Vor 55 Jahren: Baader-Befreiung gilt als RAF-Geburtsstunde
Am 14. Mai 1970 wird Andreas Baader aus der Haft befreit. Die Aktion gilt als Geburtsstunde der Roten Armee Fraktion. Sie entwickelt sich zur brutalsten Terrorgruppe der Republik. 1998 löst sie sich auf. Ex-Mitglieder werden weiter gesucht.
Der Beginn der Roten Armee Fraktion (RAF) wird zurückgeführt auf die gewaltsame Befreiung von Andreas Baader am 14. Mai 1970. Dieser war im April 1970 in Berlin verhaftet worden. Baader war zuvor wegen seiner Teilnahme an Kaufhaus-Brandstiftungen am 2. April 1968 in Frankfurt am Main zu einer Haftstrafe verurteilt worden, dann aber untergetaucht. Baaders Anwalt Horst Mahler beantragte, dass sein Mandant in das Deutsche Zentralinstitut für Soziale Fragen wegen eines vorgeblichen Recherchetermins für ein geplantes Buch mit Ulrike Meinhof ausgeführt werden dürfe. Diesen Vorwand nutzen Meinhof, Irene Goergens, Ingrid Schubert und ein weiterer Mittäter, um Baader mit Waffengewalt zu befreien. Es fallen Schüsse, der 63-jährige Institutsangestellte Georg Linke wird schwer verletzt. Die Befreiung von Andreas Baader ist die erste Aktion, bei der Schusswaffen benutzt und Menschen zum Teil lebensgefährlich verletzt werden.
Laut der Bundeszentrale für politische Bildung kommt auch die Rückkehr der Gruppe aus Jordanien im August 1970 infrage, "wohin sich Baader und seine Befreier abgesetzt hatten, um dem Fahndungsdruck in Deutschland zu entgehen und sich einer militärischen Ausbildung zu unterziehen". Im Anschluss überfällt die Gruppe mehrere Banken und bricht in ein Rathaus ein, um sich Geld und Blankopapiere zu beschaffen.
"Stadtguerilla" als zentraler Begriff des Selbstverständnisses
Die RAF besteht anfangs unter anderem aus Andreas Baader, Ulrike Meinhof und Gudrun Ensslin. Einige Medien bezeichnen die Gruppe daher zunächst als Baader-Meinhof-Bande. Die Wurzeln der RAF reichen in die Studentenbewegung der späten 60er-Jahre, ihre exakte Verbindung ist jedoch unter Historikern umstritten. Der Name Rote Armee Fraktion dürfte als Provokation gemeint sein. Wie sehr sich die Gruppe als Ableger der sowjetischen Armee sieht, bleibt offen. Dass der Name für Stärke und revolutionäres Potenzial steht, ist eindeutig.
Der Begriff Rote Armee Fraktion erscheint erstmals 1971 in dem von Ulrike Meinhof verfassten Text "Das Konzept Stadtguerilla". Die Gruppe verwendet denn auch "Stadtguerilla" als zentralen Begriff ihres Selbstverständnisses. Damit rückt sie sich in die Nähe revolutionärer Vereinigungen in Lateinamerika. Ihr gemeinsames Ziel: Veränderung des politischen Systems durch eine kleine Gruppe - auch mit Gewalt.
Banküberfälle und Bombenanschläge der RAF
Schnell wird deutlich, dass die RAF auch Tote in Kauf nimmt, um ihre Ziele zu erreichen. Erstes Opfer wird 1971 der Hamburger Zivilfahnder Norbert Schmid, es folgen ein Polizist aus Kaiserslautern und im März 1972 der Leiter einer Sonderkommission der Hamburger Polizei, Hans Eckhardt. Nach einer Serie von Raubüberfällen auf Banken verübt die RAF im Mai 1972 den ersten Bombenanschlag: auf das Hauptquartier der US-Armee in Frankfurt am Main. Kurz danach gibt es weitere Anschläge unter anderem auf das Gebäude des Axel-Springer-Verlages in Hamburg und das europäische Hauptquartier der US-Armee in Heidelberg. Die Polizei löst eine Großfahndung aus und nimmt innerhalb weniger Monate zahlreiche führende RAF-Terroristen fest, darunter die Gründungsmitglieder Baader, Meinhof und Ensslin. 1974 verhaftet ein Mobiles Einsatzkommando vier RAF-Mitglieder in Hamburg.
Der Stammheim-Prozess: Die RAF-Terroristen vor Gericht
1975 beginnt ihr Prozess in einem eigens errichteten, hoch gesicherten Gerichtsgebäude in Stuttgart-Stammheim. Daran nimmt als Wahlverteidiger der Angeklagten unter anderem der spätere Bundesinnenminister Otto Schily teil. Im Gerichtssaal erklärt er: "Was hier in diesem Verfahren stattfindet, kann man nicht anders benennen als die systematische Zerstörung aller rechtsstaatlichen Garantien." Damit spielt er darauf an, dass das Verfahren von zahlreichen Unregelmäßigkeiten begleitet wird: bedrohten Zeugen, abgehörten Gespräche zwischen Angeklagten und Verteidigern sowie dem Hungerstreik der Beklagten, die den Prozess von Beginn an massiv stören.
RAF-Entführungen im "Deutschen Herbst"
Das Ende der Gewalt bewirkt das Verfahren nicht. Die "zweite Generation" der RAF verübt stattdessen immer brutalere Anschläge und tötet unter anderem Generalbundesanwalt Siegfried Buback und Bankier Jürgen Ponto. Seinen Höhepunkt erreicht der Terror 1977 während des sogenannten Deutschen Herbstes, der mit der Entführung von Arbeitgeber-Präsident Hanns Martin Schleyer am 5. September beginnt. Wochenlang halten die Terroristen das Land in Atem. Am 13. Oktober eskaliert die Situation weiter, als ein Terrorkommando den Lufthansa-Jet "Landshut" nach Mogadischu entführen. Mit der Aktion wollen sie ihre Gesinnungsgenossen in Stammheim aus der Haft freipressen. Doch die Bundesregierung unter Kanzler Helmut Schmidt (SPD) gibt nicht nach und lässt den Jet am 18. Oktober von der Sondereinheit GSG 9 stürmen - alle 82 Passagiere überleben. Nur einen Tag später wird der entführte Hanns Martin Schleyer ermordet aufgefunden. Er ist einer von 34 Toten, die auf das Konto der RAF gehen.
Andreas Baader, Gudrun Ensslin und Jan-Carl Raspe erfahren im Hochsicherheitsgefängnis Stammheim davon, dass ihre geplante Befreiung gescheitert ist. Nur Stunden nach dem Ende des "Landhut"-Dramas werden sie tot in ihren Zellen gefunden - noch während der Prozess gegen sie läuft. Die Umstände ihres Selbstmordes sind bis heute umstritten und werden auch mit den harten Haftbedingungen in Verbindung gebracht.
Das Morden nimmt kein Ende
Eine "dritte Generation" ändert Anfang der 1980er-Jahre die Strategie und will die RAF internationalisieren. Das Morden geht dabei weiter. Die prominentesten Opfer sind Deutsche-Bank-Vorstandssprecher Alfred Herrhausen (1989) und Karsten Rohwedder, Vorsitzender der Treuhand (1991). Er gilt als letztes Mordopfer der RAF. 1992 setzt Justizminister Klaus Kinkel (FDP) ein Zeichen und erklärt, der Staat müsse sich mit der RAF versöhnen, wo es angebracht sei. Die Terrorgruppe reagiert in einer ihrer ideologischen Erklärungen mit den Worten: "Wir, die revolutionäre Metropolenfront, haben die Macht, die von hier aus durchstartende Aggression der Imperialisten in Schach zu halten."
Das Ende der RAF: Viele Fragen bleiben offen
Am 20. April 1998 geht bei der Nachrichtenagentrur Reuters ein achtseitiges Schreiben ein, in dem die RAF erklärt: "Vor fast 28 Jahren, am 14. Mai 1970, entstand in einer Befreiungsaktion die RAF. Heute beenden wir dieses Projekt. Die Stadtguerilla in Form der RAF ist nun Geschichte." Die Autoren des Schreibens bleiben unbekannt, Ermittler halten das Papier aber für authentisch.
Auf das Konto der RAF gehen 34 Tote und mindestens 230 zum Teil schwer verletzte Menschen. Die Selbstauflösung stellt eine Sensation dar. Die Akte RAF beschäftigt Staatsschützer allerdings noch immer. Viele Taten konnten bislang nicht aufgeklärt werden. Das Bundeskriminalamt fahndet weiterhin nach Mitgliedern der Gruppe.
Festnahme von Daniela Klette im Jahr 2024
Jahrelang werden unter anderem Ernst-Volker Staub, Daniela Marie Luise Klette und Burkhard Garweg gesucht. Die Staatsanwaltschaft Verden wirft den Mitgliedern der "dritten Generation" versuchten Mord und mehrere schwere Raubüberfälle vor. Die Ermittler gehen davon aus, dass das frühere RAF-Trio die Taten nicht aus politischer Motivation verübte, sondern um seinen Lebensunterhalt zu sichern. Am 27. Februar 2024 wird Klette in Berlin festgenommen. In ihrer Wohnung werden Waffen gefunden.
Suche nach Garweg und Staub geht weiter
Die Ermittler sind weiter auf der Suche nach Garweg und Staub. Es sei "eine Gefährlichkeit" anzunehmen. Von Staub finden sie Spuren in Klettes Wohnung. Nach ihm sucht das Landeskriminalamt Niedersachsen seit Anfang Juli 2024 öffentlich mit Fotos, eins stammt aus dem Jahr 2002 und ein anderes ist ein sogenanntes Aging-Bild, das den Ex-Terroristen heute im Alter von 69 Jahren zeigen könnte. Neue Fahndungsfotos folgen im März 2025.
Das LKA geht davon aus, dass Garweg in Berlin einen Bauwagen als Unterkunft genutzt hat. Die Ermittler hoffen weiter auf Hinweise aus der Bevölkerung: Videoaufnahmen sollen den Ex-RAF-Terroristen zeigen. Ein Video stammt aus Berlin, das andere aus dem Raum Hildesheim.
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