Stand: 10.12.2013 08:57 Uhr
Willy Brandt - Kanzler und Weltbürger
von Nils Zurawski
Bild vergrößern
Eine prägende Gestalt: In der SPD-Zentrale in Berlin erinnert eine Skulptur des Künstlers Rainer Fetting an Brandt.
Regierender Bürgermeister von Berlin während der Berlinkrise, Bundeskanzler mit tragischem Ende, Friedensnobelpreisträger, Widerstandskämpfer im Dritten Reich, Exilant, Journalist, Berichterstatter bei den Nürnberger Prozessen, Träger zahlreicher Ehrungen und Orden, Sozialdemokrat, Visionär und Weltbürger - über Willy Brandt sind bereits zu Lebzeiten zahlreiche Biografien sowie wissenschaftliche und journalistische Würdigungen und Analysen geschrieben worden.
Wegweisend für die Politik der Bundesrepublik
Bild vergrößern
Bewegender Moment: Brandt (r.) nimmt im Oktober 1971 im Bundestag die Glückwünsche zum Friedensnobelpreis entgegen.
Obwohl Brandts Zeit als Bundeskanzler durch die Spionageaffäre Guillaume überschattet wird, gilt seine Politik noch heute als wegweisend für die alte Bundesrepublik, wie sie bis 1990 bestanden hat. Dass er zwei Jahre vor seinem Tod im Oktober 1992 die Wiedervereinigung miterleben darf, ist indirekt auch seiner Politik des "Wandels durch Annäherung" geschuldet, die er als Bundeskanzler vorangetrieben hat.
Seine politische Bedeutung über seine Kanzlerschaft hinaus wird vorbehaltlos über Parteigrenzen und auch im Ausland anerkannt. Das war in seiner langen politischen Laufbahn nicht immer der Fall, denn der Sohn der Hansestadt Lübeck musste immer wieder Schmähungen und Kränkungen von Parteifreunden und politischen Gegnern einstecken. Wie bei vielen Politikern dieser Zeit, insbesondere sozialdemokratischen, spiegelt sein politischer und persönlicher Lebensweg die schwierige und rastlose Geschichte Deutschlands im 20. Jahrhundert wider.
Willy Brandt - wichtige Lebensstationen
Schon früh findet Willy Brandt den Weg in die Arbeiterbewegung. Als 16-jähriger Schüler tritt er in die SPD ein, wechselt aber bald in die Sozialistische Arbeiterpartei (SAPD). Das Foto von 1932 zeigt den damals 19-Jährigen beim Lesen des SAPD-Blattes "Kampfsignal".
Nach der Machtübernahme der Nazis flieht er nach Norwegen ins Exil und legt seinen Geburtsnamen Herbert Frahm ab. Von nun an nennt er sich Willy Brandt. In Norwegen studiert er Geschichte und arbeitet als Journalist. 1937 geht Brandt nach Barcelona, um auf der Seite der Republikaner über den spanischen Bürgerkrieg zu berichten.
Ende 1945 kehrt Brandt, den die Nazis 1938 ausgebürgert hatten, erstmals nach Deutschland zurück, 1947 lässt er sich unter dem Namen Willy Brandt wieder einbürgern. Schon bald nimmt er erste politische Ämter in der SPD an.
1949 wird Brandt als Berliner Abgeordneter für die SPD in den Deutschen Bundestag entsandt - der Beginn einer langen politischen Laufbahn.
Von 1957 bis 1966 ist Willy Brandt Regierender Bürgermeister von Berlin. In seine Regierungszeit fallen die Berlin-Krise 1958 und der Mauerbau 1961.
Während seiner Zeit als Bürgermeister erwirbt sich Brandt international viel Ansehen. 1958 bereiten ihm die Amerikaner in New York einen feierlichen Empfang.
Eine der größten Herausforderungen für Brandt ist der Mauerbau 1961. Er kann die Teilung der Stadt nicht verhindern. 1962 steht er mit Robert Kennedy, damals US-Justizminister, an dem damals noch unfertigen Bauwerk, das bis 1989 West- und Ost-Berlin voneinander trennen wird.
Der Mauerbau rückt Berlin in den Fokus der Weltpolitik. 1963 besucht US-Präsident John F. Kennedy (l.) gemeinsam mit Kanzler Adenauer (r) die Stadt. Dabei hält Kennedy seine berühmte Rede, in der die Worte fallen: "Ich bin ein Berliner!"
Während Brandt politisch auf internationalem Parkett unterwegs ist, müssen seine Söhne Lars, Peter und Matthias sowie seine zweite Ehefrau Rut meist ohne ihn auskommen. Ein Familienmensch ist er nicht - obwohl er sich für die Fotografen zuweilen als solcher inszeniert. Neben den drei Söhnen hat Brandt eine weitere Tochter aus erster Ehe, die in Norwegen aufwächst.
Brandt im Kreise seiner Mitstreiter und Parteifreunde Herbert Wehner, Fritz Erler (2. v. r.) und Erich Ollenhauer (r.). Gemeinsam forcieren die Sozialdemokraten ab 1959 das Godesberger Programm, mit dem sich die Partei von der Arbeiter- zur Volkspartei wandelt.
1966 schließt die SPD mit der CDU eine Große Koalition - als "Vernunftehe" zweier ungleicher Partner wird das Bündnis häufig bezeichnet. Der CDU-Politiker Kurt Georg Kiesinger wird Bundeskanzler, Willy Brandt Vizekanzler.
Nicht politisch, aber medienhistorisch schreibt Brandt auf der Deutschen Funkausstellung 1967 Geschichte: Per Knopfdruck befördert er die Bundesrepublik in die Ära des Farbfernsehens.
1969 ist Brandts politische Sternstunde gekommen: Die SPD gewinnt die Bundestagswahl. Willy Brandt wird zum ersten sozialdemokratischen Kanzler der Bundesrepublik gewählt.
Ihren Erfolg verdanken die Sozialdemokraten auch dem Engagement des Schriftstellers Günter Grass. Er setzt sich im Wahlkampf aktiv für die SPD ein. Der berühmte Satz "Wir wollen mehr Demokratie wagen", den Willy Brandt in seiner Regierungserklärung verwendet, schreibt ihm Günter Grass in die Rede.
Die Regierung Brandt läutet einen Wandel in der Ostpolitik ein. Im August 1970 besucht der Kanzler Moskau und unterschreibt den Deutsch-Sowjetischen Vertrag. Darin erkennt die Bundesrepublik die Oder-Neiße-Linie als Grenze zu Polen an. Beide Seiten bekunden zudem ihren Willen zum Aufbau freundschaftlicher Beziehungen.
Vier Monate später besucht Brandt Polen - und schreibt mit einer Geste Geschichte: Vor dem Mahnmal für die ermordeten Juden des Warschauer Ghettos fällt er auf die Knie. Das Foto geht um die Welt und prägt bis heute das Bild von Brandts Kanzlerschaft.
Für seine Politik der Annäherung, Entspannung und Aussöhnung erhält Brandt 1971 den Friedensnobelpreis. Im Bundestag gratuliert ihm der CDU-Parteivorsitzende Rainer Barzel.
Kompliziert ist das Verhältnis zu seinem Parteigenossen Herbert Wehner. Dessen Strenge und Disziplin passen nicht zu Brandts Regierungsstil. Der Herr Bundeskanzler bade "gern lau - so in einem Schaumbad" lästert Wehner 1973 offen über den Regierungschef.
Dagegen ist Parteifreund Egon Bahr Brandts engster Vertrauter. Mit ihm gemeinsam entwirft er die neue Ostpolitik. Die beiden verbindet eine lebenslange Freundschaft.
Auch Günter Guillaume (r.) genießt das Vertrauen des Kanzlers - und nutzt es gnadenlos aus: Brandts persönlicher Referent und Berater entpuppt sich als DDR-Spion. Brandt zieht die Konsequenz und tritt als Bundeskanzler zurück.
Sein Nachfolger im Amt wird Helmut Schmidt. Brandt bleibt weiter politisch aktiv. Bis 1987 ist er Parteivorsitzender der SPD, außerdem wird er Präsident der Sozialistischen Internationalen - ein Amt, das er bis kurz vor seinem Tod 1992 innehat.
Auch als die SPD längst in der Opposition sitzt, setzt sich Brandt weiter für die Annäherung zwischen Ost und West ein. 1985 besucht er den DDR-Staatsratsvorsitzenden Erich Honecker in Ost-Berlin.
Der jüngeren SPD-Generation ist er Vorbild - und zugleich helfende Hand im Wahlkampf. Gemeinsam mit Günter Grass geht Brandt 1985 auf Werbetour für den jungen Gerhard Schröder, der bei der Landtagswahl in Niedersachsen antritt.
Mit dem Fall der Mauer geht für Brandt ein Lebenstraum in Erfüllung. "Jetzt wächst zusammen, was zusammen gehört,“ sagt Willy Brandt am 10. November 1989, dem Tag nach der Grenzöffnung. Am Tag der Wiedervereinigung, dem 3. Oktober 1990, steht er gemeinsam mit den regierenden Politikern auf der Freitreppe des Reichstags.
Zwei Jahre später verliert die Bundesrepublik einen ihrer größten Staatsmänner. Willy Brandt stirbt nach schwerer Krankheit am 8. Oktober 1992 in seinem Wohnort Unkel in Rheinland-Pfalz.
Als die SPD 1996 ihre neue Parteizentrale in Berlin einweiht, ist auch der verstorbene Parteivorsitzende präsent: Das Gebäude wird nach ihm benannt. Im Foyer wacht eine 3,40 Meter hohe Brandt-Skulptur aus Bronze über die Geschicke der SPD. Geschaffen hat sie der Künstler Rainer Fetting.
Eine farbige Kopie der Bronzeskulptur findet sich im Eingangsbereich des Lübecker Willy-Brandt-Hauses. Das Lübecker Haus ist - anders als die Parteizentrale in Berlin - ein Museum, das sich mit dem berühmten Sohn der Stadt beschäftigt.
Kindheit und Exil
Willy Brandt wird am 18. Dezember 1913 in Lübeck unter dem Namen Herbert Ernst Karl Frahm als uneheliches Kind in einem sozialdemokratischen Haushalt geboren. Seinen Vater hat er nicht gekannt. Er wächst weitgehend bei seinem Großvater mütterlicherseits auf. Bereits als Jugendlicher schließt er sich der sozialistischen Jugendbewegung an. Mit 16 tritt er der SPD bei, wechselt allerdings bald zur Linksabspaltung der SPD, der Sozialistischen Arbeiterpartei, weil ihm die SPD zu kompromissbereit erscheint.
Kurz nach der Machtergreifung der NSDAP geht er aus politischen Gründen ins Exil nach Norwegen - schon unter dem Namen Willy Brandt, den er mit Hilfe gefälschter Papiere annimmt. Das Dritte Reich überlebt er in Norwegen und, nach dessen Eroberung durch die Deutschen, in Schweden. Während dieser Zeit fährt er 1937 nach Spanien, um auf republikanischer Seite über den Bürgerkrieg zu berichten. Seine zahlreichen Reisen in unterschiedliche europäische Länder dienen ihm dazu, den Kontakt zu sozialdemokratischen Exilgruppen zu halten. Auch in Deutschland verbringt er 1936 ein Studienjahr - unter dem Namen Gunnar Gaasland.
Seinen Lebensunterhalt im norwegisch-schwedischem Exil verdient er sich hauptsächlich als Journalist. Brandts politische Aktivitäten begründen viele Freundschaften, an die er nach dem Krieg wieder anknüpfen kann und die ihm den Ruf eines Weltbürgers einbringen sollen.
Dieses Thema im Programm:
NDR 1 Welle Nord |
Von Binnenland und Waterkant |
04.12.2013 | 21:05 Uhr