Stand: 20.08.2019 22:37 Uhr

Chat-Protokoll: Komplementäre Krebstherapie

Onkologin Dr. Mirjam Wüsthof
Onkologin Dr. Mirjam Wüsthof hat Fragen im Visite Chat beantwortet.

Viele Menschen mit Krebserkrankungen hoffen auf Hilfe durch Naturheilkunde, setzten zum Beispiel auf Vitamin-Cocktails oder Pflanzenextrakte zur Stimulierung des Immunsystems. Für die Wirksamkeit der meisten dieser Mittel fehlen allgemeingültige wissenschaftliche Beweise und es besteht für Krebskranke die Gefahr, sich damit zu schaden. Doch es gibt durchaus bestimmte Indikationen, in denen einzelne Naturheilmittel positive Effekte haben.

Dabei kommt es nicht nur auf die Krebsart an, auch der individuelle Krankheitsverlauf und der Zeitpunkt spielen eine Rolle: Einige Vitamine dürfen beispielsweise nicht während der Chemotherapie eingenommen werden, da sie den Erfolg der Behandlung gefährden würden. Es gilt also, das individuell passende Rezept mit natürlichen, unterstützenden Maßnahmen zu finden. Dann können Naturheilverfahren die Krebsbehandlung sinnvoll ergänzen, Nebenwirkungen von Strahlen- und Chemotherapie lindern und langfristig sogar helfen, Rückfälle zu vermeiden.

Die Onkologin Dr. Mirjam Wüsthof hat im Visite Chat Fragen zum Thema komplementäre Krebstherapie beantwortet. Das Protokoll zum Nachlesen.

Micki: Ist Grüner Tee speziell bei CLL zu empfehlen?

Dr. Mirjam A. Wüsthof: Es gibt erste Hinweise, dass Grüner Tee bei CLL (Chronisch-lymphatische Leukämie) günstig ist. Dies gilt vor allem für die Situation, in der man noch keine Therapie macht. Aber man sollte dies mit dem behandelnden Arzt besprechen.

Sam: Was wäre eine unterstützende und mögliche Therapie bei einem Lungenkarzinom mit Metastasen?

Wüsthof: Diese Frage lässt sich so nicht beantworten. Man bräuchte mehr Informationen über die Erkrankung, Therapie und Beschwerden.

Heitar0574: Mein Vater hat nach den Bestrahlungen und Chemotherapien Kribbeln in Fingern und Beinen, sodass er manchmal nicht richtig laufen kann oder Sachen nicht festhalten kann. Gibt es alternative Möglichkeiten? Er hat Darmkrebs und einen künstlichen Darmausgang.

Wüsthof: Es hört sich so an, als hätte Ihr Vater polyneuropathische Beschwerden. Das heißt, dass die Chemotherapie vermutlich die Nerven geschädigt hat. Die Nerven erholen sich in vielen Fällen über einen langen Zeitraum langsam. Unterstützen kann man durch ergotherapeutische Maßnahmen. Zum Beispiel: Igel-Bälle oder Kneten in einer Schüssel mit Sand bzw. trockenen Hülsenfrüchten.

Mike-54: Helfen Männern mit Prostatakrebs bei Hitzewallungen durch Hormonentzug Nahrungsmittel mit Phytoöstrogenen, zum Beispiel Tofu oder Sojamilch?

Wüsthof: Dafür gibt es keine wissenschaftlichen Belege. Was aber helfen kann, ist eventuell ein Präparat mit Traubensilberkerze (Cimicifuga racemosa). Bitte besprechen Sie dies mit Ihrem behandelnden Arzt.

Kathrin: Was empfehlen Sie alternativ bei einem Ewingsarkom bzw. Fibrosarkom?

Wüsthof: Wir empfehlen gar keine alternativen Therapien. Denn unter "alternativ" wird eine Therapie anstelle der Standardtherapie verstanden. Ob man komplementäre Maßnahmen einsetzen kann, hängt von der Erkrankung, der Therapie und den konkreten Beschwerden ab.

Margit: Habe nach Bestrahlungen bei Brustkrebs Nervenschmerzen und Hautjucken. Gibt es Alternativen?

Wüsthof: Man kann bei oberflächlichen Nervenschmerzen eine Einreibung mit Aconit-Schmerz-Öl probieren. Dieses bekommen Sie in der Apotheke.

Kamo: Gibt es Möglichkeiten, extreme Hitzewallungen, die aufgrund einer hormonbedingten Brustkrebserkrankung nicht mit Hormonen behandelt werden können und durch die Einnahme von Antihormonen sogar noch verstärkt wurden, erfolgversprechend mit Naturheilverfahren erträglicher zu machen?

Wüsthof: Hier kann man unterschiedliche Maßnahmen ergreifen: Da spielen Dinge der Ernährung mit rein, Akupunktur, achtsamkeitsbasierte Methoden können helfen. Auch Salbeitee hilft einigen Patienten. Mit Ihrem Arzt können Sie besprechen, ob hier ein Präparat mit Traubensilberkerze denkbar wäre.

Marina: Seit meiner Brustkrebserkrankung im September 2012 (damals 52 Jahre alt, Amputation, Chemo, Bestrahlung, antihormonelle Therapie zurzeit noch mit Anastrazol) habe ich immer noch starke kognitive Einschränkungen. Was kann ich mit Komplementärmedizin erreichen? Habe Angst vor Präparaten mit Folsäure oder Soja. Ist diese Angst berechtigt?

Wüsthof: Wenn ein nachgewiesener Folsäure-Mangel vorliegt, dann ist die Angst unberechtigt. Soja sollte in dieser Situation in der Ernährung allenfalls in kleinen Mengen enthalten sein. Hinsichtlich der kognitiven Einschränkungen müsste man anschauen, ob man in Bezug auf Bewegung, Schlaf und Ernährung etwas verbessern kann.

Jakama: Ist es sinnvoll zu einem Aromatasehemmer (Letrozol) Indol-3-Carbinol einzunehmen?

Wüsthof: Nein, hierzu gibt es keine wissenschaftliche Basis.

Heinz: Prostatakrebs metastasiert. Bin derzeit in einer Hormontherapie (Zytiga). Als komplementäre Therapie treibe ich täglich Sport, trinke Granatapfelsaft, Tomatensaft mit Leinöl, nehme Curcuma und grünen japanischen Tee. Ist das alles ratsam?

Wüsthof: Das klingt alles vernünftig. Allerdings müsste man die Ernährung als Ganzes anschauen, ob sie ausgewogen und vitalstoffreich ist.

Vero: Sind Goji-Beeren während der Chemotherapie bei Brustkrebs zu empfehlen?

Wüsthof: Wenn Sie sich insgesamt vernünftig ernähren, können Sie gern Goji-Beeren in die Ernährung integrieren, aber auch Blau- und andere Beeren enthalten viele sekundäre Pflanzenstoffe.

Eva F.: Ein Freund von mir hat Amyloidose. Was könnte er für sein Wohlbefinden naturheilkundlich machen?

Wüsthof: Es gibt Hinweise darauf, dass grüner Tee in dieser Situation hilfreich ist. Drei Tassen grüner Tee am Tag.

Helena: Schmerzen bei Knochenmetastasen (Brustkrebs). Ich möchte ungerne Schmerzmittel nehmen. Suche eine Alternative dazu.

Wüsthof: Wenn die Schmerzen Sie so stark beeinträchtigen, dass dadurch Ihre normale Alltagstätigkeit stark eingeschränkt ist bzw. Ihre Lebensqualität stark leidet, dann werden Sie vermutlich um ein Schmerzmedikament nicht herumkommen.

Tinkamia: Was halten Sie von Methadon? So wie mir bekannt ist, sollen hier auch Studien gemacht werden?

Wüsthof: Methadon ist eine Substanz, die zurzeit in der Grundlagenforschung beforscht wird. Klinische Studien befinden sich allenfalls in der Anfangsphase. Daher ist hierzu noch keine Aussage möglich.

Hilde: Darf man während der Chemotherapie Säfte trinken, welche damit werben, dass Zink enthalten ist?

Wüsthof: Die Hauptgetränke während einer Chemotherapie sollten Wasser oder Kräutertees sein. Säfte enthalten sehr viel Zucker und sollten daher verdünnt werden. Diese Säfte sollten keine Nahrungsergänzungsmittel enthalten, die extra zugesetzt sind.

Nicole: Ich hatte 2012 ein Non-Hodgkin-Lymphom, wurde mit Chemotherapie (R-CHOP) behandelt. Kann ich irgendetwas gegen die ständige Müdigkeit tun, außer mich zum Sport zu treiben?

Wüsthof: Vorausgesetzt es liegt keine organische Ursache für die Müdigkeit vor (Anämie oder Schilddrüsenunterfunktion, etc.), kann man schauen, ob hinsichtlich der Ernährung, des Schlafs und/oder achtsamkeitsbasierter Methoden etwas optimiert werden kann. Das wichtigste Element ist aber die Bewegung.

hermann: Was kann man komplementär gegen absinkenden Hämoglobinwert bei Lungenkrebs mit Metastase in der Nebenniere tun?

Wüsthof: Wenn gleichzeitig auch ein Eisenmangel oder Vitamin-B12-Mangel vorliegt, dann kann man dieses Vitamin bzw. Spurenelement zusetzen oder über die Ernährung (zum Beispiel ein Stückchen rotes Fleisch zusätzlich pro Woche) ausgleichen.

Anja: Mein Onkologe meint, dass ich nur Selen einnehmen soll. Behandelt werde ich mit Letrozol und Palbociclib. Gibt es in meinem Fall etwas gegen die Müdigkeit?

Wüsthof: Gegen Müdigkeit helfen viele Dinge: Eine vitalstoffreiche, ausgewogene Ernährung, regelmäßige Bewegung (zum Beispiel 30 Minuten strammes Gehen am Tag), eine ausgewogene Bilanz von Ruhe und Aktivität. In manchen Fällen hilft auch Rosenwurz.

Zauberfee: Meine Frau, 60 Jahre alt, war an Brustkrebs (hormonabhängig) erkrankt. Nach OP, Bestrahlung, Tamoxifen nimmt sie jetzt Aromatasehemmer (Letrozol) ein. Sie leidet sehr an Schweißausbrüchen (teils halbstündlich) und Gelenkschmerzen. Was raten Sie meiner Frau?

Wüsthof: Hinsichtlich der Schweißausbrüche kann man Salbeitee (drei Tassen am Tag) ausprobieren. Auch Akupunktur und Yoga kann helfen. Sie können mit Ihrem Arzt besprechen, ob ein Präparat mit Traubensilberkerze infrage kommt. Die Gelenkschmerzen lassen sich manchmal durch Enzympräparate (Papaya- und Ananasenzym) positiv beeinflussen.

Anni R: Welche Ärzte führen komplementäre Krebstherapie durch? An wen wendet man sich, wenn der behandelnde Arzt nicht spezialisiert ist.

Wüsthof: Es gibt eine Informationsseite für Patienten im Internet, auf der viele Fragen zur komplementären Behandlung beantwortet werden: https://www.kokoninfo.de

Dieses Thema im Programm:

Visite | 20.08.2019 | 20:15 Uhr

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