Kristin Eichhorn steht zwischen Bücherregalen © Simon Ratmann/Uni Paderborn Foto: Simon Ratmann

#IchBinHanna: Streitschrift zur Onlinekampagne und ihre Folgen

Stand: 29.03.2022 18:59 Uhr

Unter #IchBinHanna protestieren Doktoranden und Postdocs gegen das Wissenschaftszeitvertragsgesetz und damit gegen die unsicheren, zermürbenden Arbeitsbedingungen. Ein Gespräch mit der Autorin Kristin Eichhorn.

Wissenschaftszeitvertragsgesetz: So unangenehm es auszusprechen ist und klingt, so problematisch ist der Inhalt. Seit 2007 sind die Arbeitsbedingungen und Berufsaussichten für den akademischen Mittelbau durch dieses Gesetz sehr erschwert. Die meisten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler hangeln sich von einem befristeten Job zum nächsten. Wer nicht das Glück hat, eine feste Stelle zu ergattern, fällt nach einigen Jahren endgültig aus dem System heraus.

Im vergangenen Jahr sorgte ein Video des Forschungsministeriums für Furore. Am Beispiel der fiktiven Biologin Hanna wurden vermeintliche Vorzüge des Gesetzes angepriesen. Amrei Bar, Kristin Eichhorn und Sebastian Kubon reagierten mit einem Hashtag #IchBinHanna und bekamen postwendend viele Reaktionen. Mehr als 134.000 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler haben über die Auswirkungen des Arbeitens ohne soziale Absicherung und von Überlastung und Depressionen berichtet.

Jetzt ist eine Streitschrift in Buchform dazu erschienen mit dem Titel "#IchBinHanna - Prekäre Wissenschaft in Deutschland". Ein Gespräch mit der Autorin Kristin Eichhorn.

Was hat Sie dazu bewogen, gemeinsam diese Streitschrift herauszugeben?

Kristin Eichhorn: Es war uns ein Anliegen, diese ganzen Tweets, die ja doch auch sehr flüchtig sind, auch noch mal zu sammeln und alle Anregungen noch mal in Buchform zu publizieren, um auch ein Publikum zu erreichen, dass sich nicht so sehr auf sozialen Medien bewegt.

Welche Reaktionen auf diese Kampagne hin würden Sie hervorheben?

Eichhorn: Wir waren sehr von den Reaktionen überrascht. Die Presse hatte es ja schnell aufgegriffen. Und zwei Wochen nach Beginn des Hashtags war schon eine Aktuelle Stunde im Bundestag. Wir sind ja auch im Koalitionsvertrag der neuen Regierung gelandet. Das hat doch sehr große Wellen geschlagen.

Können Sie da einzelne Beispiele von Akademikerinnen oder Akademikern herausgreifen, die sie besonders beindruckt haben?

Eichhorn: Besonderen Eindruck machen eigentlich all diese Schilderungen, dass Menschen, die aus dem Ausland kommen, zum Beispiel keinen Aufenthaltsstatus haben oder der Aufenthaltsstatus abhängig ist von der Länge ihres Vertrages. Das finde ich ein besonders krasses Beispiel. Dass also das deutsche System Wissenschaftler*innen aus dem Ausland mit vielen Programmen hereinzieht, aber dann sie eigentlich auf sich selbst gestellt lässt, ob sie überhaupt bleiben können.

Welche Folgen hat das Wissenschaftszeitvertragsgesetz für Forschende und Studierende hierzulande - und damit auch für den Wissenschaftsstandort Deutschland?

Eichhorn: Zunächst hat es die Folge, dass es eigentlich keinerlei Kontinuität gibt. Für die Beschäftigten bedeutet das, dass sie sich bis Mitte 40 in der Regel von Zeitvertrag zu Zeitvertrag hangeln, ohne zu wissen, ob es weitergeht und dann ausscheiden müssen zu einem Zeitpunkt, wo sie eigentlich zu alt sind, um sich woanders neu zu orientieren. Studierenden fehlen damit zuverlässige Ansprechpartner. Da sind oft die Leute nicht mehr da, wenn sie Abschlussarbeiten schreiben und Forschung wird natürlich dann auch nur in Häppchenform betrieben. Oder man kommt gar nicht dazu, weil man ständig Bewerbungen oder Anträge schreibt. Also das wirkt sich in jeder Hinsicht negativ für den Wissenschaftsstandort Deutschland aus.

Am Dienstag hat nun eine Tagung der Hochschulrektorenkonferenz begonnen, unterstützt durch die Stiftung Innovation in der Hochschullehre - unter dem Motto "Aufbruch in eine andere Hochschulwelt". Versprechen Sie sich da was davon?

Eichhorn: Es finden im Moment sehr viele Diskussionen statt, was ich auch sehr gut finde. Ob jetzt diese eine Tagung den Ausgangspunkt von großer Veränderung bedeutet, das weiß ich nicht. Aber es ist wichtig, dass an allen Ecken und Enden darüber diskutiert wird. In Summe kann es etwas bringen, glaube ich.

Welche Impulse würden Sie in die Diskussion geben, wenn sie dabei wären? Was denken Sie, was muss geschehen, um die Bedingungen zu verbessern?

Eichhorn: Es braucht eine große Gesamtreform und es braucht einfach die Beteiligung von allen beteiligten Akteuren. Man kann an allen Ecken und Enden etwas tun. Die Hochschulen können natürlich selbst über Selbstverpflichtungen längere Verträge machen. Aber natürlich muss auch die Politik ran, indem sie das Wissenschaftszeitvertragsgesetz reformiert, sodass wir den unbefristeten Arbeitsvertrag nach der Promotion zur Regel machen. Und auch die Länder haben natürlich wichtige Aufgaben - allein schon, was die Grundfinanzierung betrifft.

Das Gespräch führte NDR Kultur Moderatorin Raliza Nikolov.

 

Dieses Thema im Programm:

NDR Kultur | Klassisch unterwegs | 29.03.2022 | 14:20 Uhr

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