Eine Frau mit einer Glatze ©  imago images/Shotshop

Plötzlich Haarausfall: Leben mit Alopecia Areata

Stand: 29.11.2022 15:58 Uhr

Haarausfall ist nicht immer altersbedingt. In Deutschland leben rund 1,5 Millionen Menschen mit Alopecia Areata, also kreisrundem Haarausfall. Therapien können lindern, aber nicht heilen.

von Marika Williams

Als Änni vor einem Jahr die erste kahle Stelle an ihrem Hinterkopf bemerkt, ist sie geschockt. Kurz darauf erhält sie die Diagnose: Alopecia Areata. In den nächsten Monaten verliert sie immer mehr Haare. "Jemand, der nicht davon betroffen ist, kann sich nicht vorstellen, wie schlimm dieses Gefühl ist, wenn man unter der Dusche steht und einfach bündelweise die Haare vom Kopf ziehen kann", so die 33-Jährige.

Immunsystem greift die eigenen Haare an

Bei Alopecia Areata handelt es sich um eine Fehlfunktion des Immunsystems. Statt nur Bakterien und Viren abzuwehren, greift das Immunsystem auch die eigenen Haare an. Warum es zu dieser Fehlfunktion kommt, konnte bislang nicht genau erforscht werden. Allerdings spielen wohl mehrere Faktoren zusammen, wie Stress, eine Virusinfektion oder entsprechende Erbanlagen.

"Ein bestimmter Faktor dabei ist auch, dass es Erbanlagen gibt, die zu einer Neigung führen können, eine Alopecia Areata zu entwickeln. Man sieht das auch daran, dass Patienten mit Alopecia Areata häufiger an einer anderen Autoimmunerkrankung leiden, zum Beispiel einer Schilddrüsenerkrankung oder rheumatoiden Arthritis", sagt Dr. Sebastian Kahl. Er ist ärztlicher Leiter der MVZ Dermatologie am Neuen Wall in Hamburg und Spezialist für Haarerkrankungen.

Kinder sind ebenfalls betroffen

In einer Bürste hängen viele, lange blonde Haare © imago stock&people
Auch Kinder können von kreisrundem Haarausfall betroffen sein.

In Deutschland sind rund 1,5 Millionen Menschen betroffen, weltweit sind es etwa zwei Prozent der Bevölkerung. Dabei kann sich die Autoimmunerkrankung bei Menschen jeden Alters zeigen. Häufig tritt sie bereits bei Kindern erstmals in Erscheinung. So auch bei Max. Der 22-Jährige erfährt im Alter von zehn Jahren, dass er kreisrunden Haarausfall hat. Mit 16 fallen ihm zudem seine Wimpern und Augenbrauen aus: "Da habe ich wirklich Panik bekommen, denn zu dem Zeitpunkt wusste ich einfach nicht mehr, wie ich mir jetzt noch weiterhelfen kann."

Behandlung mit Kortison oder DCP-Therapie

Viele Betroffene hoffen, dass durch eine Behandlung ihre Haare wiederkommen. Zu den herkömmlichen Therapien zählt eine Behandlung mit Kortison oder eine sogenannte DCP-Therapie. Hierbei wird eine Salbe auf die Kopfhaut aufgetragen. Diese führt an der Hautoberfläche zu einer Entzündung, wodurch sich die Immunzellen von den Haarwurzeln lösen.

Neuer Wirkstoff Baricitinib in den USA zugelassen

Forscher arbeiten an neuen Therapien. So wurde in den USA der Wirkstoff Baricitinib als Tablette zur Behandlung von Alopecia Areata zugelassen. Bisher hatte man den Wirkstoff dort bei Arthritis und Corona-Patienten im Krankenhaus angewendet. An den US-Studien mit Baricitinib nahmen insgesamt 1.200 Erwachsene mit starkem kreisrundem Haarausfall teil, die in drei Gruppen aufgeteilt wurden: eine Gruppe bekam ein Placebo, eine zweite täglich eine Dosis von zwei Milligramm und die dritte Gruppe täglich vier Milligramm. Nach etwa einem dreiviertel Jahr wuchsen bei fast 40 Prozent der Personen mit der höchsten Dosis 80 Prozent der Kopfhaare nach. Für die Forschenden ein vielversprechendes Ergebnis. Das Problem: Meist fallen die Haare nach Absetzen der Medikamente wieder aus.

Nebenwirkungen sind problematisch

Zudem haben die neuen Wirkstoffe mögliche Nebenwirkungen. Darauf wies der Alopecia Areata Deutschland e.V. bereits 2014 in einer Stellungnahme hin: "Das größte Problem wird auch bei den neuen Wirkstoffen eine vernünftige Nutzen-Risiko-Abwägung sein; klassentypische Nebenwirkungen wie Blutbildveränderungen, erhöhte Infektionsanfälligkeit und erhöhtes Tumorrisiko werden üblicherweise nur bei wesentlich schwereren Erkrankungen als Haarausfall in Kauf genommen."

Krankenkassen bezahlen Behandlung in der Regel nicht

Frau mit kreisrundem Haarausfall. © fotolia Foto: Alex Papp
Viele Betroffene leiden unter den kahlen Stellen.

Diejenigen, die sich für eine Behandlung entscheiden, müssen die Kosten größtenteils selbst tragen, da die gesetzlichen Krankenkassen in der Regel nicht dafür aufkommen. "Es gibt im Gesetz eine Vorlage, in der es heißt: Haarerkrankungen sind prinzipiell Lifestyle-Erkrankungen. Da hat der Gesetzgeber vorgegeben, dass alle Haarerkrankungen zum Lebensstil gehören. Sie haben aber nicht bedacht, dass es ja auch autoimmunologisch bedingte Haarerkrankungen gibt, wie die Alopecia Areata", erklärt Prof. Dr. Ulrike Blume-Peytavi, stellvertretende Direktorin der Klinik für Dermatologie, Venerologie und Allergologie der Charité in Berlin. Für sie ist klar, dass sich das ändern muss. Eine Behandlung einer Alopecia Areata sollte eine Leistung der gesetzlichen Krankenkassen sein. Die Krankenkassen zahlen allerdings meist einen Zuschuss zu Perücken.

Spontanheilung bei 50 Prozent der Betroffenen

Bislang gibt es kein Medikament, mit dem kreisrunder Haarausfall dauerhaft geheilt werden kann. Laut Deutscher Dermatologischer Gesellschaft kommt es bei etwa 50 Prozent der Betroffenen nach dem ersten Haarausfall innerhalb eines Jahres zu einer Spontanheilung. Das heißt, die Haare wachsen von selbst wieder nach. Das sei insbesondere bei Menschen mit gering ausgeprägter Alopecia Areata der Fall. Blume-Peytavi rät daher abzuwarten und nicht gleich Panik zu bekommen - und auch keine Übertherapie zu machen.

Austausch kann helfen

Vielen hilft der Austausch mit anderen - auch Änni und Max. Vereine und Selbsthilfegruppen informieren und beraten deutschlandweit zu dem Thema. Auch klären immer mehr Betroffene in den Sozialen Medien über Alopecia Areata auf.

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NDR Info | Familientreffen | 30.10.2022 | 07:34 Uhr

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