CDU-Parteitag: "Keiner der drei wird Kanzlerkandidat werden"
Am Wochenende wird der neue CDU-Vorsitzende gewählt: Armin Laschet, Friedrich Merz oder Norbert Röttgen? Was wird dieser erste digitale Wahlparteitag in der Geschichte der Bundesrepublik bringen? Ein Gespräch mit dem Politikwissenschaftler Albrecht von Lucke.
Herr von Lucke, man fühlt sich ja schon ein bisschen an die Bonner Republik erinnert, wenn die drei Herren Laschet, Merz und Röttgen in ihren fast identischen Anzügen nebeneinander in die Kamera schauen. Wie rückwärtsgewandt präsentiert sich die CDU mit diesen drei Kandidaten?
Albrecht von Lucke: Sie haben völlig Recht, das ist ein regelrechter Flashback, den man da erlebt: Alle drei Kandidaten sind katholisch, Westdeutsche reinsten Wassers und alle aus NRW. Es ist so etwas wie eine Rückkehr der CDU zu ihren alten Zeiten. Nachdem wir nun über Jahre mit Angela Merkel verbracht haben, ist das jetzt die Rückkehr in die klassische, fast biedermeierliche CDU-Tradition. Ich glaube, darin steckt auch ein Problem.
Warum haben es denn Frauen in der CDU nach wie vor, auch nach Angela Merkel, so schwer, an die Spitze zu kommen?

von Lucke: Die CDU ist nach wie vor in großen Teilen eine Männerpartei. Das merkt man an diesen drei Herren. Man merkt es auch an der Tatsache, dass sie alle schwache Kandidaten sind - das müssen wir als das zentrale Problem begreifen. Denn das eigentlich Originelle dieser Wahl ist, dass es keinesfalls Kandidaten sind, die die Partei begeistern. Es sind sogar Kandidaten, die meines Erachtens gar nicht für die eigentlich entscheidende Wahl in Betracht kommen: die Wahl um die Kanzlerkandidatur. Das zeigt, wie wenig es der Partei gelungen ist, eine starke Frau nach Angela Merkel aufzubauen. Abgesehen von Annegret Kramp-Karrenbauer, die zunächst die erste Wahl war, aber leider sehr schnell an einer Parteiführung gescheitert ist und damit nicht die Kanzlerkandidatur avisieren konnte. Jetzt wird man sehen, was nach den drei Herren kommt. Aber meine These ist, dass keiner der drei letztlich Kanzlerkandidat werden wird. Es sind meines Erachtens ein Stück weit Parteivorsitzende für einen Übergang.
Auch die Mehrheit der Deutschen sagt, dass keiner dieser drei Kandidaten kanzlerfähig sei: Jeweils rund 29 Prozent sehen die Kandidaten als kanzlertauglich. Das ist ein ziemlich schwaches Ergebnis. Was bedeuten diese Umfragewerte für die CDU und die Kanzlerwahl?
von Lucke: Ein absolutes Problem. Denn die CDU wird auf dem Parteitag vor allem so etwas schaffen wie einen Übergang, der zweierlei ermöglicht: Sie braucht einen Kandidaten, der die Partei integriert. Sie merken schon, dass ich damit dezidiert nicht Friedrich Merz meine, der eher ein Polarisierer ist. Sie braucht also einen, der die Partei in Gänze zusammenhält. Er muss trotzdem die große Errungenschaft von Angela Merkel weiter fortsetzen, nämlich die Mitte zu halten. Angela Merkel geht ja nach wie vor als die stärkste CDU-Kandidatin; viele würden es befürworten, wenn Merkel noch einmal kandidieren würde. Aber diese Mitte muss gehalten werden.
Das zweite Problem: Weil keiner der drei Kandidaten kanzlertauglich ist, muss er kompatibel sein mit dem eigentlichen Kanzlerkandidaten. Das werden die Delegierten immer im Blick haben. Sie werden die Frage zu beantworten haben, wer CDU-Vorsitzender sein kann, ohne deshalb zwingend auch Kanzlerkandidat werden zu wollen.
Und sie müssen vielleicht auch entscheiden: Ist rechts mehr zu holen als in der Mitte zu verlieren? So haben Sie es in einem Artikel formuliert. Wie lautet die Antwort?
von Lucke: Das ist in der Tat die zentrale Aufgabe. Wer die Mitte verliert, gibt die absolute Siegeschance auf und das ist doch gegenwärtig der eigentlich entscheidende Punkt. Wir haben eine CDU, die mit der Kanzlerin Angela Merkel - das ist momentan ihr Hauptalleinstellungsmerkmal - bei 35 Prozent des Wählerzuspruchs steht. Das ist das gleiche, was die SPD und Grüne zusammen auf die Waagschale bringen. Das ist ein Vorsprung, der unter normalen Umständen überhaupt nicht einholbar ist. Wenn diese Mitte also gehalten werden kann, dann kann die CDU eigentlich nicht verlieren. Und das ist durchaus bei zwei der Kandidaten gewährleistet, nämlich bei Norbert Röttgen und Armin Laschet. Bei Friedrich Merz müsste die CDU Sorgen haben, dass er nach rechts polarisiert, dadurch vielleicht ein, zwei Prozent der AfD gewinnt, aber viele Wählerinnen und Wähler in der Mitte verprellt. Das kann der Weg der CDU nicht sein. Deswegen ist die CDU gut beraten, vor allem die Mitte zu halten.
Auf welchen der Herren wetten Sie, und auf wen hoffen Sie?
von Lucke: Ich habe mich da schon sehr früh festgelegt und fühle mich bisher nicht veranlasst, meine Position zu ändern: Letztlich wird die Vernunft der CDU als einer pragmatischen Machtpartei zu Armin Laschet tendieren. Er bringt 300 Delegierte in NRW auf die Waagschale. Nicht alle werden für ihn wählen, aber es werden sehr viele sein. Denn auch wenn Laschet in der Corona-Krise eine so schlechte Performance geleistet hat, dass er nicht Kanzlerkandidaten-tauglich ist, so ist er doch der Mann, der in NRW verbürgt, dass dieser Ministerpräsident gestärkt wird. Wählt man ihn nicht, verlieren alle 300 Delegierten ein Stück weit die Sicherheit, dass sie noch im Landesverband NRW mit dem stärksten Ministerpräsidenten vertreten sind. Das wäre eine ungemeine strategische Klatsche für Armin Laschet. Deswegen wird er sich meines Erachtens gegen Norbert Röttgen durchsetzen. Der hat in den letzten Wochen programmatisch durchaus an Profil gewonnen, aber er bleibt Außenseiter. Und wenn es so läuft, wie ich seit Anfang an vermute, dass letztlich die Partei - anders als die SPD - sich strategisch, pragmatisch entscheidet, dann dürfte die Entscheidung für Laschet fallen, weil Friedrich Merz als Polarisierer zu sehr gefürchtet wird. Eigentlich ist Merz der beste Kandidat für Grüne und SPD, denn die hätten dann wieder eine harte Auseinandersetzung, und das kann nicht im Sinne der CDU/CSU sein.
Und wer wird dann Kanzlerkandidat?
von Lucke: Das ist eigentlich eine ziemlich leicht zu beantwortende Frage: Weil Laschet solche Werte hat, die nicht in der Lage sind, ihn zu einem starken Kanzlerkandidaten zu machen, wird die Wahl am Ende meines Erachtens ganz klar auf Markus Söder fallen. Der Dritte, der immer noch im Spiel ist, ist Jens Spahn. Aber Spahn scheidet meines Erachtens schon deshalb aus, weil erstens seine Werte nicht so gut sind wie die von Söder. Und zweitens würde Armin Laschet, wenn er Jens Spahn zum Kanzlerkandidaten aufrufen würde, sich damit selbst absolut zu einem CDU-Vorsitzender auf Abruf machen. Denn sobald Jens Spahn die Wahl gewonnen hätte - und es spricht viel dafür, dass die CDU CSU gewinnt -, würde selbstverständlich auch der Parteivorsitz zum Kanzler Spahn zurückfallen. Damit hätte Laschet sich selbst enthauptet, und das kann nicht sein Ansinnen sein. Deswegen wird er sich einvernehmlich mit Markus Söder Ende März für die Kanzlerkandidatur entscheiden.
Das Interview führte Andrea Schwyzer.
