Das Gelände des ehemaligen KZ Sobibor in Polen © NDR / WDR
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Das Gelände des ehemaligen KZ Sobibor in Polen © NDR / WDR
AUDIO: "Shlomo - Der Goldschmied und der Nazi": Begegnung in der Hölle (1/5) (26 Min)

Sobibór: Aufstand im Todeslager der Nazis

Stand: 22.01.2024 15:30 Uhr

Das Todeslager der Nationalsozialisten wurde 1942 im heutigen Polen errichtet. Im Oktober 1943 kommt es zu einem Aufstand von rund 300 Inhaftierten. Nach der Revolte lösen die Nazis das Vernichtungslager auf.

Aus dem Todeslager Sobibór kommen im Zweiten Weltkrieg nur wenige Menschen lebend wieder heraus. Neben den Konzentrationslagern Treblinka und Belzec dient es in den damals von NS-Deutschland besetzten polnischen Gebieten der systematischen Ermordung von Juden. Unter dem Tarnnamen "Aktion Reinhardt" sterben in den drei Vernichtungslagern zwischen Juli 1942 und Oktober 1943 etwa 1,6 bis 1,8 Millionen Juden sowie rund 50.000 Roma aus den deutsch besetzten Teilen Polens.

Sobibór: Ein düsteres Kapitel deutscher Geschichte

Sobibór liegt im Südosten Polens, im heutigen Dreiländereck von Polen, Belarus und der Ukraine. Nahezu alle Gefangenen werden in dem Lager direkt von den Zügen in die Gaskammern geführt. Verschont bleiben nur wenige: Rund 550 jüdische Häftlinge arbeiten in Reparaturwerkstätten und verrichten Hilfsdienste. Lagerkommandant ist Fritz Stangl, ein Polizeibeamter aus Österreich. Sein Stellvertreter ist SS-Oberscharführer Gustav Wagner. Er entscheidet direkt an der Rampe über Leben und Tod.

Gleise führen auf das Gelände des ehemaligen KZ Sobibor in Polen © NDR / WDR
Das Lager Sobibór lag an der Bahnlinie Chełm-Włodawa. Diese Gleise führten direkt ins Lager - und für Tausende Menschen direkt in den Tod.

Anfang Mai 1942 treffen die ersten Transporte mit polnischen, österreichischen und tschechischen Juden aus den Ghettos des Distrikts Lublin im Vernichtungslager Sobibór ein. Ihr Gepäck müssen sie an der Eisenbahnrampe zurücklassen und sich direkt in die Entkleidungsbaracke begeben. Von dort führt ihr Weg in die Gaskammern, in die mithilfe eines Dieselmotors Abgase eingeleitet werden.

Gustav Wagner: "Die Bestie von Sobibór"

Der Chef-Aufseher Gustav Wagner gilt als besonders brutal. Immer wieder, so beschrieben es die wenigen Überlebenden, habe Wagner sich wahllos Opfer gesucht, sie gedemütigt, erniedrigt und ermordet; so auch ein Baby vor den Augen seiner Mutter. Sein Ruf bringt ihm den Beinamen "Die Bestie von Sobibór" ein. Unter dem Kommando von Stangl und Wagner werden in Sobibór bis zu 250.000 Menschen ermordet, darunter mehr als 30.000 Niederländer. Eine genaue Bestimmung der Todeszahlen ist nicht möglich, da alle schriftlichen Unterlagen vernichtet wurden.

Aufstand der Mutigen - Widerstand gegen das NS-Unrecht

Am 14. Oktober 1943 zetteln einige mutige jüdische Gefangene unter der Leitung von Alexander Petscherski und Leon Feldhendler eine Revolte an. Nach dem Aufstand im Vernichtungslager Treblinka am 2. August 1943 ist der Aufstand von Sobibór der zweite erfolgreiche Widerstand in den Todeslagern. Die über 300 Aufständischen töten zwölf SS-Wachleute, brechen aus Sobibór aus und versuchen, in die umliegenden Wälder zu flüchten. Viele Gefangene sterben jedoch auf der Flucht im Kugelhagel der Wachleute oder im Minenfeld am äußeren Zaun des Lagers. Rund 200 Widerständler überleben den Fluchtversuch. Der britische Regisseur Jack Gold hat die damaligen Ereignisse 1987 in seinem Film "Flucht aus Sobibór" verfilmt.

Nazis lassen das Todeslager Sobibór "verschwinden"

In der Folge des Aufstands tötet die SS die zurückgebliebenen Lager-Gefangenen, die nicht fliehen konnten. Anschließend lassen die Nazis das Todeslager einebnen. Sie vernichten alle Beweise und pflanzen Bäume, wo vorher der Massenmord organisiert wurde. Nichts sollte an das Todeslager erinnern.

Ein Jude trifft auf seinen Peiniger

Unter den Geflüchteten ist damals auch der erst 16-jährige Stanisław Szmajzner. Die Flüchtigen tauchen unter oder schließen sich Partisanengruppen an. Von den Überlebenden aus Sobibór überleben rund 60 Menschen das Ende des Zweiten Weltkrieges. Stanisław "Shlomo" Szmajzner ist einer von ihnen. Ihm gelingt die Flucht nach Brasilien - dort wird er 35 Jahre nach den dramatischen Ereignissen seinen Peiniger Gustav Wagner wiedertreffen. Zwei Jahre später, 1980, wird Wagner tot in seinem Badezimmer gefunden. Hat "Shlomo" etwas damit zu tun? Oder verbirgt sich hinter diesem Verdacht nur der Wunsch derer, die auf späte Rache hoffen?

Reporter von NDR und WDR haben sich auf eine jahrelange historische Spurensuche begeben, in fünf Ländern auf drei Kontinenten recherchiert. Die dreiteilige Doku-Serie und der fünfteilige Podcast "Shlomo - Der Goldschmied und der Nazi" führen in eine Welt von Schuld, Rache und Gerechtigkeit - zu sehen in der ARD Mediathek und zu hören der ARD Audiothek.

Am 24. Januar 2024 läuft ab 23.15 Uhr Shlomo - Sehnsucht nach Rache als Einteiler im NDR Fernsehen. Diese Doku wird bereits am 22. Januar um 23.05 Uhr im Ersten gezeigt. ARTE sendet am 23. Januar um 21.50 Uhr die Doku Sobibor - Anatomie eines Vernichtungslagers.

Überlebende sagen in Prozessen gegen Kriegsverbrecher aus

Die einstigen Geschehnisse im Vernichtungslager Sobibór werden erst zwei Jahrzehnte nach Ende des Zweiten Weltkriegs, Mitte der 1960er-Jahre, von einer breiteren deutschen Öffentlichkeit zur Kenntnis genommen. Auch weil die wenigen Überlebenden aus aller Welt zurück nach Deutschland reisen - und vor Gericht Zeugnis ablegen. So wird Stangl im Dezember 1970 vor dem Landgericht Düsseldorf wegen gemeinschaftlichen Mordes an mindestens 400.000 Menschen zu lebenslanger Haft verurteilt. In einem der letzten spektakulären NS-Kriegsverbrecherprozesse in Deutschland wird John Demjanjuk in München vor Gericht gestellt. Nach seiner Gefangennahme durch die deutsche Wehrmacht war der ehemalige ukrainische Soldat der Roten Armee von März bis September 1943 als Helfershelfer der SS in Sobibór eingesetzt. Am 12. Mai 2011 wird Demjanjuk wegen Beihilfe zum Mord in rund 28.000 Fällen zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren verurteilt.

Gedenkallee und Museum erinnern an die Opfer von Sobibór

Ein Mahnmal erinnert an die Opfer des KZ Sobibor. © picture alliance / dpa Foto: Przemek Wierzchowski
Ein Mahnmal erinnert an die Opfer des Konzentrationslagers Sobibór. Es liegt im heutigen Polen.

Zum Gedenken an die Opfer von Sobibór lässt der polnische Staat 1961 ein Mahnmal auf dem Aschefeld errichten. Zum Jahrestag des Aufstands wird 1993 ein kleines Museum eingerichtet und eine Gedenktafel ausgewechselt - zuvo rwaren die fast ausschließlich jüdischen Opfer dort nicht erwähnt worden. 2006 wird eine Gedenkallee gepflanzt - sie folgt dem ehemaligen Weg, den die Gefangenen von der Rampe der Eisenbahn bis zu den Gaskammern gehen mussten. 2017 weicht das alte Museum einem Neubau: Zum 77. Jahrestag des Aufstands von Sobibór, im Oktober 2020, öffnet das neue Museum in der Gedenkstätte.

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