Stand: 19.09.2019 18:13 Uhr

Am Ende steht die persönliche Entscheidung

Der Gemeinsame Bundesausschuss von Ärzten, Kliniken und Kassen hat entschieden, dass die gesetzlichen Krankenkassen unter bestimmten Voraussetzungen künftig eine vorgeburtliche Blutuntersuchung bei Schwangeren zahlen sollen. Der Test kann mit hoher Wahrscheinlichkeit feststellen, ob das Kind womöglich das Downsyndrom hat. Die Kostenübernahme gilt allerdings nur in Einzelfällen bei Schwangerschaften mit besonderen Risiken. Die kontroverse Debatte über pränatale Tests geht auch nach dem Beschluss weiter.

Ein Kommentar von Christopher Jähnert, ARD-Hauptstadtstudio

Porträtbild des ARD-Korrespondenten Christopher Jähnert. © ARD Hauptstadtstudio Foto: Jens Jeske
Die jetzige Entscheidung sorgt für ein Stück Gerechtigkeit und gleiche Bedingungen für alle, meint Christopher Jähnert.

Der Gemeinsame Bundesausschuss aus Kassen, Ärzten und Kliniken hat entschieden - und zwar, wie es seine Aufgabe ist, wissenschaftlich-technisch. Ethik hat ausdrücklich keine Rolle gespielt. Die Frage war: Ist der Bluttest medizinisch gesehen eine Verbesserung oder nicht? Und tut er das, was er soll? Wenn ja: Dann muss die Kasse den auch übernehmen.

Und da gibt es eigentlich keinen Zweifel: Der Test ist definitiv ein Fortschritt. Zugelassen ist er sowieso schon länger. Und das war ja das Problem: Wer ihn sich leisten konnte, der konnte ihn schon seit Jahren auf eigene Kosten durchführen lassen. Und war nicht angewiesen auf die deutlich riskantere Fruchtwasseruntersuchung, die die Kasse bisher ja schon zahlt, wenn es angebracht ist. Der Arzt entnimmt dabei mit einer Spritze eine Probe aus dem Bauch - und kann Mutter und Kind dabei verletzen. Das Risiko einer Fehlgeburt liegt bei bis zu zwei Prozent.

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Ethische Betrachtung steht dem Ausschuss nicht zu

Beim Bluttest kann das nicht passieren, also war bisher das Signal: Ihr könnt euch die paar Hundert Euro nicht leisten? Tja, Pech, dann müsst ihr wohl den gefährlichen Test machen. Den zahlt die Kasse ja.

Der Gemeinsame Bundesausschuss hat dem ein Ende gesetzt. Er hat aber auch Haltelinien eingezogen: Die Tests sollen nicht automatisch passieren, sondern wie bisher nur in begründeten Einzelfällen. Grundsätzlich müssen Kassen den Test aber bezahlen, wenn ein Arzt das für richtig hält und begründen kann.

Der Ausschuss konnte also im Prinzip nicht anders entscheiden. Eine ethische Betrachtung steht ihm nicht zu. Aber: Der Chef des Gremiums, Josef Hecken, setzt da jetzt auf den Bundestag. Leider habe der noch keine Entscheidung getroffen, sagt er.

Was er meint: Der Bundestag muss irgendwann entscheiden, wie weit wir gehen wollen. Denn: Manche sprechen von einem Dammbruch oder einem Präzedenzfall. Und stellen die eigentliche Frage: Was wollen wir alles über ein ungeborenes Kind wissen? Denn testen kann man theoretisch ziemlich viel - von verschiedenen Krankheiten bis zur Haarfarbe. Aber muss das sein? Und wenn ja: Wie gehen wir überhaupt mit Anderssein um?

Gleiche Bedingungen, ein Stück Gerechtigkeit

Vielleicht ist das ja die Grundfrage, die hinter allem steckt. Denn letztlich heißt das ja: Wenn man alles testet, was man testen kann, dann prüft man ja ein ungeborenes Kind auf Dinge ab, die man nicht haben möchte. Und was macht man dann? Abtreiben, wenn einem etwas nicht passt?

Zugegeben, das ist vielleicht ein bisschen extrem formuliert. Aber genau das passiert ja schon. Wenn Eltern die Nachricht bekommen, dass ihr Kind mit Downsyndrom zur Welt kommen wird, dann entscheiden sich die meisten gegen dieses Kind. Und das ist auch erst mal nicht zu kritisieren. Denn: Die Entscheidung - Abtreibung oder nicht? - muss jeder selbst treffen. Niemand kann werdenden Eltern diese Entscheidung abnehmen.

Gründe gibt es viele. Manche trauen sich nicht zu, ein Kind mit Downsyndrom aufzuziehen. Wieder andere haben Angst vor der finanziellen Belastung oder Diskriminierung. Wie gesagt: Wir als Gesellschaft können diese persönliche Entscheidung nicht übernehmen. Der Bundestag auch nicht. Und der Gemeinsame Bundesausschuss schon gar nicht. Er konnte mit der Entscheidung erst mal für ein Stück Gerechtigkeit und gleiche Bedingungen für alle sorgen. Und das hat er getan.

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NDR Info | Kommentar | 19.09.2019 | 17:08 Uhr

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