Karl Dönitz mit Mitgliedern der Geschäftsführenden Reichsregierung vor einem Gebäude in Flensburg. © picture-alliance / akg-images

Flensburger NS-Regierung macht nach Kapitulation einfach weiter

Stand: 17.04.2025 15:25 Uhr

Am 9. Mai 1945 schweigen offiziell die Waffen. Hitlers Nachfolger Dönitz bleibt mit Ministern aber im Amt. Die "Regierung" beschäftigt sich mit absurden Aufgaben, bestätigt aber auch Todesurteile. Teil 3 einer Chronik.

von Peer-Axel Kroeske

Sie wollen einfach nach Hause. Im dänischen Svendborg verlassen am 6. Mai 1945 vier Soldaten ihr Boot, nachdem sie von der Teilkapitulation gehört haben. Doch ein Hilfspolizist greift sie auf. Am Himmelfahrtstag, den 10. Mai, vollstrecken Soldaten auf dem Achterdeck in der Geltinger Bucht zwischen gesunkenen U-Booten das Todesurteil für drei bereits Verurteilte.

Keine Strafen für die Verantwortlichen

Bestätigt hatte das Urteil der Marineoffizier Rudolf Petersen, der 1953 vom Vorwurf des Totschlags freigesprochen wurde. Bis 1958 leitete er die renommierte Hanseatische Yachtschule in Glücksburg (Kreis Schleswig-Flensburg). Das Oberkommando der Marine bestätigt noch bis zum 15. Mai 1945 weitere Todesurteile. Erst an diesem Tag untersagen die Briten jeglichen Waffengebrauch durch die Deutschen.

11. Mai - Flüchtlinge in Bewegung

Es sind bewegte Tage: Am 11. Mai verlassen rund 1.350 ausländische Häftlinge Flensburg auf einem Dampfer, der Kurs auf das schwedische Malmö nimmt. Kranke KZ-Flüchtlinge verlassen am Folgetag den Dampfer "Rheinfels" und begeben sich in die Diakonissenanstalt.

12. Mai - Himmler startet seine Flucht in Kollerup

Der von den Alliierten gesuchte SS-Chef Heinrich Himmler versucht, sich mit falschen Papieren in seine süddeutsche Heimat durchzuschlagen. Am 12. Mai wird er noch einmal in der vorherigen Kommandozentrale der Wehrmacht in Kollerup gesehen. Sein weiterer Weg führt über den Nord-Ostsee-Kanal nach Dithmarschen und schließlich über die Elbe. Nur noch einzelne Gefährten begleiten ihn.

Die meisten Hitlerporträts bleiben hängen

Im Sonderbereich Mürwik produziert dagegen eine Regierung ohne Reich Schriftstücke, die niemand lesen will. Man diskutiert über die Frage, ob ein Kirchenminister ernannt werden soll. Oder es wird ein Konzept für die Wehrmachtsausbildung 1947 entworfen, berichten Briten, die dort einen Einblick bekommen. Alkohol ist hier verfügbar und wird konsumiert. Die Hitlerporträts werden nur in den Räumen abgehängt, in denen Gäste empfangen werden. Dönitz erwägt auch einen Rücktritt seines Kabinetts. Er will aber Ansprechpartner für die Alliierten bleiben.

Reichsregierung kaum beachtet von den Flensburgern

Inwieweit die Flensburger das Fortbestehen der Regierung Dönitz überhaupt registrieren, ist unklar. Der politisch interessierte Lehrer Wilhelm Clausen notiert in seinem Tagebuch zwar, wen die Briten bei der Polizei und im Rathaus neu einsetzen. Er erwähnt, dass Himmler in Flensburg und Harrislee (Kreis Schleswig-Flensburg) gesehen wurde und fragt sich, ob es zu Racheakten kommen wird. Die Vorgänge in Mürwik sind aber kein Thema. Andere Sorgen wiegen schwerer: Seine Familie muss Flüchtlinge aufnehmen, die Lebensmittelrationen sind knapp, die Stromversorgung ist häufig unterbrochen.

13. Mai - Der Reichssender Flensburg verstummt

Der Reichssender Flensburg verstummt am 13. Mai. Dönitz und Wehrmachts-Kommandeur Busch hatten unautorisierte Ansprachen gehalten. Die Briten demontieren daraufhin die Technik. Bereits seit dem 4. Mai sendet "Radio Hamburg - Station of the Military Government". Viele Menschen informieren sich auch über die BBC.

14. Mai - Wachtposten erschießt Kommandeur Lüth

Vier Soldaten stehen um den Sarg von Wolgfang Lüth, der mit einer Reichskriegsflagge bedeckt ist. © Lehrsammlung der Marineschule Mürwik Foto: unbekannt
Beim Staatsbegräbnis für den Kommandeur der Marinekriegsschule Lüth am 16.5. kommt ein letztes Mal in Mürwik die Reichskriegsflagge zum Einsatz.

Als der Kommandeur der Marinekriegsschule Wolfgang Lüth am 14. Mai kurz nach Mitternacht auf einen Wachtposten trifft, ist er vermutlich angetrunken. Er muss eine Parole nennen, tut dies aber offenbar nicht. Ein junger Soldat erschießt ihn daraufhin. Die genauen Umstände bleiben offen. Auf dem Staatsbegräbnis am 16. Mai mit der verbotenen Reichkriegsflagge tritt Dönitz als Redner auf. Lüth war als U-Boot-Kommandant unter anderem für die Versenkung von 46 Handelsschiffen in aller Welt verantwortlich.

23. Mai - Die Verhaftung: Pressefotos für die Welt

Gefangenenaufnahme von Karl Dönitz im Porträt mit Häftlingsnummer © picture alliance / ASSOCIATED PRESS Foto: picture alliance / ASSOCIATED PRESS
Von 1946 bis 1956 saß Dönitz in Berlin-Spandau in Haft. Seinen Lebensabend verbrachte er in Aumühle.

Am 23. Mai ist der Spuk schließlich vorbei. Die Alliierten verhaften die Reichsregierung, deren Angehörige sich durch die genaue Leibesvisitation erniedrigt fühlen. Dönitz, Jodl und Speer werden in den Hof des Flensburger Polizeipräsidiums geführt, wo internationale Pressefotografen Bilder aufnehmen, die um die Welt gehen. Es ist eine Inszenierung mit Symbolcharakter, bevor die Nazigrößen vom Flugplatz Schäferhaus aus in Gefangenschaft gehen.

Himmler schluckt Zyankali

Wie berechtigt die genaue Körperkontrolle ist, zeigt sich, als die Briten Heinrich Himmler bei Meinstedt in Niedersachsen aufgreifen. Zunächst erkennen sie ihn nicht. Im Hauptquartier in Lüneburg nennt er am 23. Mai dann seinen Namen. Ein Arzt kann nicht verhindern, dass Himmler eine Zyankalikapsel zerbeißt. Der Tod des Holocaust-Organisators tritt kurz danach ein.

Die Quellen der Chronik

Die genannten Ereignisse hat der Flensburger Historiker Prof. Gerhard Paul in seinem Januar 2025 erschienenen Buch "Mai 1945: Das absurde Ende des Dritten Reiches" ausführlich beschrieben.
Himmlers Irrfahrt beleuchtet ein Artikel des Historikers Claus Olsen in den Grenzfriedensheften 2/2024.
Weitere Hinweise enthält das Buch "Regierung Dönitz", in dem er Anfang der 1950er Jahre Dönitz-Adjutant Walter Lüdde-Neurath seine Erlebnisse schildert, der allerdings kaum Distanz zur NS-Ideologie erkennen lässt.
Das Tagebuch des Flensburgers Wilhelm Clausen ist Grundlage des nicht mehr erhältlichen Buchs "Flensburg am Kriegsende 1945" von Dieter Pust.

Weitere Informationen
Eine historische Aufnahme des Landratsamts Eutin, eine zeitgenössische Postkarte © Lehrsammlung der Marineschule Mürwik Foto: unbekannt

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Aktuell | 30.04.2025 | 12:13 Uhr

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