Deutsch-deutsche Geschichte am Theater: "Scheint unsexy zu sein"
Wird heutzutage zu wenig über die DDR-Geschichte auf deutschen Bühnen erzählt? "Man müsste dieses ganze Thema anders aufziehen", sagt die in Lübeck geborene Autorin Dagrun Hintze im Interview.
Dagrun Hintze hat bereits deutsch-deutsche Geschichten als dokumentarische Bühnenstoffe umgesetzt, etwa das Stück "Rübermachen" am Hamburger Lichthof Theater. In ihrem Buch "Ostkontakt" spürt sie unerzählten Storys der Menschen nach, die von Teilung und Mauerfall geprägt wurden. "Wir müssen reden", fordert sie.
Frau Hintze, am Mecklenburgischen Staatstheater hat am 20. Januar Christa Wolfs Roman "Der geteilte Himmel" als Musical Premiere. Ist das für Sie eine interessante Form, deutsch-deutsche Geschichte zu erzählen?
Dagrun Hintze: Auf jeden Fall. Man ist froh, wenn dieses Thema überhaupt auf die Agenda gesetzt wird. Ich finde es durchaus möglich, das auch in einem Genre wie Musical zu erzählen, wenn es gut gemacht ist. Es ist ein bisschen typisch, dass es an einem ostdeutschen Theater angesetzt wird, weil eine solche Produktion an einem westdeutschen Theater eigentlich gar nicht vorstellbar ist. Ich glaube, da ist das Interesse dafür nicht so wahnsinnig groß.
Sie haben schon ein bisschen Erfahrung mit solchen Themen: "Rübermachen" und "So glücklich, dass du Angst bekommst" - so hießen Ihre Theaterabende, die auch im Westen gezeigt wurden, in denen ganz unterschiedliche Ost-West-Geschichten erzählt wurden. Was waren das genau für Geschichten?
Hintze: Wir haben "Rübermachen" in Koproduktion mit dem Lichthof Theater und im WUK Theater Quartier in Halle entwickelt. Wir haben neun Teilnehmerinnen in Halle und neun in Hamburg gecastet, um die dann an zwei Wochenenden in Seminaren eine Art interkulturelles Training für Ost- und Westdeutsche durchlaufen zu lassen. Die haben sich gegenseitig besucht, und wir hatten einen ost-west-deutsches Trainerteam, das eigentlich mit französischen und algerischen Jugendlichen gearbeitet hat. Am Ende haben sie festgestellt, dass dieses ost-west-deutsche Thema deutlich mehr aufgeladen ist, als sie das aus ihrer Arbeit mit den Jugendlichen kannten. Das fand ich relativ erstaunlich. Aus diesen Wochenendseminaren haben wir zwei verschiedene Produktionen entwickelt: Ich habe "Rübermachen" in Zusammenarbeit mit der Regisseurin Meera Theunert geschrieben und in Halle wurde auch eine Produktion entwickelt. Da grätschte uns blöderweise Corona dazwischen, sodass wir die Premiere in Hamburg verschieben mussten und sie am Ende nur streamen konnten. Ich habe aber auch Einzelinterviews mit den Hallenser Teilnehmerinnen und Teilnehmern geführt und wir haben versucht, die Westdeutschen stellvertretend diese ostdeutschen Geschichten erzählen zu lassen, damit überhaupt mal so etwas wie ein Perspektivwechsel stattfinden kann.
Weshalb findet man auf den Spielplänen der Theater überhaupt relativ wenige Theaterstücke zu deutsch-deutschen Geschichten, zur DDR? Ist man da überdrüssig?
Hintze: Irgendwie scheint dieses Thema unsexy zu sein. Ich finde es auch schwer zu erklären. Ich glaube, es liegt ein bisschen daran, dass viele Leute das Gefühl haben, dass das über 30 Jahre her ist und man sich fragt: Muss man sich damit beschäftigen? Haben wir denn nicht andere Probleme? Die haben wir natürlich, aber ich glaube, dass das trotzdem ein weiteres bleibt, wenn wir so wenig voneinander wissen. Es könnte auch sein, dass sich im Westen so eine Ahnung breitgemacht hat, dass der Prozess der Wiedervereinigung für die Ostdeutschen nicht ganz so toll gelaufen ist und dass sich der Westen in Teilen auch schuldig gemacht hat. Da gibt es sicherlich auch so eine unbewusste Abwehr, sich damit nicht so genau beschäftigen zu wollen. Gleichzeitig gibt es einen Überdruss, der sich schnell in polemischen Äußerungen manifestiert, wenn man aufs Wahlverhalten in Ostdeutschland guckt oder auf die größere Demokratieskepsis dort.
Man müsste dieses ganze Thema anders aufziehen, nämlich nicht unbedingt als eine schuldbeladene, traurige Vergangenheitsforschung, sondern eher im Hinblick darauf, was für ein Potential für die Gegenwart und Zukunft drin steckt, und wie wichtig es wäre, die ganzen ungehörten Geschichten, die es ja auch noch gibt, zu erzählen, weil sie schlichtweg auch interessant sein könnten und uns etwas über die Natur des Menschen erzählen könnten.
Im Theater oder auch in Kinofilmen gibt es oft auch diesen Ostalgie-Ton: Trabi-Kitsch und platte Vokuhila-Witze. Was schlagen Sie da vor?
Hintze: Mit Filmen wie "Sonnenallee", "Helden wie wir", "Goodbye Lenin" und so weiter hatte man so eine skurril-witzige DDR, was auch nicht hilfreich war für ein realistisches Bild im Westen. Gleichzeitig hatte man mit "Das Leben der Anderen" noch die dunkle Stasi-Seite. Aber das sind zwei klischeehafte Darstellungen, die nicht unbedingt die Erkenntnis weitergebracht haben. Ich habe im letzten Jahr den Film "In einem Land, das es nicht mehr gibt" gesehen, der relativ genau die Modeszene in Ostberlin zu DDR-Zeiten darstellt - sowohl die offizielle als auch die Off-Szene. Das ist so spektakulär, was dort an Klamotte, an Perfomance, an Freiheitsmöglichkeiten zu sehen ist, dass man als Westdeutsche im Kino saß und dachte: "Mist, ich habe überhaupt nicht gewusst, dass es das gab - wie cool ist das denn!?" Solche überraschenden Dinge zu erfahren und Lust zu haben, sich von dem verblüffen zu lassen, was man übereinander noch nicht weiß, ist auf jeden Fall ein guter Weg.
Das Interview führte Eva Schramm.