Oscars 2022: Welche Filme sind die Favoriten für die Oscars?
In der Nacht von Sonntag auf Montag sind zum 94. Mal in Los Angeles die Oscars verliehen worden. Welcher Film war dabei? Wer hatte Chancen auf eine Stattuette? Penélope Cruz? Jane Campion?
Ein Gespräch vorab mit der Filmexpertin und Kritikerin der "ZEIT" Katja Nicodemus.
Wer sind die Favoriten bei der diesjährigen Oscar-Verleihung? Einige Filme werden ja bereits gehandelt: "Coda", "Dune", Steven Spielbergs "West Side Story" - wer steht ganz oben?
Katja Nicodemus: Es gab in den letzten Wochen eine klare Favoritin: Jane Campion mit ihrem Spätwestern "The Power of the Dog", ein Film der in Montana der 1920er-Jahre spielt. Benedict Cumberbatch spielt eine Hauptrolle, und anhand seiner Figur seziert Jane Campion die Männerbilder und die männlichen Selbstbilder des Western.
Aber auf einer Preisverleihung im Vorfeld der Oscars beging Jane Campion einen Fauxpas. An die Tennis-Schwestern Serena und Venus Williams gewandt, um die sich auch ein Oscar-Spielfilm dreht, sagte sie sinngemäß, die beiden könnten doch froh sein, dass sie - nicht wie sie als Regisseurin - gegen Männer antreten müssten. Das hat sie unter Vernachlässigung des rassistischen Kontexts gesagt, in dem sich die beiden auch ihre Karrieren erkämpfen mussten. In diesen politisch korrekten Zeiten kam das in den sozialen Netzwerken gar nicht gut an, und Campion stand plötzlich im Rennen um den Oscar für den besten Film ein bisschen im Abseits.
So kam ein neuer Favorit ins Spiel: der Film "Coda" von der Regisseurin Siân Heder, in dem es um eine junge Frau geht, die das einzige hörende Mitglied in ihrer ansonsten gehörlosen Familie ist. Also auch ein tolles Thema. Aber beim Oscar für die beste Regie hat Jane Campion immer noch große Chancen.
Welches Bild ergibt sich daraus? Was sagen die Nominierungen aus über die Filmindustrie?
Nicodemus: Die Nominierungen haben eine unglaubliche Bandbreite. Es ist ein Füllhorn an cinematografischen Tonlagen, an Ästhetiken, an Erzählweisen. Es ist aber auch nicht zu übersehen, dass die Streaming-Unternehmen die neuen Studios geworden sind. Netflix, Amazon, Apple TV - das sind die Produzenten vieler nominierter Filme.
Aufgrund der Pandemie hat die Oscar-Academy ihre Regularien geändert: Es können auch Filme am Oscar-Rennen teilnehmen, die am selben Tag in den Kinos und auf Streaming-Plattformen starten. Wie man damit endgültig umgeht, das soll im nächsten Jahr entschieden werden. Ich hoffe, dass das Kino dann durch neue Regularien - oder die alten - wieder ein bisschen gestärkt wird.
Diversität bei den Oscars war auch immer wieder Thema. Wie sieht es damit in diesem Jahr aus?

Nicodemus: Die Academy hat viel getan, indem sie neue Mitglieder aufgenommen hat. Aber was die Diversität unter den diesjährigen Nominierten angeht, da sieht es nicht so glorios aus. Von 20 nominierten Filmschaffenden sind vier nicht weiß. Dazu gehört Will Smith als Hauptdarsteller von "King Richard", wo er den Vater und Trainer der Williams-Schwestern spielt, und Denzel Washington als Hauptdarsteller von "The Tragedy of Macbeth". Jane Campion ist die einzige nominierte Frau für beste Regie. Überhaupt gewannen bisher nur zwei Frauen diese Auszeichnung als beste Regisseurin: Kathryn Bigelow vor elf Jahren und Chloé Zhao im vergangenen Jahr für "Nomadland". Man kann also sagen, da ist noch einiges zu tun.
Was erwartest du von der Zeremonie? Im Vorfeld gab es sehr viele Diskussionen, etwa um den Ausschluss bestimmter Kategorien von der eigentlichen Übertragung. Was wird da passieren?
Nicodemus: Dieser Ausschluss ist schade. Penélope Cruz (nominiert für ihre Hauptrolle in Pedro Almodóvars "Parallele Mütter", ihr Ehemann Javier Bardem ist ebenfalls als Hauptdarsteller nominiert für die Produktion "Being The Ricardos", Anm. d. Red.) zum Beispiel hat es sehr bedauert, dass dadurch das Kino als kollektive Kunstform eigentlich in Abrede gestellt wird, wenn die "weniger wichtigen" Preise - technische Preise, Make-up und so weiter - schon verliehen werden, bevor die Übertragung beginnt. Ich hoffe, dass sich auch das irgendwann wieder ändert. Ansonsten kann man sich nur positiv überraschen lassen und gar nicht so viel erwarten - das, finde ich, ist immer die beste Haltung.

Moderiert wird die Veranstaltungen in diesem Jahr von drei Frauen: der Schauspielerin Regina Hall, der Schauspielerin und Stand-up-Comedienne Wanda Sykes und Amy Schumer, der New Yorker Schauspielerin, Stand-up-Comedienne und Drehbuchautorin. Schumer hatte der Oscar-Akademie im Vorfeld vorgeschlagen, den ukrainischen Präsidenten Selenskyj per Satellit zuzuschalten, um ihm dieses riesige Forum zu geben, doch die Academy hat das abgelehnt. Aber Schumer hat bereits angekündigt, dass sie dennoch die Weltlage in ihre Moderation einfließen lassen will. So oder so ist der diesjährige Drahtseilakt zwischen Politik und Entertainment eine irre Herausforderung.
Meinst du, die Politik spielt doch eine Rolle?
Nicodemus: Ganz bestimmt - das hat Amy Schumer schon angekündigt. Sie hat gesagt, die Leute wollten in schweren Zeiten unterhalten werden, aber man könne die schweren Zeiten nicht rauslassen. Ich finde, da hat sie auch irgendwie Recht.
Wem wirst du in der langen Oscar-Nacht die Daumen drücken? Wer hat echte Aussichten?
Nicodemus: Echte Aussichten hat als bester Film hat, glaube ich, "Coda". Ich drücke die Daumen einem japanischen Film, der als bester nicht-englischsprachiger Film nominiert ist: "Drive My Car" von Ryūsuke Hamaguchi, die Geschichte von zwei traumatisierten Menschen, einem Theaterregisseur und eine Chauffeurin, die sich bei Autofahrten annähern und einander Trost geben. Der ist auch nominiert als bester Film - und vielleicht gibt es wieder so eine Sensation wie 2020, als der koreanische Film "Parasite" von Bong Joon-ho den Oscar als bester internationaler Film gewonnen hat und dann überraschenderweise auch noch bester Film wurde.
Das Interview führte Claudia Christophersen
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