"Zynisches Zahlenspiel" - Meyer Werft spielt Szenarien durch
Das dem NDR in Niedersachsen vorliegende, geheime Strategiepapier birgt Zündstoff: Wie reagiert die Öffentlichkeit auf Entlassungen von 1.800, 900 oder 600 Beschäftigten? Der Betriebsrat ist erzürnt.
Für Nico Bloem, den Betriebsratsvorsitzenden der Meyer Werft, zeigt die Geschäftsleitung mit dem am Dienstag bekannt gewordenen Dokument "ihr wahres Gesicht und was sie von den Kollegen hält." In einer Excel-Tabelle wird die Frage diskutiert "Welches Entlassungsszenario soll kommuniziert werden" und wie die Chefetage dabei trotzdem im besten Licht erscheint.
Strategien für den Stellenabbau
Das umfangreiche Papier im Querformat stellt eine ganze Reihe möglicher Fragen und liefert auch gleich die Antworten. Tabellarisch akribisch aufgelistet Pro und Contra, je nachdem, mit welcher Zahl an Entlassungen die Geschäftsführung an die Öffentlichkeit geht. Und mit welchen Reaktionen dann jeweils zu rechnen sei: 1.800 Entlassungen ist der sogenannte "Worst Case", 900 der "Mid Case", und 600, der "Best Case".
Sorge um die Außenwirkung
Das Strategiepapier erlaubt tiefe Einblicke, wie die Chefetage der Meyer-Werft tickt: Augenscheinlich ziemlich weit weg von den Sorgen der Belegschaft, andererseits sehr bedacht auf eine möglichst positive Außenwirkung. Denn auch die zu erwartenden Reaktionen in den Medien werden ausführlich beleuchtet. "Mitarbeiter und Öffentlichkeit werden stark zum BR (Betriebsrat, Anmerkung der Redaktion) tendieren", heißt es da unter anderem.
Sind 600 Entlassungen Werbung für den Betriebsrat?
Aber vor allem zeigt das Papier das offensichtlich zutiefst gestörte, fast feindselige Verhältnis zum Werft-Betriebsrat. Da gibt es die Überlegung, die Entlassungen im Alleingang zu verkünden "Wir gehen aktiv mit einer Zahl raus, an alle Mitarbeiter (ohne BR)". Darunter findet sich im Kästchen "Kontra" tatsächlich die Befürchtung, der Betriebsrat "könne mit den Zahlen PR machen", also Werbung in eigener Sache. Der Chef der IG Metall Leer-Papenburg, Thomas Gelder, zeigte sich gegenüber NDR 1 Niedersachsen entsetzt, er nennt das Papier ein "zynisches Zahlenspiel". Es sei völlig abwegig, einem Betriebsrat zu unterstellen, mit Entlassungen für sich zu werben. Selbst wenn es weniger werden, als die Öffentlichkeit befürchtet.
Geschäftsführung nimmt am Freitag Stellung
Florian Feimann, Sprecher der Meyer Werft sagte dem NDR dazu, es sei ein Zeichen guter Unternehmensführung, sich auf entsprechende Szenarien einzustellen. Der Geschäftsführer der Meyer Werft, Jan Meyer, hat in einer Videobotschaft angekündigt, dass man am kommenden Freitag per Live-Video-Chat "ausführlich Stellung" zu den offenen Fragen nehmen werde. Die Geschäftsführung sollte dafür viel Zeit einplanen, heißt es auf der Werft.
