Niedersachsen: Politik und Versorger rufen zum Gassparen auf
Auch die Niedersachsen sind angehalten, künftig deutlich mehr Gas einzusparen. Der Appell von Politik und Versorgern ist eine Reaktion auf die am Donnerstag ausgerufene Alarmstufe im Notfallplan Gas.
Es geht nach Angaben von Niedersachsens Energieminister Olaf Lies (SPD) jetzt vor allem darum, sich auf einen massiven Mangel in der Zukunft vorzubereiten. "Wenn wir in Zukunft über Nord Stream 1 kein Gas mehr bekommen, dann werden wir, ohne dass wir konsequente Maßnahmen ergreifen, ein Problem im Winter haben", sagte Lies dem NDR in Niedersachsen. Russland hatte in der vergangenen Woche die Lieferung von Erdgas durch die Ostsee-Pipeline Nord Stream 1 um etwa 60 Prozent reduziert und Wartungsarbeiten für Juli angekündigt. "Wir müssen befürchten, dass nach der Revision keine 100 oder nicht einmal mehr 40 Prozent Gas ankommen", sagte Lies. Er hält es für möglich, dass in Zukunft auch die dritte Notfallstufe ausgerufen werden muss. Deshalb müsse jetzt so viel Gas wie möglich eingespart werden.
Lies will Bonus fürs Gassparen - Habeck ist dagegen
Lies forderte zudem, das Energiegeld zu erhöhen. Vor allem müsse es ausgeweitet werden, so dass auch Rentnerinnen und Rentner sowie Studierende davon profitieren, sagte der SPD-Politiker am Freitag. Bislang ist vorgesehen, dass einkommenssteuerpflichtig Beschäftigte eine einmalige Energiepreispauschale von 300 Euro bekommen. Lies schlug weiter vor, der Bund solle den Menschen einen Bonus zahlen, wenn sie ihre Heizung vor dem Winter warten lassen. Damit lasse sich der Gasverbrauch spürbar senken. Es habe sich gezeigt, dass die Menschen reagierten, wenn es Anreize gebe, sagte Lies - räumte aber auch ein, dass Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) in dieser Frage eine andere Meinung vertritt. Habeck hatte am Donnerstagabend im ZDF argumentiert, Gassparen sei nun eine gemeinschaftliche Aufgabe: "Wenn jemand sagt, ich helfe nur, wenn ich nochmal 50 Euro krieg', würde ich sagen: Die kriegst du nicht, Alter."
Die drei Stufen des Notfallplans Gas:
- Stufe 1: Frühwarnstufe, ausgerufen am 30. März 2022, noch keine Eingriffe des Staates in den Markt, Krisenstab tritt zusammen und beobachtet die weitere Lage
- Stufe 2: Alarmstufe, ausgerufen am 23. Juni 2022, weiterhin kein Eingreifen des Staates in die Gasversorgung
- Stufe 3: Notfallstufe, der Staat greift in den Markt ein, die Bundesnetzagentur regelt die Gasverteilung
Versorger bieten Beratungen zum Energiesparen an
Verbraucherinnen und Verbraucher müssen jetzt mit weiter steigenden Energiekosten rechnen. Energieversorger wie EWE mit Sitz in Oldenburg und Enercity in Hannover empfehlen ihren Kunden zum Beispiel, die Heizung regelmäßig warten zu lassen. Zudem wollen sie ihre Beratungsangebote zum Energiesparen ausweiten. Wie stark die Gas-Preise steigen werden, kann der EWE-Vorstandsvorsitzende Stefan Dohler aktuell nicht einschätzen. Klar ist nur: Die Tendenz geht weiter nach oben.
Viele Kunden wenden sich an Verbraucherzentrale
Der drohende weitere Preisanstieg sorgt bei vielen Menschen für große Verunsicherung, wie die Verbraucherzentrale in Niedersachsen zurzeit wahrnimmt. Es gebe derzeit viel Beratungsbedarf und der habe sich direkt nach dem Ausrufen der Alarmstufe erhöht, sagte Energieberater Florian Lörincz von der Verbraucherzentrale. Der Schwerpunkt der Anfragen beziehe sich bereits seit Monaten auf Verträge mit Energieversorgern sowie auf Einsparmöglichkeiten. Zunächst müssten die Kundinnen und Kunden nicht mit steigenden Preisen rechnen, sagte Lörincz, denn allein das Ausrufen der Alarmstufe erlaube den Versorgern nicht, die Preise bestehender Verträge zu erhöhen. Dies werde erst möglich, wenn die Bundesnetzagentur eine sogenannte "Gasmangellage" ausrufe. Mittelfristig rechnet Lörincz mit steigenden Preisen. In welchem Umfang, könne aber auch er nicht einschätzen.
Unternehmerverbände fürchten Existenznöte bei Betrieben
Nicht nur private Verbraucherinnen und Verbraucher machen sich Sorgen. Die Unternehmerverbände in Niedersachsen fürchten, dass viele Betriebe aufgrund der steigenden Energiepreise in Existenznot geraten werden. Schon jetzt versuchen viele Unternehmen allein aus Kostengründen Energie zu sparen, wo sie können. Muss in Zukunft die Stufe 3 des Notfallplans Gas ausgerufen werden, würde die Politik eingreifen und beispielsweise bestimmte Unternehmen vom Gasnetz trennen. Wie das funktionieren kann und welche Industrie nicht so dringend benötigt wird, darauf gibt es laut Energieminister Lies keine einfache Antwort. Deswegen müsse jetzt alles dafür getan werden, nicht in diese Situation zu kommen.
Vorschriften für Biogasanlagen verhindern schnellen Energie-Ersatz
Ein Teil des ausbleibenden Erdgases aus Russland könnte theoretisch auch durch die Energiegewinnung in Biogasanlagen ersetzt werden. Davon gibt es in Niedersachsen rund 1.700. Die Betreiber könnten die Produktion sogar kurzfristig steigern, da es aufgrund einer guten Ernte im vergangenen Jahr viel Substrat für den Betrieb der Anlagen gibt. Aber die Vorschriften verbieten das. So gibt es zum Beispiel für die Nutzung von Mais, dem besten Energielieferanten für die Anlagen, eine Obergrenze. Lies wies in diesem Zusammenhang jüngst auf die großen Flächen hin, die für den Anbau von Mais notwendig sind, um in Biogasanlagen Energie zu erzeugen. Diese Flächen seien aber auch für die Nahrungsmittelproduktion notwendig. In dieser Konkurrenz hätten Nahrungsmittel immer Vorrang, so Lies.