Im Moment versinken
Hugo Carvalhais legt mit "Ascetica" ein neues Album vor. Mit seinem Sextett erzeugt der portugiesische Bassist schwebend elektronische Kollektivklänge kombiniert mit frei fließenden Improvisationen.
Ganz am Rand - und doch im Zentrum
Wären da nicht die Sängerin Maria João und die Pianisten Mário Laginha und (neuerdings) Júlio Resende, wüssten wir hierzulande vom Jazz in Portugal fast gar nichts. Schon darum ist es ein spezielles Erlebnis, den aus Porto stammenden Hugo Carvalhais und natürlich die Musik der jüngsten CD, die das Sextett des Bassisten unter dem anspruchsvollen Titel "Ascetica" aufgenommen hat kennenzulernen.
Versenkung ist das Ziel
"Ascetica" - was ist das denn? Carvalhais spricht über eine spirituelle Technik der Versenkung um das Innere, den Kern der Dinge, zu erspüren - auch in uns selbst. Das war oft, eigentlich immer, das Ziel mehr oder minder avantgardistischer Jazzfantasien und auch insofern ist der Bassist von der europäischen Jazzperipherie trotzdem mittendrin in der zeitgenössischen Moderne.
Das Trio aus Carvalhais, Schlagzeuger Mário Costa und Pianist Gabriel Pinto - der ein echter Zauberer an vielerlei Tasten ist und auch elektronische Strukturen sehr eigenwillig unter den Klang der Gruppe legt - sind der Kern des Ensembles. Drei außergewöhnliche Saxofonisten stoßen hinzu. Allen voran Frankreichs Weltstar Emile Parisien, der portugiesische Kollege Fábio Almeida und die extrem wuchtige, expressive Stimme des Litauers Liudas Mockunas, den Carvalhais vor zehn Jahren auf einem Festival kennenlernte und der zum Freund und dauerhaften Partner wurde.
Erst Maler, dann Musiker
"Seu Hugo" hatte eigentlich mit dem Studium der Bildenden Künste begonnen und von dort aus zum Jazz gefunden. Porto, so erzählt er, ist womöglich das derzeit kreativste Terrain für den Jazz in Portugal neben - natürlich - der Hauptstadt Lissabon, wo bekanntlich einer der ältesten Jazzclubs Europas zu Hause ist. Porto erlebt derweil gerade die jüngste Ausgabe des Festivals mit dem Namen "Porta Jazz" und die Liste der beteiligten Musikerinnen und Musiker liest sich extrem portugiesisch. Jazz ist also präsent im kleinen Land, aber selten jenseits der Grenzen bekannt.
Wirklich "neu"?
Die Musik des Sextetts um Hugo Carvalhais hält sich dabei fern von Vorbildern. Eigenständig und unabhängig vermengen die Musiker, Parisien und Mockunas vor allem, sehr frei fließende Impovisation mit schwebenden Kollektivklängen, für deren Tragfähigkeit die elektronischen Strukturen besonders wichtig sind, die Pinto und auch Carvalhais selber gestalten.
Im Zusammenklang aller Stimmen führt diese Übung in "Ascetica"-Versenkung über alle Formen von handelsüblichem Mainstream hinaus, wirkt peripher und womöglich gerade dadurch außerordentlich eigenwillig. Womöglich ist das - falls das Wort erlaubt ist - tatsächlich mal "neu" im europäischen Jazzprofil.
"Ascetica"
- Genre:
- Jazz
- Zusatzinfo:
- Label:
- clean feed Records
- Veröffentlichungsdatum:
- 18.03.2022
- Preis:
- 13,90 €
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