der offen ist und Positionen gegeneinanderstellt. Ich denke, dass das ein ganz wichtiger Punkt war.
Wie haben Sie ihn bei Ihrem ersten Zusammentreffen erlebt?
Gräfenstein: Bei dem ersten Zusammentreffen war auch Susanne Dagen dabei, und da gab es von vornherein eine recht große Offenheit bei den beiden. Das ist für den Film natürlich gut, wenn die Bereitschaft da ist und das Vertrauen, dass man sich frei äußern kann.
Bei einer Diskussion zwischen Uwe Tellkamp und Durs Grünbein im Dresdener Staatstheater fiel der viel zitierte Satz: "Die meisten fliehen nicht vor Krieg und Verfolgung, sondern kommen her, um in die Sozialsysteme einzuwandern. Über 95 Prozent." Daraufhin hatte sich der Suhrkamp Verlag von ihm erstmal distanziert. Tellkamp nimmt in Ihrem Film nochmal Stellung dazu. Was hat er Ihnen dazu gesagt?
Gräfenstein: Er ordnet das noch mal ein und sagt, dass die 95 Prozent natürlich nicht stimmen, aber dass es ihm darum gehe, dass wir die Aufnahme von Geflüchteten differenziert betrachten sollten. So verstehe ich ihn, dass das der Kern seiner Kritik ist. Der Suhrkamp Verlag sagt ja, dass er die Werke seiner Autoren und Autorinnen für sich sprechen lässt und sich nicht zu politischen Haltungen äußert.
Das Statement in Ihrem Film lassen Sie an dieser Stelle unkommentiert - warum?
Gräfenstein: Es wird meinerseits immer nachgefragt, wenn es etwas gibt, was den Film weiterbringt. Es gibt aber grundsätzlich das Prinzip, dass die Äußerungen der Protagonisten für sich stehen. Insofern hab ich das in diesem Film nicht so gemacht, dass ich das dann noch einmal einordne, sondern man kann und soll sich durch die Montage oder auch durch die Gegenüberstellung von Positionen selbst ein Urteil bilden.
Auch Ingo Schulze, Jana Hensel, Monika Maron und der Theologe und Politiker Frank Richter kommen da zu Wort. Nach welchen Kriterien haben Sie da ausgewählt?
Gräfenstein: Ich habe ganz bewusst diesen Dresdner Elbhang-Mikrokosmos gewählt, weil ich fand, dass da bestimmte Entwicklungen stattfinden, die wir in der Gesellschaft haben, dass sich vormals von einem Konsens getragene Gemeinschaften plötzlich auseinander dividieren. Diesen Mikrokosmos habe ich da vorgefunden und habe erstmal versucht, die Beteiligten zu gewinnen. Das ist der unmittelbare Kreis. Dazu zählen für mich - neben Uwe Tellkamp und Susanne Dagen - Paul Kaiser, Ingo Schulze und Frank Richter. Darüberhinaus hat sich ein Kreis von Leuten ergeben, die mehr oder minder auch im Film teilweise auftauchen, wie der "FAZ"-Redakteur Stefan Locke, oder Monika Maron, die sich von Frau Dagen hat verlegen lassen. Ich wollte ohnehin so ein bisschen über den Dresdner Tellerrand hinaus gehen. Aber im Kern geht es um die chronologisch wiedergegebenen Ereignisse, die am Elbhang rund um dieses Buchhaus passiert sind.
Lassen Sie uns auf Susanne Dagen blicken, die Buchhändlerin, die durch ihre Pegida-nahen Positionen und die Bereitschaft, eine Lanze zugunsten des rechten Antaios Verlag zu brechen, weit über Dresdens Grenzen hinaus in die Kritik geraten war. Wie haben Sie die erlebt?
Gräfenstein: Sie war sehr offen und auch sehr offensiv mit ihren Positionen. Ich kannte dieses Buchhaus aus meiner Zeit in Dresden, wo ich zwei Jahre lang gelebt habe, insofern konnte ich da wieder anknüpfen - auch wenn sie sich vielleicht nicht mehr an mich erinnern konnte. Aber wir haben offen gesprochen und ihre Bereitschaft war da.
Ich schätze das sehr, dass die Protagonisten überhaupt bereit waren, sich in dem Film zu äußern, weil es auch heikel ist, weil es immer auch um persönliche Beziehungen geht, weil es um Verletzungen geht. Insofern bin ich dafür sehr dankbar, weil dieser Film sonst nicht hätte entstehen können.
Welche neuen Blickwinkel haben Sie selbst durch den Film auf die ganze Diskussion gewonnen?
Gräfenstein: Ich denke, dass es wichtig ist, auch andere Positionen in einer Debatte auszuhalten - immer in bestimmten Grenzen, das ist natürlich völlig klar. Für ein Vorankommen in der Gesellschaft, dass man miteinander leben kann, ist es wichtig, andere nicht auszugrenzen, aus welcher Richtung auch immer.
Dieses Dresdner Elbhang-Milieu ist ja ein überschaubarer Raum. Und dass man sich innerhalb eines solchen Raums begegnen kann, miteinander reden kann, das setzt eine Bereitschaft voraus. Deswegen ist es wichtig, dass man sich da zuhört und sich auch mal in den anderen hineinversetzt. Das habe ich da sehr deutlich gespürt, und das betrifft nicht nur Dresden, sondern findet sich auch an anderen Orten in unserem Land wieder.
Und haben Sie schon einen Blick in den neuen Roman werfen können?
Gräfenstein: Nein, leider noch nicht, weil wir bis zuletzt mit der Postproduktion dieses Films beschäftigt waren oder immer noch sind, weil es da noch verschiedene Auswertungen gibt. Es sind ja auch 900 Seiten, die man nicht so schnell bewältigen kann.
Aber dann, wenn der Film final fertig ist, können Sie sich zurückziehen und lesen.
Gräfenstein: Das mache ich.
Das Interview führte Jan Wiedemann.
