Stand: 15.07.2019 11:31 Uhr

Pränatal-Bluttest ist kein "genetischer TÜV"

von Daniela Remus

Welches Kind bekomme ich? Die meisten werdenden Eltern sagen: "Hauptsache gesund!" Aber was ist, wenn sich schon früh zeigt, dass das nicht der Fall ist? Ob der Embryo die Anlage für das Downsyndrom hat, lässt sich inzwischen "mit hoher Wahrscheinlichkeit" durch einen einfachen Bluttest herausfinden. Immer mehr Schwangere nutzen ihn als selbstverständlichen Teil des Vorsorge-Programms. Aber was kann er tatsächlich leisten? Welche Folgen hat der Befund Trisomie 21 - für die Schwangere und für unseren Umgang mit Behinderungen? Eine Serie mit Berichten, Interviews und Reportagen gibt Einblicke.

"Ich war 38, also deutlich Spätgebärende. Insofern haben wir gesagt: Wir machen wirklich alles, was irgendwie machbar ist. Denn das Risiko, dass bei mir irgendetwas nicht in Ordnung ist, ist viel größer als bei einer 20-Jährigen, ganz klar", sagt Ester W.

So wie diese Mutter entscheiden sich mittlerweile mehr als 70 Prozent aller Schwangeren dafür, vorgeburtliche, also pränatal­diagnostische Untersuchungen in Anspruch zu nehmen - auch über die Standardversorgung hinaus. Sie wollen ausschließen, dass ihr Kind krank ist oder einen Gendefekt hat. Seit den 60er-Jahren können per Ultraschall Fehlbildungen der Organe erkannt, seit den 70er-Jahren durch die Fruchtwasseruntersuchung auch genetische Abweichungen entdeckt werden. Seit 2012 gibt es darüber hinaus einen Bluttest, der Gendefekte feststellt, und zwar vor allem die Trisomie 21, besser bekannt als Downsyndrom.

"Reduzierung auf Trisomie 21 leitet uns in falsche Richtung"

"Drei bis vier Prozent der Kinder haben tatsächlich Auffälligkeiten, Fehlbildungen, Herzfehler, Störungen im Bereich der Organe. Die wenigsten haben Störungen der Chromosomen, sodass uns die Reduzierung auf die Trisomie 21 in eine völlig falsche Richtung leitet," kritisiert die Wuppertaler Pränatalmedizinerin Nilgün Dutar die Bestrebungen, diesen Bluttest als Krankenkassenleistung für alle anzubieten. Zumal zur sicheren Abklärung der Diagnose auf jeden Fall noch eine Fruchtwasseruntersuchung notwendig ist. 

Sicherheit durch Gentest ist eine irrige Vorstellung

Trisomie 21 ist selten. Man schätzt, dass sie etwa einmal pro 650 Schwangerschaften vorkommt. Auch die anderen genetischen Krankheiten seien längst nicht so häufig wie viele meinen, erklärt Christian Kubisch, Humangenetiker am Universitätskrankenhaus in Hamburg-Eppendorf: "Das Risiko, dass in einer Schwangerschaft ein Kind mit einer angeborenen Erkrankung geboren wird, liegt in Deutschland bei etwa drei bis vier Prozent." Es sei eine irrige Vorstellung, dass eine Ultraschall- oder genetische Untersuchung ein "genetischer TÜV" und damit alles in Ordnung wäre. "Diese Sicherheit gibt es nie", so Kubisch.

Was heißt eigentlich "gesund"?

Denn die meisten Behinderungen entstehen im Laufe des Lebens, vor allem bei der Geburt. Darüber hinaus kann niemand sagen, was eine festgestellte Chromosomen-Abweichung später bedeuten wird. Denn über den Grad einer möglichen Behinderung geben diese Verfahren keine Auskunft.

"Wir wissen inzwischen, dass es den genetisch gesunden Menschen gar nicht gibt. Jeder Mensch trägt 15 oder mehr schwerwiegende Mutationen in sich, es gibt keine Menschen ohne Mutationen", erklärt die Humangenetikerin Ortrud Steinlein von der Ludwig-Maximilians-Universität in München. Die Gene allein würden in den meisten Fällen wenig darüber aussagen, wie gesund ein Mensch später damit leben wird. Abgesehen davon gebe es für diagnostizierte Gendefekte wie die Trisomie 21 keine Therapie, sondern nur die Wahl zwischen Leben und Tod, austragen oder abtreiben.

Kaum noch Kinder mit Downsyndrom

Ein Blick über die Grenzen zeigt: In den Ländern, in denen diese Verfahren bereits etabliert sind, wie die USA oder Dänemark, liege die Abbruchquote bei mehr als 80 Prozent, sagt Katrin Löser, die an einer dänischen Klinik als Gynäkologin arbeitet: "2005 sind in Dänemark noch 161 Kinder mit Downsyndrom geboren worden, 2007 waren es 27." Etwa 30 Kinder würden jetzt noch pro Jahr mit Downsyndrom in Dänemark geboren.

Während hierzulande darüber debattiert wird, ob mithilfe des Bluttests systematisch nach Trisomie-21-Schwangerschaften gesucht werden sollte, sind die USA schon viel weiter. Dort sind vorgeburtliche Bluttests auf dem Markt, die Anlagen für Krankheiten wie Alzheimer oder Brustkrebs feststellen. Krankheiten also, die sich erst im Laufe des Lebens entwickeln könnten.

Das ist das Downsyndrom

Das Downsyndrom ist keine Krankheit, sondern eine genetisch bedingte Veranlagung. Menschen mit Downsyndrom besitzen in jeder Körperzelle ein Chromosom mehr. Das Chromosom 21 ist dreifach vorhanden, statt üblicherweise zweifach. Das Syndrom wird daher auch als Trisomie 21 bezeichnet.

Erstmals hat der englische Arzt John Langdon-Down die Merkmale 1866 beschrieben: die mandelförmigen Augen, die anfänglich schwache Muskelspannung und die sogenannte Vierfingerfurche. Geistig sind Menschen mit Downsyndrom unterschiedlich weit entwickelt. Die Spanne reicht von Menschen, die in Behindertenwerkstätten arbeiten, bis hin zu Hochschulabsolventen.

Etwa jedes 800. Kind kommt mit dem Downsyndrom zur Welt. In Deutschland sind das pro Jahr etwa 1.200 und in Hamburg circa 20 Kinder. Insgesamt leben in Deutschland etwa 30.000 bis 50.000 Menschen mit dieser Veranlagung. Die Lebenserwartung liegt bei 60 Jahren.

Frauen haben unter anderem die Möglichkeit, zwischen der 11. und 14. Schwangerschaftswoche die Nackenfalte ihres ungeborenen Kindes per Ultraschall untersuchen zu lassen. Außerdem gibt es seit 2012 einen Bluttest, wodurch die Wahrscheinlichkeit für eine Chromosomen-Besonderheit bei ihrem Kind festgestellt wird. Die Forderung, diesen Test als Kassenleistung einzuführen, wird derzeit kontrovers diskutiert. Nach der Diagnose Downsyndrom entscheiden sich in Deutschland neun von zehn Frauen für eine Abtreibung.

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Dieses Thema im Programm:

NDR Info | Infoprogramm | 15.07.2019 | 06:50 Uhr

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