Der 19-jährige Conrad Schumann flüchtet am 15. August 1961 mit einem Sprung über eine Stacheldrahtabsperrung vom sowjetischen Sektor in den Westteil Berlins. © picture-alliance / dpa Foto: UPI

Der Mauerbau: Grenzsoldaten als Teil und Opfer des Systems

Stand: 11.08.2021 05:00 Uhr

Um die Flucht aus der DDR zu unterbinden, schließt das Regime am 13. August 1961 in Berlin die letzten Übergänge in den Westen. Der Mauerbau zementiert die deutsche Teilung. Grenzsoldaten sind dafür zuständig, dass sie hält - und sind als Teil des Systems doch auch selbst dessen Opfer.

von Ulrike Bosse, NDR Info

Im Westen die Bundesrepublik: die parlamentarische Demokratie mit sozialer Marktwirtschaft und als Mitglied der NATO unter dem militärischen Schutz der USA - im Osten die DDR: ein sozialistischer Staat mit zentral gelenkter Planwirtschaft und Mitglied im von der Sowjetunion geführten Warschauer Pakt. Zu stark unterscheiden sich Ende der 50er- und Anfang der 60er-Jahre die Vorstellungen vom richtigen politischen Weg. Und zu stark ist die Konfrontation der beiden Supermächte im Kalten Krieg, als dass eine der beiden Seiten auf ihren Verbündeten an der Grenze zwischen den Machtblöcken in Deutschland verzichten will. Mit dem Mauerbau am 13. August 1961 wird die deutsche Teilung für die nächsten Jahrzehnte festgeschrieben.

Als Grenzer in die Nationale Volksarmee

Meinhard Schmechel © NDR Foto: Kahtarina Kaufmann
Ohne die Aufgaben der NVA-Grenztruppen genau zu kennen, meldet sich Meinhard Schmechel bei seiner Einberufung dort zum Dienst.

"Ich sollte eigentlich Panzerfahrer werden, weil ich schön klein bin, und dann hat mein Vater gesagt: Das nicht!", erinnert sich Meinhard Schmechel, Jahrgang 1947 aus Oldenburg in Vorpommern. Also meldet er sich zu den Grenztruppen, als er den Einberufungsbefehl zur Nationalen Volksarmee bekommt. "Ohne zu wissen, was ich da überhaupt zu tun und zu lassen habe. Weil wir ja im Hinterland von der Grenze nichts gewusst und damit nichts zu tun hatten."

Der 19-jährige Conrad Schumann flüchtet am 15. August 1961 mit einem Sprung über eine Stacheldrahtabsperrung vom sowjetischen Sektor in den Westteil Berlins. © dpa Foto: UPI
AUDIO: Die 50er: Mauerbau (12/12) (30 Min)

DDR stellt "Republikflucht" 1957 unter Strafe

Schon 1952 hat die DDR ihre Grenze zur Bundesrepublik abgeriegelt und einen fünf Kilometer breiten Grenzstreifen angelegt. Was offiziell dem Schutz vor einer möglichen Aggression des Westens dient, soll ebenso die eigenen Bürger im Land halten. Mit einem verschärften Passgesetz wird 1957 die "Republikflucht" unter Strafe gestellt, bis zu drei Jahre Haft werden angedroht. Trotzdem verlassen Hunderttausende die DDR. Denn auch wenn die innerdeutsche Grenze gesperrt ist, so können die Sektorengrenzen in Berlin noch passiert werden. Die Fluchtmotive reichten von Angehörigen in der Bundesrepublik über die wirtschaftliche Anziehungskraft des Westens bis zur Unzufriedenheit mit den politischen Verhältnissen in der DDR.

Sowjetunion hält Abriegelung für Offenbarungseid

Der Vorsitzende des Zentralkomitees der SED, Walter Ulbricht, setzt da schon lange auf eine Abriegelung der DDR, stößt mit diesen Plänen aber zunächst auf Widerstand in Moskau. Dort legt man ihm nah, das Leben für die Bürger in der DDR lieber durch Reformen attraktiver zu machen. Aus Sicht der Sowjetunion soll die DDR gegenüber Westdeutschland den Beweis liefern, dass der Kommunismus das überlegene System sei - eine Abriegelung des "Arbeiter- und Bauernstaat" würde da einem Offenbarungseid gleichgekommen.

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Frauen sammeln 1967 auf Feldern einer LPG in der DDR Kartoffeln ein. © picture-alliance/ ZB Foto: Dieter Demme

LPG: Vom Kleinbauern zum Agrargenossen der DDR

Am 8. Juni 1952 wird die erste Landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaft gegründet. Wenig später kollektiviert die SED das gesamte Agrarsystem. mehr

Zwangskollektivierung: "Für meinen Vater das Ende"

Doch 1960 verschärft sich die Lage. Die DDR-Führung hat sich entschlossen, die Kollektivierung in der Landwirtschaft zu Ende zu führen. Private Bauern, die sich noch nicht den LPGs angeschlossen haben, werden von SED-Agitatoren besucht - und psychisch oder auch physisch unter Druck gesetzt, wenn sie nicht nachgeben. Das betrifft auch die Familie von Meinhard Schmechel. Seine Eltern haben einen landwirtschaftlichen Betrieb, den sie im Zuge der Kollektivierung aufgeben müssen. "Meine Eltern mussten das Vieh und alles mit eingeben und haben da nichts für gekriegt. Das war natürlich hart, da haben die sehr dran gekaut. Für meinen Vater war das das Ende."

"Niemand hat die Absicht, eine Mauer zu errichten"

Der Staatsratsvorsitzende der DDR, Walter Ulbricht (l), auf der internationalen Pressekonferenz am 15.  Juni 1961 im Haus der Ministerien in Ost-Berlin. Hier fiel sein berühmter Satz "Niemand hat die Absicht, eine Mauer zu errichten", der nur wenige Wochen später durch den Beginn des Mauerbaus am 13. August ad absurdum geführt wurde. © picture alliance / Günter Bratke Foto: Günter Bratke
Noch am 15. Juni 1961 dementiert Walter Ulbricht auf einer Pressekonferenz in Ost-Berlin, es gäbe Pläne, eine Mauer zu bauen.

Die Zwangskollektivierung führt zu einem starken Anstieg der Flüchtlingszahlen. Einerseits bei den betroffenen Bauern, anderseits aufgrund von Versorgungsmängeln und dem offensichtlichen politischen Druck auch bei anderen DDR-Bürgern. Im Januar 1961 fordert Walter Ulbricht von Moskau die "Beseitigung des Besatzungsregimes in Westberlin". Das Politbüro der SED lässt er "Maßnahmen" gegen die "Republikflucht" beschließen - die Vorarbeiten zur Schließung der Grenze in Berlin beginnen. Bei einer internationalen Pressekonferenz am 15. Juni 1961 dann kommt es zu der inzwischen berühmt gewordenen Antwort Ulbrichts auf die Frage nach dem künftigen Status von West-Berlin: "Niemand hat die Absicht, eine Mauer zu errichten."

Der 1. Sekretär der SED und Vorsitzende des Staatsrates der DDR, Walter Ulbricht. © dpa - Bildarchiv Foto: ADN
AUDIO: Die Mauer-Lüge von Walter Ulbricht (3 Min)

Das böse Erwachen am 13. August 1961

Schlagzeile des Extrablatts der "Berliner Morgenpost" am  13. August 1961: "Ost-Berlin ist abgeriegelt" © picture-alliance / akg-images
Die "Berliner Morgenpost" erscheint am 13. August 1961 in einer frühen Extra-Ausgabe mit der Nachricht, die die Welt in einen Schock versetzt.

Westliche Beobachter der politischen Entwicklung gehen zwar davon aus, dass die DDR etwas gegen den andauernden Wegzug ihrer Bürger unternehmen wird. Als es soweit ist, werden sie dennoch von den Ereignissen überrascht. Am frühen Morgen des 13. August berichten unter anderem Reporter des Senders RIAS Berlin, was passiert ist: "Seit etwa 1 Uhr heute nach rattern die Presslufthämmer und bohren einen Graben quer durch die Ebertstraße hier am Brandenburger Tor."

Bewaffnete Einheiten von Volksarmee und Volkspolizei haben die noch verbliebenen Übergänge nach West-Berlin abgeriegelt. Kein Bürger der DDR kann mehr unbeobachtet nach West-Berlin gelangen. Jetzt wird die Grenze befestigt: "5 Uhr 15 Potsdamer Platz. […] Gerade ist ein Lkw vorgefahren in der Eberstraße. Und von dem Lkw werden Betonpfähle abgeladen. Und in wenigen Minuten wird man diese Pfähle der Grenze entlang in schon vorbereitete Löcher stecken und dann beginnt man mit dem Ziehen von Stacheldraht", berichtet ein Radio-Reporter.

Mauerbau: Bilder der Eskalation gehen um die Welt

Fotos und Filmaufnahmen vom 13. August 1961 und den Tagen danach haben sich ins historische Gedächtnis eingeprägt - in Ost wie West. Auf der einen Seite die Soldaten der Nationalen Volksarmee, die mit vorgehaltenem Gewehr und entschlossener Miene vor dem Brandenburger Tor aufgezogen sind - auf der anderen Seite der 19-jährige NVA-Soldat Conrad Schumann, der am 15. August mit einem Sprung über den Stacheldraht nach West-Berlin flüchtet. Auf der einen Seite die Arbeiter, die die Grenzmauer bauen – auf der anderen Seite Frauen, die aus Fenstern in den Westen springen oder sich an Betttüchern abseilen.

"Macht das Tor auf!" - Die DDR droht mit Wasserwerfern

In Ost- wie West-Berlin versammelten sich die Menschen, um zu sehen, was da passiert. Volkspolizisten tun alles, um Kontakte über die Grenze hinweg zu unterbinden. "Es hat vor dem Brandenburger Tor Aufstellung genommen ein Wasserwerfer unserer Volkspolizei. Und eine kühle Dusche haben wir jederzeit bereit für jeden, dem der Kopf zu heiß geworden ist", heißt es im DDR-Rundfunk. Gleichzeitig schildert der RIAS-Reporter die Lage aus West-Perspektive: "Die jungen Menschen, die hier schreien - sie pöbeln nicht. Sie rufen und sie fordern, was alle jungen deutschen Menschen in diesem Augenblick fordern und darüber hinaus das ganze deutsche Volk: nämlich freie Wahlen, auch für die 1,7 Millionen Ostberliner." Im Hintergrund hört man die Rufe, die auch 28 Jahre später in der Nacht der Maueröffnung 1989 schallen: "Macht das Tor auf!"

VIDEO: 13. August 1961 - Bau der Berliner Mauer (3 Min)

Der flächendeckende Aufstand in der DDR bleibt aus

Für den 14-jährigen Meinhard Schmechel in Oldenburg (Vorpommern) und seine von der Zwangskollektivierung betroffenen Eltern ist das, was sich da in Berlin abspielt, weit weg: "Man hat es in den Nachrichten gehört, aber weiter nichts. Bei uns zu Hause wurde da gar nicht drüber gesprochen, weil die ganz andere Probleme hatten." In den folgenden Tagen werden in Ost-Berlin Proteste und spontane Demonstrationen aufgelöst. Es bleibt allerdings bei lokalen Protesten - eine Aufstandsbewegung in der ganzen DDR gibt es nicht. Rückblickend findet Schmechel das nach der Niederschlagung des Aufstands von 1953 verständlich: "Viele werden sich auch erinnert haben, wie radikal der Russe teils vorgegangen ist. Und wir hatten ja auch schon eine starke Armee." Man sei davon ausgegangen, dass die bei Protesten "dazwischenfunkt".

Adenauer gibt sich besonnen - Brandt ist empört

Bundeskanzler Konrad Adenauer (M) am 22. August 1961 mit Ernst Lemmer (l), Bundesminister für gesamtdeutsche Fragen, vor dem Brandenburger Tor in Berlin. © picture alliance / ASSOCIATED PRESS
Erst eine Woche nach Beginn des Mauerbaus kommt der Bundeskanzler nach Berlin und versichert den Deutschen im Osten, "dass sie bei uns nicht abgeschrieben sind."

Der Westen reagiert als wäre das, was da in Berlin passiert, tatsächlich eine innere Angelegenheit der DDR. Bundeskanzler Konrad Adenauer (CDU) reist erst am 22. August nach Berlin. Am Tag des Mauerbaus fordert er zur Besonnenheit auf: "Es ist das Gebot der Stunde, in Festigkeit, aber auch in Ruhe der Herausforderung des Ostens zu begegnen, und nichts zu unternehmen, was die Lage nur erschweren, aber nicht verbessern kann."

Es bleibt Berlins Regierendem Bürgermeister Willy Brandt vorbehalten, die Gefühle der Bevölkerung in Worte zu fassen. "Die vom Ulbricht-Regime auf Aufforderung der Warschauer-Pakt-Staaten getroffenen und eingeleiteten Maßnahmen sind empörendes Unrecht. Sie bedeuten, dass mitten durch Berlin nicht nur eine Staatsgrenze, sondern die Sperrwand eines Konzentrationslagers gezogen wird."

Willy Brandt  bei einer Rede 1961 vor dem Schöneberger Rathaus © dpa /picture-alliance Foto: Konrad Giehr
AUDIO: Willy Brandt zum Bau der Berliner Mauer (6 Min)

USA sehen nach Mauerbau keinerlei Handlungsmöglichkeiten

Doch Brandts Appell an die West-Alliierten - allen voran die USA - zu handeln, verhallt. US-Präsident John F. Kennedy schreibt an Brandt: So ernst diese Angelegenheit auch sei: Es stünden keine Maßnahmen zur Verfügung, die eine wesentliche Änderung der Sachlage bewirken könnten. Da die DDR und die Sowjetunion sich auf ihren Machtbereich beschränkten, griffen die Westmächte so wenig ein wie am 17. Juni 1953.

Es dauerte noch eine Weile - aber das Leben in der DDR normalisiert sich nach dem Mauerbau tatsächlich. Das Land stabilisiert sich wirtschaftlich wie politisch. Dafür, dass die Mauer hält, sind die Grenzsoldaten der NVA zuständig.

"Besondere Fluchtgefahr": Rüterberg wird eingezäunt

Grenzzaun und Wachturm erinnern noch heute an einen traurigen Abschnitt in der Geschichte des Dorfes Rüterberg. Von 1961 bis 1989 war die Gemeinde im Grenzstreifen zwischen den beiden deutschen Staaten durch meterhohe Zäune rundum von der Außenwelt abgeschnitten. © dpa-Zentralbild Foto: Jens Büttner
28 Jahre lang ist auch Rüterberg als Gemeinde im Grenzstreifen durch meterhohe Zäune von der Außenwelt abgeschnitten.

Meinhard Schmechel wird als Grenzsoldat in Rüterberg an der Elbe eingesetzt. Da der Ort gleich an zwei Seiten an den Westen grenzt, besteht dort aus Sicht der DDR-Führung eine besondere Fluchtgefahr. Der Ort wird daher quasi komplett umzäunt - mit einem drei Meter hohen elektrischen Zaun. 22 Familien, die dort leben, werden umgesiedelt. "Die haben hier alles verloren - Haus und Hof - und wussten gar nicht, warum. Da werden die in einen Viehwagon rein getrieben und sind durch die DDR gekarrt worden, bis sie in irgendeinem Dorf wieder gelandet sind", erzählt Schmechel. Und setzt hinzu: "Ich glaube, das war für die, die ausgewiesen wurden, sehr grausam. Da muss ich selber immer nochmal schlucken." Schon 1952, nach Befestigung der Grenze zur Bundesrepublik, hatte es solche Zwangsaussiedlungen aus Orten oder einzelnen Gehöften im Grenzgebiet gegeben. Nach dem Mauerbau gibt es eine neue Welle.

Die innerdeutsche Grenze: Vom Kontroll- zum Todesstreifen

Die innerdeutsche Grenze wird anfangs durch Kontrollstreifen und Wachtürme gesichert, dann kommen Zäune, schließlich werden Selbstschussanlagen gebaut und Landminen verlegt. Ab 1960 gibt es verschiedene Anweisungen, auf Flüchtlinge scharf zu schießen. Formal legalisiert wird der Schießbefehl allerdings erst 1982.

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Grenzmuseum in Schlagsdorf © picture alliance/dpa Foto: Markus Scholz

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Schießbefehl "keine Option"? Das Ausweichmanöver

Meinhard Schmechel kommt im Rahmen seines Dienstes als Grenzsoldat nie in die Situation, einen Fluchtversuch aktiv verhindern zu müssen. Noch immer ist er darüber sehr froh - und erzählt, dass er auch seine sehr eigene Art hatte, mit dem Schießbefehl umzugehen: "Ich konnte sehr gut schießen. Aber wenn es um die Schützenschnur und die Eicheln ging, da habe ich sonst wohin geschossen, nur nicht auf die Scheibe", erklärt er seine Taktik. "Wenn Sie im Grenzdienst sind und es geht jemand durch, dann sagen die. 'Den hättest du treffen müssen mit deiner Ausbildung und was du hast an Trefferbild mit der Waffe." Als schlechter Schütze hingegen hat er damals eine Ausrede, denn: "Ja, den Schießbefehl gab es, den haben wir auch gut genug im Unterricht erzählt bekommen. Aber das war für mich keine Option." Für sei klar gewesen: Er hätte auf keinen Menschen geschossen.

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An einem Grenzübergang sind ein Minenwarnschild, sowie zwei Maschinengewehre befestigt. © NDR Foto: Hermann Pröhl

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Stasi-Verhör nach Flucht eines Grenz-Kollegen

Was Schmechel allerdings erlebt, ist die Flucht eines Kameraden bei der Grenztruppe - der fehlt eines Morgens beim Antreten. Alarm wird ausgelöst, der Kollege gesucht - gefunden wird allerdings nur die Stelle, an der der Kollege auf die andere Seite gelangt ist. "Dann kam die Stasi und hat mich von morgens bis abends verhört, wann ich den Kontrollgang gemacht hätte und und und." Aber: "Wer es vorhat als Grenzer, der schafft das auch." Mehr als drei Millionen Menschen gelingt die Flucht aus der DDR vor und nach dem Mauerbau. 899 Menschen werden bei ihrem Fluchtversuch laut Ermittlungen der Zentralen Erfassungsstelle Salzgitter getötet.

Die eigene Flucht der Eltern wegen verworfen

Auch Schmechel überlegt zwischenzeitlich, mit seiner Frau zu fliehen - und ist sich sicher, dass er es schaffen würde. Weil die beiden die alten Eltern aber nicht allein lassen wollen, bleiben sie, wie er erzählt. In Rüterberg erlebt er die Beschwernisse, mit denen sich die Bewohner der Grenzregionen herumschlagen müssen. Wie etwa ein Eingangstor zum Ort, das abends abgeschlossen und erst am Morgen wieder aufgemacht wird. "Kein Mensch kam raus und rein. Wenn Sie einen Arzt gebraucht haben, war es wichtig, die Grentzruppen anzurufen und zu sagen, Sie brauchen einen Arzt."

DDR-Bürokratie lässt nicht mit sich verhandeln

Passierscheine, mit denen DDR-Bürger nur wegen dringender Familienangelegenheiten das Grenzgebiet besuchen durften, sind in der Heimatstaube in der Dorfrepublik Rüterberg ausgestellt © picture-alliance/ dpa Foto: Jens Büttner
Andere DDR-Bürger konnten Rüterberg als Grenzgebiet nur mit Passierschein besuchen.

Die Bewohner von Rüterberg bekommen einen Stempel in den Pass, alle anderen DDR-Bürger müssen einen Passierschein beantragen, wenn sie jemanden besuchen wollen - was nicht einmal zu besonderen Anlässen für alle möglich ist, wie Schmechel bei seiner Hochzeit erlebt: "Es ging nur ersten Grades, meine Mutter und meine Schwester. Alles, was dahinter war, Cousins, Cousinen, die durften alle nicht." Die Bürokratie lässt nicht mit sich verhandeln. Auch nicht, als Schmechels Schwiegervater stirbt: "Meine Mutter wollte zur Beerdigung kommen. Sie hat keinen Passierschein bekommen, durfte nicht rein."

Ambivalenzen werden verdrängt

Meinhard Schmechel, einst auch Bürgermeister von Rüterberg, das sich kurz vor dem Mauerfall von der DDR lossagte und sich zur "Dorfrepublik" machte, lebt noch immer dort, einem heute wieder idyllischen Ort. Wie kam er zu DDR-Zeiten damit zurecht, dass System einerseits absurd zu finden und es als Grenzsoldat andererseits verteidigen zu müssen? "Da denkt man nicht groß drüber nach. Man hat das eine gemacht und das andere gemacht. Man hat sich auch genug aufgeregt über diese Dinge. Aber wen hat das schon interessiert? Im Prinzip hat es ja gereicht, wenn die sagten: Du weißt doch, wo du bist." Im Grunde, sagt er, wurde nur eins verlangt: dass man sich fügt: "Wenn Sie immer schön gedienert haben, waren Sie gut dran."

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Ein Bauarbeiter errichtet am 18. August 1961 unter der Aufsicht eines Volkspolizisten an der Sektorengrenze am Potsdamer Platz eine mannshohe Mauer. © picture-alliance / dpa Foto: Bratke

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NDR Info | Deine Geschichte – unsere Geschichte | 15.08.2021 | 14:33 Uhr

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