Krank ohne Diagnose: Wenn die Psyche schuld sein soll
Wird für körperliche Beschwerden keine klare Ursache gefunden, heißt es oft, dass die Psyche schuld ist. Eine psychosomatische ganzheitliche Betrachtung kann helfen.
Anhaltende Beschwerden wie Schmerzen, Schwindel oder Verdauungsstörungen sind für die Betroffenen sehr belastend. Umso mehr, wenn durch körperliche Untersuchungen, Bluttests oder bildgebende Verfahren keine klare Ursache gefunden werden kann. Häufig wird vom Arzt oder von der Ärztin dann die Verdachtsdiagnose einer somatoformen Störung gestellt. Der Begriff bezeichnet körperliche Beschwerden, die nicht auf eine organische Krankheit zurückgehen und von denen man annimmt, dass sie seelisch verursacht sind.
Tatsächlich können sich Stress, Trauer oder ungelöste Konflikte körperlich äußern und zu Schwindel, Schmerzen, Herzrasen oder Verdauungsstörungen führen. Denn Psyche und Körper stehen in enger Beziehung zueinander und beeinflussen sich gegenseitig. So kann Angst etwa zu Herzrasen und Atemnot führen - und chronische körperliche Leiden können Depressionen auslösen. Bei unklaren Beschwerden ist darum eine ganzheitliche Betrachtungsweise wichtig.
Diagnose "Psychische Ursache" muss abgeklärt werden
Betroffene erleben die Verdachtsdiagnose einer somatoformen Störung oft als stigmatisierend. Das liegt unter anderem an der weit verbreiteten, aber längst überholten Vorstellung, dass psychisch bedingte Beschwerden "nur eingebildet" oder weniger schlimm seien. Viele Menschen mit unklaren Beschwerden haben Sorge, vom Arzt oder der Ärztin nicht ernst genommen und in die Schublade "Psychische Ursache" gesteckt zu werden.
Experten kritisieren, dass die Diagnose "Somatoforme Störung" im medizinischen Alltag tatsächlich in einigen Fällen vorschnell und ohne die nötige fachgerechte Abklärung gestellt wird. Das könne ein Ausdruck von Hilflosigkeit sein, wenn weder Röntgenaufnahmen noch Laborwerte einen Hinweis auf die Ursache geben. Problematisch ist, wenn deshalb weiterführende Diagnostik unterbleibt.
Die Diagnose einer somatoformen Störung, also einer seelische Ursache der körperlichen Beschwerden, ist keine Ausschlussdiagnose, sondern muss gründlich durch eine psychosomatische Untersuchung abgeklärt werden.
Psychosomatik: Ganzheitliche Betrachtung von Körper und Seele
Um den Ursachen unklarer Beschwerden auf den Grund zu gehen, ist es sinnvoll, einen Facharzt für Psychosomatische Medizin oder einen Allgemeinmediziner mit einer Weiterbildung in Psychosomatischer Grundversorgung hinzuziehen. Der Begriff Psychosomatik ist aus den griechischen Wörtern "Psyche" für Seele und "Soma" für Körper abgeleitet. Dieses Fachgebiet befasst sich also mit dem Zusammenspiel von Körper, Psyche und Krankheit.
Die Experten schauen sich alle körperlichen Vorbefunde an und führen zusätzlich eine psychologische Diagnostik mit Gesprächen und Fragebögen durch. So werden zum Beispiel aktuelle Belastungsfaktoren, die berufliche und familiäre Situation, Vorerkrankungen oder Medikamente abgefragt.
So verschaffen sich die Ärzte und Ärztinnnen ein Bild, ob es mögliche plausible Auslöser für die Beschwerden gibt und ob bestimmte Symptomkonstellationen und Verhaltensmuster vorliegen, die mit einem psychosomatischen Krankheits-Modell erklärbar sind. Eine auf diese Art gestellte psychosomatische Diagnose bedeutet jedoch nicht, dass damit eine körperliche Erkrankung ausgeschlossen ist.
Psychische und körperliche Therapie erfolgen simultan
Gerade bei unerklärlichen Beschwerden ist es entscheidend, den Menschen als Ganzes zu sehen. Wichtig ist deshalb, dass simultan sowohl eine psychische als auch eine körperliche Diagnostik und Therapie erfolgen. Dafür müssen Experten aus verschiedenen Fachrichtungen eng koordiniert zusammenarbeiten.
Häufige psychosomatische Beschwerden
Folgende Beschwerden können durch seelische Belastungen (z.B. Angst, Stress, Trauer) hervorgerufen werden:
• Kopfschmerzen
• Schwindel
• Nacken- oder Rückenschmerzen
• Gelenkschmerzen
• Magen-Darm-Beschwerden
• Herzrasen
• Hautausschlag
• Schweißausbrüche
• Atemnot
Panikattacken oder Depressionen durch Fehldiagnose
Wechselwirkungen zwischen Körper und Psyche können zum Teufelskreis werden. Lang anhaltende körperliche Beschwerden, deren Ursache unklar bleibt, führen oft mit der Zeit auch zu psychischen Problemen. Durch die belastende Unsicherheit können sich zum Beispiel Panikattacken oder Depressionen entwickeln.
Umgekehrt kann die Psyche wiederum körperliche Beschwerden auslösen und verstärken. Auf diese Weise führt die enge Verzahnung von Körper und Psyche in einen Teufelskreis, der erkannt und unterbrochen werden muss, um den Betroffenen wirklich zu helfen.
Weitere Diagnostik, wenn Psychotherapie nicht greift
Eine Psychotherapie kann bei unklaren Beschwerden und dem Verdacht auf eine seelische Ursache helfen. In der Therapie erlernen Betroffene Bewältigungsstrategien im Umgang mit zum Beispiel Schmerzen und einen besseren Umgang mit der belastenden Situation. Wenn sich allerdings zeigt, dass die körperlichen Beschwerden trotz Psychotherapie anhalten, sollte eine weitere Diagnostik erfolgen.
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