Stand: 15.03.2019 10:11 Uhr

Terminservice-Gesetz: Ausdruck großer Heuchelei

Gesetzlich versicherte Patienten sollen künftig schneller einen Arzttermin bekommen. Das ist ein Ziel des Terminservice-Gesetzes, das der Bundestag verabschiedet hat. Im Mai soll es in Kraft treten. Kern des Gesetzes ist der Ausbau der Terminservicestellen. Sie sollen zentrale Anlaufstellen für Patienten werden und rund um die Uhr erreichbar sein.

Ein Kommentar von Bettina Nutz, ARD-Hauptstadtstudio Berlin

Ein Porträtbild von Bettina Nutz, WDR Korrespondentin und Redakteurin im Hörfunk-Hauptstadtstudio in Berlin. © Reiner Freese Foto: Reiner Freese
Ein rascher Termin bei einem Facharzt darf nicht vom Versicherungsstatus des Patienten abhängen, meint Bettina Nutz.

"Sind Sie kassen- oder privatversichert?" - Diese Frage aus der Arztpraxis bin ich leid. Und als Kassenversicherte sollte ich der Großen Koalition jetzt vielleicht so lange auf die Schulter klopfen, bis doch ein Orthopäde fällig wird. Allerdings: Das erledigen Union und SPD schon gegenseitig. Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) lobt sein Terminservice-Gesetz sogar als größte und wichtigste Reform im Gesundheitswesen.

Masse statt Klasse?

Geht's nicht doch ein bisschen kleiner? Nein, denn allein der Umfang des Gesetzes ist in der Tat riesig. Masse macht jedoch längst noch keine Klasse. Ging es erst allein um schnellere Termine und bessere Versorgung für gesetzlich Versicherte, wurden in nur wenigen Monaten etliche weitere Themen in das Gesetz hinein gepackt, die durchaus eine Extra-Würdigung verdient hätten: vom Terminservice über Zahnersatz und höhere Löhne für Physiotherapeuten bis hin zur Digitalisierung im Gesundheitsbereich.

Mehr Schein als Sein

Ob diese schulterklopfende GroKo ihr nahes Ende fürchtete oder ob der Gesundheitsminister sich im Eiltempo für eine weitere CDU-Karriere profilieren wollte, das kann man nur vermuten. Aber was am Ende in diesem Mammut-Paket drin ist, ist kaum unüberschaubar. An mancher Stelle überlagert der Schein das Sein. Experten und Opposition haben recht. Das ist mehr als ein Ärgernis.

Ärztemangel wird nicht behoben

Bleiben wir aber beim Kern: bei einer gerechteren Terminvergabe. Natürlich darf ein rascher Termin bei einem Facharzt nicht vom Versicherungsstatus des Patienten abhängen. Denn nicht nur Privat-, auch Kassenversicherte zahlen viel Geld ins System ein - und haben trotzdem das Nachsehen.

Hier etwas zu ändern, ist absolut richtig. Der Weg dahin aber ist falsch. Die Koalition schließt eine unsichere Wette auf die Zukunft ab - wiederum auf Kosten der gesetzlich Versicherten. Es wird noch mehr Geld ins System gepumpt, aufgrund der schlichten Hoffnung, dass es helfen möge. Doch Honorare für Ärzte über die strengen Budgetgrenzen hinaus werden kaum den Ärztemangel beheben auf dem Land oder in Gegenden, wo kaum lukrative Privatpatienten leben. Und wenn es denn - auch über finanzielle Lockmittel - leichter sein soll, Arztpraxen zu eröffnen, werden sich Mediziner nicht da niederlassen, wo es kaum etwas zu verdienen gibt.

Unterschiede zwischen Kassen- und Privatpatienten aufheben

Das Terminservice-Gesetz ist deshalb ein Ausdruck großer Heuchelei. Latente Mängel werden mit Geld zugekittet, solange noch welches da ist. Zukunftsfest ist das nicht. Und wenn sogar der konservative Gesundheitsminister Spahn damit rechnet, dass mit seinem Gesetz die Unterschiede zwischen Kassen- und Privatpatienten nicht mehr eine so große Rolle spielen, dann könnte er sie doch ganz aufheben. Die SPD wäre sicher mit dabei. Und womöglich Schulterklopfen für alle durchaus angesagt.

Dieses Thema im Programm:

NDR Info | Kommentar | 14.03.2019 | 17:08 Uhr

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