Vor 230 Jahren: Heiligendamm geht als erstes Seebad in Betrieb

Stand: 21.09.2023 05:00 Uhr

Heiligendamm an der Ostsee ist das erste deutsche Seebad. Am 21. September 1793 geht es in Betrieb. Wenig später entstehen auch an der Nordsee die ersten Badeorte. Schnell wird der Badebetrieb zum gesellschaftlichen Ereignis.

von Stefanie Grossmann

Bereits 1793 fragt der Schriftsteller Georg Christoph Lichtenberg im Göttinger Taschen Calender: "Warum hat Deutschland noch kein öffentliches Seebad?" Dabei sind Mediziner wie der Travemünder Arzt Johann Georg Walbaum schon damals überzeugt, dass sich Seebäder positiv auf die Gesundheit auswirken. In England tauchen bereits seit 1751 Fürsten auf Anraten ihrer Hofärzte ins Meer.

Baden im Meer als Vergnügen des Adels

Herrenbadestrand in Norderney (Farbholzstich). © picture-alliance / akg-images Foto: akg-images
Bis zum 18. Jahrhundert galt es als unkultiviert, im Meer zu baden. Dann entdeckten Mediziner die positive Wirkung des Badens auf den Körper.

Das gleicht einer Sensation, denn bis dahin hatten die Menschen nur die Badefreuden der Römer und Griechen in eigens dafür errichteten Bädern gekannt. Das Meer galt als unheimlich und unkultiviert, also nicht zur körperlichen Erbauung geeignet. Doch die Empfehlungen der Mediziner setzen sich allmählich durch, und während sie Meeresbäder vor allem als Gesundbrunnen für die Industriearbeiter empfehlen, trifft sich der Adel aus gesellschaftlichem Anlass in den neu entstehenden Seebädern. Denn nur die Oberschicht kann sich diese Sommerreisen auch leisten.

Doberan - erstes deutsches Seebad

Die Errichtung eines Seebades lässt sich jedoch ohne Genehmigung der Obrigkeit und ohne Gönner sowie Geldgeber nicht bewerkstelligen. Mit dem entsprechenden Beschluss vom 22. Juli 1793 ist es der Adel, der in Norddeutschland das erste Seebad gründet. In Doberan - auf dem Heiligen Damm - soll am 9. September 1793 Friedrich Franz I., Herzog von Mecklenburg-Schwerin, auf Anraten seines Leibarztes Professor Samuel Gottlieb Vogel mit seinem Gefolge in die Fluten gestiegen sein. Am 21. September 1793 geht das erste Badehaus offiziell in Betrieb, damals noch recht spartanisch. Die Badesaison im Jahr 1794 eröffnet der Herzog als erster Badegast mit seinem Hofstaat.

Um all das zu finanzieren, hat Friedrich Franz I. der Zeitschrift "Mare" zufolge dem König von Oranien 1.000 Männer für dessen Heer verkauft. Schon 1798 werden 540 Badegäste am Heiligen Damm verzeichnet. In wenigen Jahren wird Heiligendamm zum sommerlichen Treffpunkt der adligen Prominenz aus dem In- und Ausland. Sie lässt ihr Geld im Kasino und auf der Rennbahn des jungen Seebads und beschert dem Landesvater reichen Gewinn.

Was an der mecklenburgischen Ostsee so gut funktioniert, wollen andere auch: Immer mehr Küstenorte an Nord- und Ostsee planen Seebäder. 1797 entsteht auf der ostfriesischen Insel Norderney das zweite Seebad, 1802 folgt Travemünde in der Lübecker Bucht, 1816 Cuxhaven.

Wyk auf Föhr verspricht "reine Gesundheit"

Badestrand in Wyk auf Föhr um 1900. © Archiv Dr.-Carl-Häberlin-Friesen-Museum
Um 1900 gab es in Wyk auf Föhr bereits regen Badebetrieb am Strand.

Das erste nordfriesische Seebad wird 1819 in Wyk auf Föhr errichtet. Die Gründung erfolgt auch aus wirtschaftlicher Not, denn die gewinnbringenden Walfangzeiten sind vorbei, und die Napoleonische Seehandelsblockade hat der Insel zusätzlich geschadet.

Ab 1842 beginnt mit der "Königszeit", in der Dänemarks König Christian VIII. alljährlich mit seinem Hofstaat auf die Insel kommt, Wyks glanzvollste Ära. In seinem Gefolge strömt per Schiff jeder herbei, der dazugehören will. In Wyk entsteht eine Residenz mit Königshaus und -garten.

Mit dem "Aalkasten" oder Badekarren ins Meer

Badekarren und Reiter "Broder Petersen" in Wyk auf Föhr im Jahre 1927. © Archiv Dr.-Carl-Häberlin-Friesen-Museum
Wer es sich leisten konnte, ließ sich im Badekarren von einem Reiter ins Meer ziehen.

Anfangs baden die Gäste von kleinen Badeschiffen oder Schaluppen aus, die im flachen Wasser verankert sind. Die Badewilligen werden in einen Käfig im Rumpf des Schiffes, den sogenannten Aalkasten, gesteckt und untergetaucht. Der Nachteil daran: Diese Käfige taugen nicht bei stürmischem Wetter, Badegäste werden darin häufig seekrank und allzu korpulente Personen passen nicht hinein. Die Alternative sind Badekarren, die es ab 1797 auch in Deutschland gibt. Einer der berühmtesten Badegäste auf Föhr, der dänische Dichter Hans-Christian Andersen, schreibt 1844: "Ich hatte den ganzen Tag gebadet. Es ist vergnüglich arrangiert, man kommt in ein kleines Badehäuschen hinein, und während man sich auszieht, reitet ein Knecht ein Pferd, welches das ganze Haus weit ins Meer zieht."

Um Sitte und Moral nicht zu gefährden, baden Männer und Frauen stets getrennt voneinander. Schirme oder Bretterzäune sorgen für zusätzlichen Sichtschutz, denn auf Anraten der Ärzte baden die meisten Gäste nackt.

Beschwerliche Anreise mit Kutsche, Bahn und Schiff

Die Reisewege zu den Seebädern sind voller Hindernisse. So brauchen Reisende von Hamburg nach Föhr drei Tage. Zunächst geht es per Kutsche oder Bahn nach Niebüll, dann mit der Marschbahn nach Dagebüll und anschließend weiter mit dem Schiff. Diese Schiffe sind anfangs einfache Schuten oder auch offene Segelboote. Vielen Reisenden wird bei der Überfahrt übel.

Die Fotografie von 1890 zeigt das Ausbooten von Passagieren auf Helgoland. © picture-alliance / akg-images Foto: akg-images
Kräftige Helgoländer packten zu, um Badegästen 1890 aus Booten auf die Insel zu helfen.

Auch die Ankunft ist häufig beschwerlich: "Das Ausbooten auf schwankenden Planken vor Helgoland gab allen den Rest. Dass vor allem die Damen von den kräftigen Helgoländern Huckepack genommen und auf starken Armen von Bord getragen wurden, machte meist nur den Zuschauern Freude", schreibt Jutta Kürtz in ihrer "Kleinen Kulturgeschichte der Sommerfrische".

Ab 1829 gibt es einen Seebäderdienst zwischen Hamburg und Helgoland. Sommerfrischler nach Föhr fahren von dort weiter mit dem Dampfschiff. Erst ab Mitte des 19. Jahrhunderts 1847 verkehrt ein Raddampfer zwischen Husum und Wyk auf Föhr. Bis in die 1930er-Jahre sind viele Inseln autofrei.

Um die Jahrhundertwende lockern sich die Badesitten

Noch bis Ende des 19. Jahrhunderts herrschen in den Badeorten strenge Moralvorstellungen. Doch um die Jahrhundertwende setzen sich die Gemeinden vermehrt für die Einrichtung von Familienbädern ein. 1902 entsteht auf Norderney das erste. Voraussetzung dafür: die richtige Bademode wie undurchsichtige Anzüge mit Beinkleid - bei Frauen auch gerne mit Schößchen. Jetzt dürfen Familien endlich zusammen am Strand spielen und baden.

Ab 1900: Auch Bürger fahren zur Sommerfrische

Mit fortschreitender Industrialisierung suchen immer mehr Stadtbürger Erholung in den Seebädern - oft nur für ein Wochenende, da viele noch kein Recht auf Urlaub haben. Aber der Sommerurlaub ist nicht mehr ausschließlich Privileg der Reichen. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts haben sich die Verkehrsverbindungen stark verbessert. Vor allem die Bäder an der Ostsee sind gut zu erreichen und begehrt. Die konkurrierenden Seebäder an der Nordsee reagieren auf den Wandel mit einem breiten Angebot. So haben Sommerfrischler auf den nordfriesischen Inseln die Wahl zwischen dem mondänen Westerland auf Sylt, dem gutsituierten Wyk auf Föhr und dem bodenständigen Norddorf auf Amrum.

Weitere Informationen
Damen am Badekarren am Strand von Norderney um 1910. © picture-alliance / akg-images Foto: akg-images

Chronologie: Die ersten deutschen Seebäder

1793 beginnt in Doberan die Erfolgsgeschichte der norddeutschen Seebäder. Nach und nach werden die Küstenorte an Nord- und Ostsee zu Anziehungspunkten für Badegäste. mehr

Das erste deutsche Seebad wurde 1793 in Heiligendamm an der Ostsee eröffnet. © Radio Bremen/vidicon

Grand Hotel Heiligendamm: Zwischen Traum und Pleite

Am 30. Mai 2003 ist das Grand Hotel Heiligendamm eröffnet worden. Der Investor sammelte viel Geld, erfüllte sich einen Traum - und ging pleite. mehr

Badekarren mit Vorhang in der Nordsee bei Cuxhaven Anfang des 19. Jahrhunderts © Stadtarchiv Cuxhaven

Als Cuxhaven zum Seebad wurde

Am 24. Juni 1816 gründen Hamburger Politiker und Kaufleute in Cuxhaven ein Seebad. Zunächst baden dort nur einige Adelige. mehr

Eine Gruppen von Menschen steht in der Ostsee, zwei Männer tragen Kinder auf den Schultern, vermutlich 1920er-Jahre © Jürgen Kraft

Vom Matrosenanzug zum Bikini: Bademoden im Wandel der Zeit

Mit den ersten Seebädern an Nord- und Ostsee wird auch die Frage nach dem passenden Badekleid immer wichtiger. Eine Zeitreise. mehr

Ansicht der Binzer Seebrücke von 1910 © dpa Foto: Sammlung Dr. Harald Jatzke

Seebrücke Binz: Ein Unglück führt zur Gründung der DLRG

Die Gründung der DLRG geht auf ein tragisches Unglück zurück: Bei einem Unfall ertranken 1912 auf der Insel Rügen 16 Menschen. mehr

Historische Aufnahme des Dampfschiffs "Augusta Victoria" der Reederei Hapag auf See.

Luxus auf See: Vom Beginn der Kreuzfahrt

Die Vergnügungsreise der "Augusta Victoria" von Cuxhaven ins Mittelmeer 1891 geht später als erste Kreuzfahrt in die Geschichte ein. mehr

Dieses Thema im Programm:

Unsere Geschichte | 04.06.2023 | 15:15 Uhr

Schlagwörter zu diesem Artikel

Neuzeit

Mehr Geschichte

Im Sassnitzer Stadthafen liegt am 24.07.2000 der aus der Ostsee geborgene Fischkutter "Beluga". © picture-alliance / ZB Foto: Stefan Sauer

1999: Der rätselhafte Untergang der "Beluga" in der Ostsee

Vor 25 Jahren sank der Sassnitzer Fischkutter "Beluga". Drei Seeleute starben in der Ostsee. Noch immer ist die Ursache unklar. mehr

Norddeutsche Geschichte