Verändert sich die Gewalt in Deutschland?
Im Haus der Wissenschaft in Braunschweig war es am 20. April 2017 wieder so weit: Im Rahmen unserer Veranstaltungsreihe "Logo - Wissenschaft aus Braunschweig" diskutierte die Moderatorin und Redakteurin des NDR Info Wissenschaftsmagazins Logo Mayke Walhorn mit Experten aus der Wissenschaft. Diesmal ging es um die Veränderung der Gewalt in unserer Gesellschaft.
Ob auf der Straße, in Schulen, Büros oder auch Fußballstadien
Tatsächlich hat sich die Zahl der Gewaltfälle in der polizeilichen Kriminalstatik in Deutschland seit den 1990er-Jahren deutlich erhöht. Das Miteinander in Deutschland sei aggressiver geworden, so immer wieder die Meinung der Menschen im Publikum bei der Veranstaltung. Es sei im Alltag deutlich zu spüren, dass die Gewalt in unserer Gesellschaft zunimmt. Da waren die Wissenschaftler auf dem Podium anderer Meinung. Die angestiegenen Zahlen von Gewaltfällen in der Polizeikriminalstatistik würden vielmehr eine andere Veränderung zeigen: Es gebe in unserer Gesellschaft inzwischen einen anderen, sehr viel bewussteren Umgang mit Gewalttaten. Menschen seien in Deutschland viel aufmerksamer geworden, wenn sie Zeugen oder auch Opfer von Gewaltsituationen werden. Darum sei auch die Zahl der Anzeigen angestiegen, nicht aber die der Gewalt selbst - da waren sich die Gäste auf dem Podium einig.
Logo in Braunschweig: Experten diskutieren über Gewalt
Neue Formen von Gewalt
Was sich aber deutlich verändert habe, seien die Formen und Wege der Gewalt, gab der Gewaltforscher Helge Peters aus Oldenburg zu bedenken. Es gibt bereits Kinder, die eigene Gewalttaten mit Handys filmen und sie danach im Internet veröffentlichen. Auch die psychische Gewalt hat mit den neuen Medien beliebte Verbreitungswege gefunden. Laut einer PISA-Studie wird in unserem Land inzwischen jeder sechste 15-Jährige regelmäßig von seinen Mitmenschen gemobbt. Im berufsfähigen Alter gab in einer anderen Studie sogar jeder Vierte an, schon einmal gemobbt worden zu sein. Die Dunkelziffer ist groß. Denn anders als die körperliche Gewalt, lässt sich die psychische bis heute schwer nachweisen. Bei Mobbing, übler Nachrede oder Stalking handelt es sich zwar um eine Form von Gewalt, die weniger auffällig ist als eine Schlägerei - die bei den unzähligen Opfern aber ebenfalls tiefe Verletzungen hinterlassen kann. Die psychische verbale Gewalt hat sich intensiviert, wusste auch Thomas Bliesener, Psychologe und Direktor des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen zu berichten.
Vermehrt Gewalt im Sport
Ein neues Phänomen seien auch die Entwicklungen der Gewalt bei Sportereignissen, insbesondere im Fußball. Auch im Amateurbereich mussten in den vergangenen Jahren viele Fußballspiele abgebrochen werden, weil es zu Schlägereien kam. Nicht zuletzt werden auch immer wieder Schiedsrichter auf dem Fußballplatz angegriffen, erklärte der Rafael Behr, Kriminologe an der Akademie der Polizei in Hamburg. Eine noch stärkere Polizei-Präsenz bei Fußballspielen hielt er aber zur Prävention für nicht sinnvoll. Auch eine stärkere Überwachung mit Kameras könnte die Gewalt nicht verhindern - allerdings zur Tataufklärung beitragen.
In der Diskussion im Haus der Wissenschaft wurde deutlich: Unsere Gesellschaft ist vielleicht nicht gewalttätiger geworden als früher - aber die Formen und Wege der Gewalt sind anders und vielfältiger geworden, was jeden von uns auch zu einer neuen Achtsamkeit gegenüber der Entwicklung von Gewaltsituationen im Alltag bewegen sollte.
Es diskutierten:
- Helge Peters, Soziologe, Universität Oldenburg
- Thomas Bliesener, Psychologe und Direktor des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen
- Rafael Behr, Kriminologe und Soziologe, Akademie der Polizei Hamburg
NDR Info sendet den Mitschnitt der Diskussionsveranstaltung am Freitag (23. Juni 2017) um 21.05 Uhr im "Wissenschaftsmagazin "Logo".
