Schwangerschaft auf Probe?
Der Gemeinsame Bundesausschuss von Krankenkassen, Ärzten, Kliniken und Patientenvertretern hat am Freitag vorgeschlagen, dass die Krankenkassen die Kosten für einen vorgeburtlichen Bluttest auf das Down-Syndrom übernehmen - allerdings nur dann, wenn es besondere Risiken oder Auffälligkeiten in der Schwangerschaft gibt. Bislang müssen Mütter die Tests privat bezahlen, während die Fruchtwasser-Untersuchung, die dies auch untersucht, aber ein Risiko für Fehlgeburten birgt, von der Kasse übernommen wird.
Ein Kommentar von Peter Mücke, NDR Info
Wahrscheinlich ist es nur Zufall, dass der gemeinsame Bundesausschuss seine Empfehlung genau einen Tag nach dem Welt-Down-Syndrom-Tag veröffentlicht hat. Ein von den Vereinten Nationen anerkannter Gedenktag, der daran erinnern will, dass Trisomie 21 keine Krankheit ist, sondern eine genetisch bedingte, nicht veränderbare Veranlagung. Und dass Menschen, die diese Veranlagung haben, zur so oft zitierten Vielfalt einer Gesellschaft dazugehören. Noch jedenfalls. Denn die heutige Entscheidung stellt genau das in Frage.
Experten befürchten mehr Abtreibungen
Wenn in Zukunft die gesetzlichen Krankenkassen in Deutschland im Rahmen der Schwangerschaftsvorsorge einen Bluttest bezahlen sollen, der schon in den ersten Wochen mit hoher Treffsicherheit Auskunft darüber gibt, ob das Kind Trisomie 21 haben wird, braucht man nur wenig Phantasie, um vorherzusagen, dass noch weniger Menschen mit Down-Syndrom zur Welt kommen werden. Einige Experten befürchten, dass schon heute bis zu neun von zehn Kindern mit Trisomie 21 abgetrieben werden.
Druck auf werdende Eltern würde steigen
Die wenigen Eltern von Kindern mit Trisomie 21 werden sich in Zukunft noch mehr als heute schon mitleidigen bis vorwurfsvollen Blicken und Fragen ihrer Umgebung ausgesetzt sehen: "Habt Ihr das denn nicht vorher gewusst? Das kann man doch testen." Der Druck auf werdende Eltern wird noch mehr steigen, alle Risiken auszuschließen - mit der Gewissheit, die Schwangerschaft im Zweifel einfach beenden zu können. Eine Schwangerschaft auf Probe sozusagen.
Für Hersteller wäre es ein Milliardengeschäft
Der Bluttest, um den es geht, ist auch heute schon auf dem Markt. Laut Hersteller sind seit 2012 in Deutschland rund 75.000 Tests verkauft worden. Für die einfachste Variante müssen Eltern derzeit 129 Euro bezahlen - aus eigener Tasche. Wird der Gentest Kassenleistung wie die Ultraschall-Untersuchung, ist das nicht nur für den Hersteller ein Milliardengeschäft. Es besteht die Gefahr, dass sich Eltern nicht ausreichend die Konsequenzen dieser für sie kostenlosen Untersuchung klarmachen: Im schlimmsten Fall eine Entscheidung über Leben oder Tod des gemeinsamen Kindes.
Bluttest birgt weniger Risiken als Fruchtwasseruntersuchung
Der Bundesausschuss - das politisch unabhängige Gremium aus Ärzten, Kassen, Kliniken und Patienten - ist dabei in einem Dilemma. Denn er muss nach streng wissenschaftlichen Kriterien entscheiden. Und die sind relativ eindeutig: Der Bluttest ist zu 99 Prozent sicher und birgt deutlich weniger Risiken als die Fruchtwasseruntersuchung, die schon seit 1986 bei Risikoschwangerschaften Kassenleistung ist, aber Fehlgeburten auslösen kann. Nach der Logik des Gesundheitssystems kommt der Ausschuss gar nicht darum herum, dem Bluttest als bessere Alternative grünes Licht zu geben.
Menschen würden aussortiert
Schon früh hat der unparteiische Vorsitzende des Bundesausschusses, Josef Hecken, gewarnt, die Entscheidung berühre "fundamentale ethische Grundfragen unserer Werteordnung". Im April will sich der Bundestag in einer Orientierungsdebatte mit dem Thema beschäftigen. Es wäre schön, zu diesem Anlass noch einmal den Schauspieler Sebastian Urbanski einzuladen. Vor zwei Jahren hat der 40-jährige mit Down-Syndrom am Holocaust-Gedenktag im Bundestag an die Tötung von Behinderten im Dritten Reich erinnert. Heute sagt er, er bedaure es sehr, dass durch vorgeburtliche Tests "Menschen wie ich vor der Geburt aussortiert werden".
