Die Pränataldiagnostik aus Sicht eines Arztes
Noch in diesem Sommer soll entschieden werden, ob der Bluttest, mit dem Embryos auf Trisomie 21 getestet werden, Kassenleistung wird. In einer NDR Info Serie zum Downsyndrom geht es auch um die Frage, wie Mediziner mit den neuen Möglichkeiten der Pränataldiagnostik umgehen? Wie verändert sich die Beratung und Unterstützung für werdende Eltern?
Der abgedunkelte Raum auf der Geburtshilfestation des Asklepios Klinikums in Hamburg-Barmbek ist gewissermaßen ein kleines Zukunftslabor. Bis zu 150 Kinder pro Woche nimmt Chefarzt Holger Maul hier via Ultraschall in Augenschein - lange vor ihrer Geburt.
Die Möglichkeiten, die ihm die Pränataldiagnostik dabei bietet, sind zuletzt immer vielfältiger geworden. Die werdenden Eltern, so Maul, wollten aber weiterhin nur eines: "Die meisten Schwangeren, die zu mir kommen, legen sich schnell auf die Liege, machen sehr schnell den Bauch frei und wollen eigentlich nur, dass ich schnell schaue und schnell Antwort gebe, ob bei dem Kind alles stimmt. Fast alle Eltern nutzen die gesamte Pränataldiagnostik nur dazu, um zu hören: Es ist alles gut."
Was, wenn etwas nicht "nach Plan" verläuft?
Aber was ist, wenn nicht? Fast nie erlebt der Mediziner, dass es einen Plan gibt, wie man mit einem auffälligen Ergebnis umgehen will: "Das führt oftmals zum gesamten Zusammenbruch des Systems: des Beziehungssystems zum Partner, oftmals ist das Verhältnis zum Gynäkologen, der die Patientin geschickt hat, belastet. Alle, die schlechte Nachrichten gebracht haben oder die damit in Verbindung stehen, sind auf einmal Menschen, die einem nichts Gutes wollen. Das bestätigt mich immer wieder in der Sicht, dass die Aufklärung im Vorfeld gar nicht lange genug sein kann."
Diese Aufklärung könnte aus seiner Sicht aber deutlich zu kurz kommen, wenn sich immer mehr Schwangere einer Gendiagnostik unterziehen - etwa durch den nicht-invasiven Pränataltest (NIPT). Dabei genügt eine Blutprobe der Mutter, um zu untersuchen, ob das ungeborene Kind das Downsyndrom hat. Ein Segen, so Chefarzt Maul, wenn dadurch eine nötige Aminozentese - eine Fruchtwasseruntersuchung durch einen Stich in den Bauch - ersetzt werden kann.
Warnungen von Frauenärzten
Mit Verwunderung beobachtet der Mediziner aber, dass auch einige seiner Fachkollegen den "Bluttest als Kassenleistung, also quasi für alle" befürworten: "Man vergisst dabei, dass wir mit der Diagnostik, wie wir sie bisher hatten, nämlich der Aminozentese, auch sehr zurückhaltend waren und sie nur dann gemacht haben, wenn das Risiko für eine Erkrankung sehr hoch war. Im Moment sind wir in einer Situation, dass wir drohen, diesen Test flächendeckend für jede Schwangere einzuführen." Damit, so Maul, hätte man dann eine genetische Reihenuntersuchung für alle Kinder, die in Deutschland geboren werden.
Auch der Berufsverband der Frauenärzte warnt davor, den Fortschritt der Pränatalmedizin falsch einzusetzen. Das Verhältnis zwischen Aufwand und Erkenntnisgewinn sei fraglich.
Die Kunst, Dinge nicht zu tun
Schon jetzt muss der Geburtsmediziner Maul häufig die Erwartung werdender Eltern enttäuschen, der schnelle Bluttest könne eine Garantie für ein gesundes Kind liefern.
Unterstützung bei der Frage "Was will ich eigentlich wissen?" werde seiner Meinung nach immer wichtiger. Denn es sind bereits Tests verfügbar, die bis zu 50 angeborene Leiden identifizieren - schwerwiegende und weniger schwerwiegende. Welche Patientin wäre da nicht verunsichert? "Ich würde mir wünschen, dass wir grundsätzlich viel mehr beraten müssen. Gerade auch Beratung darüber, Dinge nicht zu tun. Das ist ja die viel größere Kunst, auch mal Dinge zu unterlassen."
Pränataldiagnostik ist der ethischen Debatte weit voraus
Die dringend nötige ethische Debatte in Politik und Gesellschaft hinke dem Fortschritt der Pränataldiagnostik meilenweit hinterher. In fünf bis zehn Jahren werde man im Praxisalltag eine Aussage über das komplette Genom des Kindes machen können, schätzt der Mediziner Maul.
Die eine große Frage werden die Tests aber auch weiterhin nicht beantworten: Was wollen wir - auch als Gesellschaft? "Natürlich ist es erst mal schön, gesunde Kinder zu haben. Das heißt aber ja nicht notwendigerweise, dass es deswegen schlecht ist, kranke Kinder zu haben. Und die Grenzen zwischen krank und gesund, sind ja - wie wir alle wissen - sehr, sehr fließend. Sie unterliegen zum Teil auch persönlichen Einstellungen: Was für den einen krank ist, ist für den anderen noch längst nicht krank, sondern völlig gesund. Und ich möchte da zumindest warnen."