Elphi-Eröffnung vor fünf Jahren: "Ich werde es nie vergessen"
Am 11. Januar jährt sich die Eröffnung der Elbphilharmonie in Hamburg zum fünften Mal. Zu den Höhepunkten der Festwoche zählte die Uraufführung des Oratoriums "Arche" von Jörg Widmann.
Herr Widmann, auch für Sie muss das doch wahrscheinlich ein sehr außergewöhnliches Ereignis gewesen sein. So eine Uraufführung in so einem Saal - das erlebt man nicht alle Tage. Wie haben Sie das in Erinnerung?
Jörg Widmann: Als tatsächlich unvergesslich. Ich will es nicht verklären, aber ich glaube, alle, die es mitbekommen haben, die 300 Menschen auf der Bühne und das Publikum, werden das nie vergessen. Das hatte etwas sehr Besonderes in dieser Eröffnungswoche der Elbphilharmonie, und das Publikum hat die Ausführenden gefeiert und in einer Weise durch den Abend getragen. Wir Künstler spüren das ja auf der Bühne, wie still es ist, diese Atemlosigkeit et cetera. Es war auch in meinem reichen künstlerischen Leben etwas ganz Besonderes, ich werde es nie vergessen.
Die halbe Welt hat auf die Premiere in diesem Saal geschaut: neue Architektur, neue Akustik - und jetzt auch noch diese Uraufführung. Wie hat sich das für Sie angefühlt?
Widmann: Das war etwas ganz Besonderes. Bei der offiziellen Eröffnung hat natürlich das NDR Orchester gespielt, und Kent Nagano und ich saßen in diesem Konzert, sodass Kent Nagano sofort am nächsten Morgen dem Philharmonischen Staatsorchester eine Viertelstunde lang akustische Hinweise gegeben hat. Aber es war für alle tatsächlich das Gefühl von Premiere, es war wirklich aufregend. Es war eine Ehre, diesen Saal mit einweihen zu dürfen. Ich war dann auch in der ersten Saison Residenzkünstler, habe selber als Klarinettist dort gespielt, auch im kleinen Saal mit der Pianistin Mitsuko Uchida. Ich kam auch mit der Jungen Deutschen Philharmonie in die Elbphilharmonie, und für die jungen Leute war es auch eine unvergessliche Sache in diesem Saal zum ersten Mal zu spielen. Es freut mich, dass ich das am Anfang ein bisschen miterleben und vielleicht auch ein bisschen mitgestalten durfte.
Sie haben "Arche" eigens für diesen Anlass komponiert: Am Ende waren es 300 Mitwirkende und es gab alle Instrumente, die man sich vorstellen kann, bis hin zur Pistole, die abgefeuert worden ist. Was war Ihre Idee hinter diesem Oratorium?
Widmann: Natürlich sehr vieles, was unsere Zeit anbelangt. Deshalb wäre es so schön und wichtig gewesen, dass das in ein paar Tagen auch zum fünfjährigen Jubiläum der Elbphilharmonie wieder erklingt - was ja der Wunsch sowohl des Orchesters als auch der Oper als auch der Elbphilharmonie war. Leider hat uns Corona einen Strich durch die Rechnung gemacht. Wir werden aber versuchen, es im Laufe des Jahres nachzuholen, weil es nämlich so aktuell gewesen wäre. Warum? In diesem Stück gibt es eine Sintflut, weil nämlich die Babylonier, die Juden und die Christen alle gemeinsam haben, dass sie an die Sintflut geglaubt haben. Diese Urfrage: Wenn es Gott gibt, warum lässt er so etwas zu? Diese vielen Tage nur Regen, dass da nur Grausames von oben kommt, und die Menschen müssen damit umgehen. Aktueller könnte es nicht sein, eine Art Naturkatastrophe, die da über die Menschheit kommt. Aber es ist auch Hoffnung darin, die in dem Fall in den Kindern liegt. Die Kinder sagen am Schluss: Delegiert nicht immer an die Götter, sondern wir Menschen müssen selber machen. Es hat sehr viele aktuelle Bezüge. Trotzdem: Was ich mit dem Stück sagen möchte, ist eigentlich gar nicht so viel anderes als das, was Ludwig von Beethoven über seine "Missa solemnis" schreibt - ohne mich da auf eine Stufe zu stellen. Aber das Prinzip hat sich nicht geändert: Von Herzen möge es wieder zu Herzen gehen. Deshalb machen wir Musik, deshalb habe ich die "Arche" geschrieben.
Macht diese riesige Besetzung mit 300 Personen und unzähligen Instrumenten das Stück im Regelbetrieb nicht ohnehin ziemlich unspielbar?
Widmann: Sie haben Recht. Es ist ist ein Hybrid-besetztes Stück, richtig. Trotzdem sind wir Beteiligten überzeugt davon, dass es gerade in dieser für die Menschen, aber auch für die Kunst so gefährlichen Zeit ganz wichtig ist, auch solche Projekte zu machen. Selbstverständlich sind wir auch Pragmatiker, dann werden es im Chor ein paar weniger sein et cetera. Trotzdem muss die Kunst manchmal auch nach den Sternen greifen - auch in den Corona-Zeiten. Trotzdem habe ich selber als Musiker, der viel auf der Bühne steht und sehr gerne auch ins Konzert geht, den Eindruck, dass es nichts gibt, was den Live-Moment ersetzen kann. Deshalb müssen wir weiter hoffen. Ich bewundere alle, die weiter dafür kämpfen, dass solche Projekte möglich sind. Denn wenn sie möglich sind - und das kriegen wir Musiker im Moment mit -, reagiert das Publikum ganz anders. Erstens sind alle viel stiller, es wird viel weniger gehustet. Das können wir gerne beibehalten, auch in Zukunft. Und die Leute sind unglaublich berührt und angefasst von dem Live-Klang. Möge das bald wieder in verstärkter Form möglich sein.
Das Gespräch führte Jürgen Deppe
