Sachbuchpreis-Nominierte Annette Kehnel über den Weltklimagipfel
Die Welt schaut nach Glasgow zum Weltklimagipfel. Führen die Lösungsansätze zum Ziel? Annette Kehnel sagt, viele Vorbildmodelle finden wir in der Vergangenheit. Nachlesen lässt sich das in ihrem Buch "Wir konnten auch anders".
Guten Tag, Frau Kehnel. Was denken Sie? Wie viele Historikerinnen und Historiker mit Schwerpunkt Mittelalter sind an der Klimaweltrettung in Glasgow beteiligt?
Annette Kehnel: Schwere Frage, nächste Frage. Aber spannend ist es natürlich. Die Problematik ist hochaktuell und wir haben einen Teil unseres Problems - und die Langzeitperspektive - in den letzten Jahren einfach ein bisschen aus dem Blick verloren. Jetzt werden wir dazu gezwungen, sie wieder in den Blick zu nehmen. Und dazu ist historische Forschung einfach unermesslich.
Sie sagen, wir müssen nicht alleine vom Heute aus denken, sondern finden viele Vorschläge, Modelle und Lösungsansätze in der Vergangenheit. Was sind das für Modelle, die sie in Ihrem Buch beschreiben?
Kehnel: Ich vertrete den Ansatz, dass wir gutes Vertrauen in die Lösungskompetenzen von Menschen haben können. Historisch lässt sich zeigen, dass Menschen schon sehr viele Probleme gelöst haben, von denen vorher gedacht wurde, dass sie unlösbar seien. Nehmen Sie zum Beispiel den Wald und die flächendeckende Dezimierung von Regenwäldern. Ich würde behaupten, dass es Gesellschaften in der Geschichte gab, die die Nutzung von Wäldern und Gemeingütern intelligent bewerkstelligt haben. In Frankreich und der Südpfalz haben sich mehrere Dörfer zusammengetan und gemeinsam über Jahrhunderte die Nutzung der Ressource Wald organisiert. Sie haben sich selbst Regeln gegeben, die Befugnisse, Zuständigkeiten und Strafen festsetzten. So gelang es ihnen, den Pfälzerwald nachhaltig und bestandsschonend zu erhalten.
In Glasgow sind rund 130 Staats- und Regierungschefs anwesend. Das, was sie erzählen, klingt so, als müssten die Lösungsansätze aus der Bevölkerung kommen. Beziehungsweise von den Menschen, die sich tagtäglich mit der Thematik beschäftigen.
Kehnel: Die Antwort ist nicht "Entweder-oder", sondern beides. Natürlich müssen Politikerinnen und Politiker ganz klare Richtungen vorgeben. Ein System zur Bepreisung von CO2-Ausstoß ist wunderbar, aber das kann nicht der Einzelne tun. Die Anreizsysteme für nachhaltige Konsummuster und Versorgungsstrategien müssen von der Politik und von der Wirtschaft kommen - wobei ich den Eindruck habe, dass die Unternehmen zum Teil weiter sind als die Politiker.
Der ehemalige US-Außenminister John Kerry sagte 2015, als in Paris das Klimaschutzabkommen unterzeichnet wurde: "Klimaschutz kann nur dann gelingen, wenn die Wirtschaft darin den Markt der Zukunft sieht". Wie war das im Mittelalter? War Nachhaltigkeit da auch wirtschaftlich lukrativ?
Kehnel: Wenn jemand ausschließlich auf seine eigenen Gewinne im Hier und Jetzt bedacht ist, lohnt sich Nachhaltigkeit. Auch im Mittelalter hat sich Nachhaltigkeit gelohnt. Sobald ich am Wohl oder an der Bestandsschonung der Ressourcen für die Zukunft meiner Kinder und Enkel teilnehme, ist Nachhaltigkeit kein "Nice-to-have" mehr, sondern ein klarer Standortvorteil. Es ist ein Vorteil für den Einzelnen, sich nachhaltig zu verhandeln. Und damit dieser Vorteile spürbar wird, muss es sich lohnen, nachhaltig zu handeln.
Geld ist ein großer Faktor, wenn wir auf die Weltklimakonferenz gucken. Klimaschutz kostet Geld. Wer bezahlt was? Wer wird bezahlt? Wer profitiert am Ende? Wie bewerten Sie das aus der Geschichte heraus? Können wir die Welt nur mit Geld retten?
Kehnel: Sicher nicht. Menschen können mehr als Profit- und Eigennutzenmaximierung. Daraus schöpfe ich mein Vertrauen in die Lösbarkeit von Problemen. Wir haben eine große Lösungskompetenz. Und dazu gehört auch die Fähigkeit zu Kooperation, die Lust auf Kooperation und die Lust darauf, Sinn zu schaffen und Leben sinnvoll zu gestalten. Geld spielt eine große Rolle bei der Nachhaltigkeitsdebatte. Wenn es sich auszahlt, dass ich mich umweltschädlich verhalte, dann kann dem Konsumenten oder der Konsumentin nicht vorgeworfen werden, dass sie oder er das tut. Solange ich eine Pendlerpauschale erhalte, die die Anreise mit dem Auto zu meinem Arbeitsplatz so viel günstiger macht, baue ich mir ein Hüttchen in 100 Kilometer Entfernung von meinem Arbeitgeber. Alles hat Folgeentscheidungen. Es muss lukrativer und lohnender werden, sich nachhaltig zu verhalten und sich mit nachhaltigen Konsummustern und Verhaltensweisen auf dem Markt und in der Wirtschaft zu bewegen.
Kann ich das so zusammenfassen: Kapitalismus und Konsumgesellschaft sind die Klimakiller?
Ich denke, wir brauchen eine Alternative zum fossilen Kapitalismus. Wir bauen unser System schon um. Wenn der Akku die Lösung ist, wie wir unseren wirtschaftlichen Austausch lösen, dann müssen wir dafür sorgen, dass wir die Nebenwirkungen im Griff haben. Es ist wie mit einem guten Medikament: Wenn es brillant ist, werde ich alles dafür tun, die unbeabsichtigten Nebenwirkungen so gering wie möglich zu halten. Genau das ist unsere Aufgabe.
Das Gespräch führte Andrea Schwyzer.
