Deniz Yücel: "Es ist nicht meine Aufgabe, diplomatisch zu sein"
Die Mitgliederversammlung des deutschen PEN-Zentrums hat am Dienstag in Nachfolge von Regula Venske einen neuen Präsidenten gewählt: Es ist der Journalist und Autor Deniz Yücel.
Herr Yücel, herzlichen Glückwunsch! In ihrer Bewerbungsrede haben Sie gesagt, "dass der PEN im Zweifel immer für die Freiheit des Wortes und der Kunst sein müsse. Auch für die Freiheit des dummen Wortes, auch für die Freiheit der bescheuerten Kunst, auch dann wenn es wehtut." Wollen Sie dem dummen Wort das Wort reden?
Deniz Yücel: Nein, ich bin eher für das kluge Wort für die gute Kunst. Aber wenn wir über die Freiheit des Wortes und der Kunst reden, müssen wir sie aus prinzipiellen Gründen verteidigen, auch wenn es dabei um Wortmeldungen, um Beiträge geht, die ich selber inhaltlich nicht teile, die ich kritisiere, die ich vielleicht sogar verachte. Aber trotzdem gilt die Freiheit der Kunst und des Wortes im Sinne Voltaires und Rosa Luxemburgs natürlich auch für die Leute, deren Ansichten mir ganz und gar nicht passen.
Sie haben Ihre Mitstreiter im PEN zum Kampf aufgerufen "gegen die Mächtigen, gegen die Bösen - und wenn es sein muss, auch gegen die Guten". Was ist denn gegen die Guten zu sagen?
Yücel: Wenn die Guten sich - vielleicht aus guten Gründen - gegen die Freiheit des Wortes aussprechen, dann ist es die Aufgabe des PEN aus prinzipiellen Gründen und aus Gründen der Glaubwürdigkeit, die Freiheit des Wortes auch für Leute zu verteidigen, deren Ansichten ich nicht teile.
Sie haben auch von sich selbst gesagt, Sie seien bei der Auseinandersetzung mit den Feinden der offenen Gesellschaft nicht zimperlich. Was heißt das? Diplomatisch klingt das nicht.
Yücel: Es ist nicht meine Aufgabe als Journalist diplomatisch zu sein. Und wenn ich mir anschaue, was die Diplomatie die Tage wieder im Hinblick auf die Türkei zum Beispiel zustande gebracht hat, bin ich mir auch nicht sicher, ob diplomatische Mittel immer gleichzusetzen sind mit leisen Tönen und im Zweifelsfall mit klein Beigeben, wenn einer rumbrüllt. Das halte ich nicht für besonders klug. Das ist nicht meine Aufgabe, ich bin nicht Diplomat, und ich bin nicht im Auswärtigen Amt. Ich bin Journalist und jetzt Präsident des PEN-Zentrums, und ich sehe meine Aufgabe nicht darin, gegenüber autoritären Regimen, die die Freiheit des Wortes in einer massiven Weise einschränken, die Kolleginnen und Kollegen verfolgen und einsperren, diplomatisch zu sein oder abzuwägen. Ich bin da ganz und gar nicht diplomatisch und selbstverständlich fordere ich Freiheit für Osman Kavala wie für alle anderen weltweit, die aufgrund ihrer politischen Überzeugung verfolgt werden.
Sie haben selbst so eine Erfahrung machen müssen und haben ein Jahr in einem Hochsicherheitsgefängnis in der Türkei eingesessen, bevor sie dann freigelassen werden und nach Deutschland ausreisen konnten. Wie sehr spielt diese Erfahrung bei dem Wechsel vom Schreibenden in die Funktion des PEN-Präsidenten eine Rolle?
Yücel: Ein Wechsel ist es ja nicht. Ich werde weiterhin auch für "Die Welt" schreiben und vielleicht wieder ein Buch bei meinem Verlag Kiepenheuer und Witsch veröffentlichen. Das Eine schließt das Andere ja nicht aus.
Ansonsten spielt diese Erfahrung schon eine gewisse Rolle. Eigentlich habe ich mir nach meiner Freilassung vorgenommen, mich nicht auf so eine Rolle fixieren zu lassen als Journalist, der im Kerker des Kalifen saß. Denn das ist auch eine Form, das Gefängnis auf eine gewisse Weise immer mit sich herumzuschleppen, was wiederum Unfreiheit bedeutet. Aber ich habe in der letzten Zeit auch gemerkt, dass erwartet wird, dass ich mich zu bestimmten Themen äußere, und wenn ich etwas dazu sage, dann habe ich den Eindruck, dass das etwas zählt. Damit ist aber auch eine Verantwortung verbunden. Deswegen habe ich mich nach reiflicher Überlegung dazu entschlossen, mich dieser Verantwortung, die mit dieser Rolle verbunden ist, zu stellen, ohne mich auf dieses Etikett als Ex-Gefangener reduzieren zu lassen. Zumal ich nur ein Jahr im Knast war - so viel ist das jetzt auch nicht.
Das Gespräch führte Jürgen Deppe
