Afrikanische Schweinepest: Massive Kritik am Krisenmanagement
Jahrelang wurde für den Seuchenfall geprobt - erfolgreich. Der erste ASP-Ausbruch breitete sich in Niedersachsen nicht weiter aus. Trotzdem endet er für die Halter im Desaster. Wie konnte das geschehen?
Familie Meyer* ist am Ende. Das Aufstehen in den vergangenen knapp 90 Tagen fiel ihnen jeden Tag schwerer. 300 Sauen und 2.500 Mastschweine halten sie auf ihrem Tierwohl-Betrieb. Eigentlich. Jetzt sind es 1.000 Tiere mehr, denn weil ihr Hof in der ASP-Überwachungszone liegt, werden sie ihre gesunden Tiere nicht mehr los. Die Folgen beschreibt Martin Meyer, der Sohn der Familie, so: "Die Tiere werden immer größer und die Bucht wird dadurch immer kleiner." Und fast jede Woche werden neue Ferkel geboren, auch diese brauchen Platz.
*Familie Meyer heißt eigentlich anders. Aus Sorge vor radikalen Tierschützern ist der Name anonymisiert worden und auch der Ort wird nicht genannt. Die Identität der Familie ist der Redaktion bekannt.
300 Tiere für 60.000 Euro - verschenkt
Um Platz zu schaffen, haben die Meyers einen zusätzlichen Stall in vier Kilometer Entfernung angemietet. Aber das reicht noch nicht, um die Tiere weiterhin artgerecht halten zu können. "Fast jede Nacht bin ich um zwei Uhr aufgewacht und habe mich vor den Fernseher gesetzt, später kamen dann meine Frau und mein Sohn auch noch dazu, die Sorgen ließen uns alle nicht schlafen. Der psychische Druck war riesig", sagt Vater Heiner. Deshalb verschenken sie einen Teil ihrer Mastschweine. Hauptsache, die Sorgen wurden kleiner. Zwei Mal 150 Schweine für null Euro und selbst die Transportkosten von zwei Mal 800 Euro mussten sie selbst zahlen. Eigentlich hätten die 300 Tiere mindestens 60.0000 Euro gebracht. "Man schwankt halt zwischen Wut und völliger Frustration", sagt Sohn Martin, "niemand wusste zu der Zeit, wie lange die Sperre geht."
Versicherung übernimmt nur einen Teil der Kosten
Familie Meyer hat, wie viele andere Schweinehalter auch, eine Ertragsschadenversicherung abgeschlossen. Diese soll im Fall des Falles das Risiko eines Totalverlustes mindern und einen zu großen Verlust auffangen. Nur: Die Futterpreise kennen seit dem Krieg in der Ukraine nur eine Richtung - nach oben. Außerdem konnte niemand damit rechnen, dass Tiere verschenkt werden müssen. Magret Meyer rechnet damit, dass die Familie deshalb auf mindestens zwei Drittel des Schadens sitzen bleibt. "Man hat mit der Bank viel telefoniert und gehofft, dass die dann mitspielen, dass die dann sagen: Ist in Ordnung, macht mal weiter."
Nur 17.000 von 60.000 Schweinen gelangten zum Schlachthof

Nicht nur die Meyers leiden unter der aktuellen Situation. Insgesamt liegen 260 Betriebe mit mehr als 200.000 Tieren in der Überwachungszone. Doch kaum jemand will diese Tiere, obwohl sie nachweislich gesund sind. Insgesamt hätten laut Interessengemeinschaft der Schweinhalter Deutschlands (ISN) 60.000 Tiere in den vergangenen drei Monaten in der Überwachungszone geschlachtet werden müssen. Doch nur rund 17.000 von ihnen fanden ihren Weg zum Schlachthof - 14.000 davon wurden allein in Geldern in Nordrhein-Westfalen geschlachtet.
Niemand will das Fleisch der gesunden Tiere
Schlachthofbetreiber Heiner Manten wollte Druck von den Landwirten nehmen. Nun lagern bei ihm mehr als 700 Tonnen Schweinefleisch, das niemand haben will. "Für mehr als 90 Prozent der Tiere, die wir geschlachtet haben, haben wir noch keinen Käufer gefunden", sagt Manten. "Es gibt Ressentiments, sowohl beim Endverbraucher als auch im Handel." Nun liegt das Fleisch von knapp 13.000 Tieren tiefgekühlt auf unzähligen Paletten in einem Hochregallager. Darauf ein gelber Aufkleber: "ACHTUNG: Fleisch aus Restriktionsgebieten". "Bezahlt wird das Lagern des Fleisches bis zum Jahresende vom niedersächsischen Landwirtschaftsministerium", sagt Manten. Was danach kommt, weiß er noch nicht. Notfalls werde es zu Hundefutter verarbeitet. Dabei hat das Fleisch laut Manten keine Mängel: "Die Tiere sind stichprobenweise sieben Tage vor Schlachttermin untersucht worden. Also eigentlich, wenn man ehrlich ist, sichereres Fleisch gibt es nicht."
Edeka verweist auf gesetzliche Anforderungen
Trotzdem haftet dem Fleisch das Stigma Afrikanische Schweinepest an. Der Einzelhandel will es offenbar nicht in seinen Regalen. Der NDR in Niedersachsen hat bei einigen große Supermarktketten nachgefragt. Alle beteuern, sie wollten helfen, konkret wird aber kein Unternehmen. Die Ursache des Problems sehen die Verantwortlichen in den gesetzlichen Auflagen, die mit der Verarbeitung des Fleisches aus der Überwachungszone einhergehen, so muss es zum Beispiel auf 82 Grad erhitzt werden. Damit eignet es sich nur noch für Produkte wie Dosenfleisch oder Brühwurst. Der Handelskonzern Edeka schreibt dazu: "Ein Vertrieb von fertiger Ware, zum Beispiel in Form von Brühwurst, wird seitens der EDEKA Minden-Hannover nicht prinzipiell ausgeschlossen, sofern alle gesetzlichen Anforderungen eingehalten werden. Begehungen der betroffenen Betriebe durch Vertreter von Bauerngut gemeinsam mit den zuständigen Veterinären haben jedoch ergeben, dass eine Eigenproduktion nicht umsetzbar ist, da die erforderliche Separierung des Fleisches aus der ASP-Schutzzone im Produktionsprozess nicht durchgehend gewährleistet werden könnte."
Schweinehalter kritisieren Handel und Politik
Heißt für die Interessengemeinschaft der Schweinehalter im Klartext: zu kompliziert, zu umständlich, zu teuer. ISN-Sprecher Torsten Staack: "Wenn ein Wille da gewesen wäre, dann hätte sich doch auch für die Mengen, die dort entstanden sind, ein Weg gefunden, das in den Markt zu bringen. Das Fleisch wird permanent kontrolliert und trotzdem lässt sich kein Abnehmer finden. Da muss man auch ganz klar sagen, da wollte man nicht." Auch die Politik kritisiert Staack. "Es ist nicht gelungen, die entsprechenden Akteure an einen Tisch zu bekommen und gemeinsam an einem Strang zu ziehen", beklagt er. Es fehle an Einsatzbereitschaft für die Schweinehalter.
Auch Bundeswehr will das Fleisch nicht
Dem widerspricht Landwirtschaftsministerin Barbara Otte-Kinast (CDU) deutlich. Man habe immer wieder zu Runden geladen und sich mit allen Akteuren auseinandergesetzt. "Wir haben selbst das Versorgungsamt der Bundeswehr angefragt, wir haben die Verteidigungsministerin angeschrieben. Wir haben wirklich versucht, alle Kanäle aufzuzeigen, wohin das Fleisch gehen könnte. Aber niemand habe das Fleisch gewollt und deswegen wurde nicht geschlachtet. Das heißt, die Kette, die eigentlich gut ineinander greift, die hat überhaupt nicht funktioniert."
Moralischer und finanzieller Schaden
Heiner Meyer findet es moralisch verwerflich, dass das Fleisch seiner gesunden Tiere vielleicht zu Hundefutter verarbeitet werden muss, nur weil es aus einer ASP-Überwachungszone stammt. "Wir haben eigentlich umsonst gearbeitet, wenn die Gesellschaft und die Gesetzgebung meint, es sich heute leisten zu können, so was einfach zu opfern."
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