Schematische Zeichnung einer menschlichen Nervenzelle © fotolia Foto: psdesign1

Schwere Depression: Tiefe Hirnstimulation kann helfen

Stand: 14.03.2022 15:12 Uhr

Etwa fünf Millionen Menschen erkranken in Deutschland jährlich an einer Depression. Jetzt soll ein Eingriff ins Gehirn Menschen mit schweren Depressionen helfen, bei denen bisher alle anderen Therapien versagt haben.

Die letzte Chance für Menschen mit schwersten Depressionen war bisher die Elektrokrampftherapie. Dabei werden unter Narkose von außen Stromimpulse durch das Gehirn geleitet und so ein epileptischer Anfall ausgelöst. Das kann Depressionen deutlich lindern. Ein Forschungsprojekt in Freiburg will jetzt herausfinden, ob auch die sogenannte tiefe Hirnstimulation Betroffenen, bei denen bisherige Therapien versagt haben, helfen kann. Über Drähte, die tief im Gehirn platziert werden, soll die Psyche mit elektrischen Impulsen beeinflusst werden.

Belohnungssystem im Hirn wieder anregen

Eine zentrale Symptomatik der Depression ist, dass das Gehirn Belohnungen nicht mehr richtig verarbeiten kann. Die Forscher glauben, dass bei Depressionen die Funktion des Belohnungssystems gestört ist. Das System ist hirnanatomisch sehr gut erforscht. Mit der tiefen Hirnstimulation soll das Belohnungssystem angeregt werden, wieder richtig zu funktionieren.

Tiefe Hirnstimulation bei Parkinson schon etabliert

Für eine tiefe Hirnstimulation werden in einer Operation Elektroden ins Gehirn gelegt, genau dorthin, wo die Hirnfunktion gestört ist. Ein Kabel führt dann von den Elektroden unter der Haut zum Brustkorb, wo ein Stimulator angeschlossen wird. Der ist programmierbar und sendet Stromimpulse genau ins Zentrum der Erkrankung. Die tiefe Hirnstimulation ist eine Therapiemethode, die bei starkem Zittern, wie zum Beispiel bei Morbus Parkinson, schon lange etabliert ist. Das Einschalten des Stimulators schaltet das Zittern, also ein körperliches Leiden, in vielen Fällen wirksam ab.

 

Studie soll Wirksamkeit bei Depression beweisen

Jetzt arbeiten die Freiburger Forscher an einer Studie, die die Wirksamkeit der tiefen Hirnstimulation bei Depressionen beweisen soll. In dieser Studie sollen 47 Patienten behandelt werden. Bei der Hälfte wird die Stimulation nicht eingeschaltet, ohne Wissen der Patienten. So lässt sich kontrollieren, wie groß der Placebo-Effekt ist. Nach vier Monaten wird die Stimulation dann auch bei der Kontrollgruppe eingeschaltet.

Elektroden im Gehirn: Operation im Wachzustand

Vor der Operation wird millimetergenau geplant, welchen Weg die Elektroden durchs Gehirn nehmen sollen. Es dürfen keine Blutgefäße oder wichtige Gehirnbereiche im Weg sein. Der Kopf wird in einem Rahmen fixiert. An einem Simulator prüfen die Medizinerinnen und Mediziner, ob der vorher berechnete Weg stimmt und ob die Elektrodenspitze genau da landet, wo sie hin soll. Dann bohren sie die notwendigen Löcher in den Schädel. Die Patienten sind die ganze Zeit wach.

Die Elektrode wird direkt an den vorausberechneten Zielort geführt. Bevor sie endgültig fixiert wird, testen die Operateure die Lage, indem sie Strom fließen lassen. Dabei werden die Patienten zum Beispiel nach Gefühlen oder Plänen befragt. Oftmals verändert sich dann schon etwas: Betroffene, die zuvor keinerlei Perspektive oder Empfindungen hatten, erzählen plötzlich von ihren Plänen nach der Operation. Am Ende des etwa dreistündigen Eingriffs wird das Kabel verlegt und der Stimulator unter dem Brustmuskel eingepflanzt.

Lebensfreude kehrt zurück

Für Menschen, die unter schwersten Depressionen leiden, könnte die tiefe Hirnstimulation in Zukunft den Weg zurück zu mehr Lebensfreude bedeuten: Ist der Eingriff erfolgreich, sind sie wieder in der Lage Pläne zu machen und können wieder Gefühle wie Freude oder Trauer empfinden. Allerdings sprechen nicht alle Menschen auf diese Behandlungsmethode an.

Hilfe für Betroffene: Telefonnummern und Kontaktadressen

Sollten Sie sich aktuell in einer psychischen Krise befinden, können Sie:

  • zu Ihrem Arzt gehen oder ihn anrufen
  • Kontakt mit einer Klinik mit psychiatrischer Abteilung aufnehmen
  • Kontakt mit dem ärztlichen (psychiatrischen) Bereitschaftsdienst (bundesweite Tel.: 116 117) aufnehmen
  • sich an ein Hilfs- bzw. Beratungsangebot für akute Krisensituationen wenden.
Folgende Stellen bieten Hilfe an:
  • Telefonseelsorge, anonyme, kostenlose Beratung zu jeder Tages- und Nachtzeit unter den bundesweiten Telefonnummern (0800) 111 0 111 oder (0800) 111 0 222
  • Kinder- und Jugendtelefon, "Nummer gegen Kummer", kostenlose Beratung von Mo. bis Sa. 14-20 Uhr unter der Telefonnummer 116 111 (Kinder- und Jugendtelefon) oder montags bis freitags von 9 bis 11 Uhr sowie dienstags und donnerstags von 17 bis 19 Uhr unter der Telefonnummer (0800) 111 05 50 (Elterntelefon)
  • Das deutschlandweite Info-Telefon Depression der Deutschen Depressionshilfe erreichen Sie montags, dienstags und donnerstags von 13 bis 17 Uhr sowie mittwochs und freitags von 8.30 bis 12.30 Uhr unter Telefon (0800) 33 44 533. Bei der Deutschen Depressionshilfe gibt es auch einen Selbsttest sowie Wissen und Adressen rund um das Thema Depression.
  • Konkrete Hilfe vor Ort in über 80 Städten und Regionen bietet das Deutsche Bündnis gegen Depression
  • Einen Erfahrungsaustausch für Betroffene und Angehörige bietet das Diskussionsforum Depression
  • Beratung und Selbsthilfegruppen speziell für Angehörige bietet das Psychiatrienetz BApK
  • Wo Sie eine Selbsthilfegruppe in Ihrer Nähe finden, erfahren Sie bei der NAKOS (Nationale Kontakt- und Informationsstelle zur Anregung und Unterstützung von Selbsthilfegruppen), Tel. (030) 31 01 89 60
  • In jeder deutschen Stadt gibt es Psychologische Beratungsstellen, Beratungsstellen für Ehe-, Familien- und Lebensfragen, Psychosoziale Beratungsstellen, Sozialpsychiatrische Dienste. Diese Einrichtungen stehen jedoch nicht rund um die Uhr zur Verfügung, und es müssen ggf. Beratungstermine vereinbart werden - sie sind also bei akuten Krisen nur bedingt hilfreich.

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Visite | 15.03.2022 | 20:15 Uhr

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