Energiekrise trifft Niedersachsen - Gaspreise steigen rasant
Niedersachsens Bürgerinnen und Bürgern stehen harte Zeiten ins Haus. Die Energieversorger erhöhen nach und nach teils massiv die Preise für Gas und Strom. Hohe Energiekosten treiben die Inflation an.
Aktuell stellen sich Politik, Wirtschaft und Verbraucher zunehmend auf einen russischen Gaslieferstopp ein. In der kommenden Woche stellt der Betreiber die Pipeline Nord Stream 1 ab - zur Wartung und Instandsetzung. Es mehren sich Befürchtungen, dass die Leitung im Anschluss abgestellt bleibt. Zudem zweifeln Fachleute daran, dass Niedersachsens Gasspeicher bis November auf die gesetzlich beschlossene Füllmenge von 90 Prozent kommt. Am Freitag könnte der Bundesrat einer neuen Regelung zustimmen, mit der Energieversorger die hohen Einkaufspreise für Gas noch einfacher an Verbraucherinnen und Verbraucher weitergeben können.
Land erwägt Härtefall-Fonds für Bedürftige
Die niedersächsische Landesregierung hatte am Mittwoch aufgrund der drastischen Entwicklungen Akteure aus Wirtschaft, Verbänden und Gewerkschaften zu einem Krisengipfel eingeladen. Entgegen anders lautender Ankündigungen beschlossen die Teilnehmerinnen und Teilnehmer keine konkreten Maßnahmen. Allerdings erwägt das Land einen Härtefall-Fonds, um die Konsequenzen für Menschen mit geringen Einkommen abzufedern. Maßnahmen seien für Anfang August zu erwarten. Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) sagte, man müsse voraussichtlich ein bis zwei Jahre mit den schwierigen Bedingungen arbeiten. Weils Stellvertreter Bernd Althusmann (CDU) erwartet ein sogenanntes Szenario Null - kein Gas mehr in den Speichern - für Ende Februar/Anfang März.
Sozialverband VDK fordert Anhebung der Grundsicherung
Der Sozialverband VdK Niedersachsen/Bremen begrüßt die Pläne der Landesregierung für einen Härtefall-Fonds. Menschen mit geringem Einkommen seien besonders stark von Preissteigerungen betroffen und "bei den Gesprächen um Entlastungsleistungen bislang vergessen worden", sagte Landesvorstand Friedrich Stubbe am Donnerstag in Hannnover. Wichtig sei eine "zügige und dauerhafte Entlastung". Um Menschen mit geringem Einkommen langfristig zu helfen, schlägt Stubbe "die Anhebung der Grundsicherung auf 600 Euro sowie einen monatlichen Krisenzuschlag von mindestens 100 Euro" vor.
Lies will Bundesratsinitiative für Energieversorger-Schutzschild
Das Land plant zudem einen Schutzschild für Energieversorger. Niedersachsens Energieminister Olaf Lies (SPD) will den Vorschlag am Freitag in den Bundesrat einbringen, wie sein Ministerium in einer Mitteilung bekannt gab. Demnach sagte Lies: "Einen finanziellen Kollaps der Energieversorgungsunternehmen können wir uns in dieser Situation nicht leisten. Wir brauchen Sicherheit gerade für die kommunalen Versorger und damit für die Verbraucherinnen und Verbraucher." Der Schutzschirm soll unter anderem eine Frist-Verlängerung der Insolvenzantragspflicht und einen besseren Zugang zu Liquiditätshilfen und Zuschüssen beinhalten. Zudem bringt Lies "ein befristetes Moratorium für Strom- und Gassperren" ins Spiel, um "zusätzliche Härten in einer Phase ohnehin großer Belastungen für Verbraucherinnen und Verbraucher zu vermeiden". Zahlungsausfälle gegenüber Versorgern sollten durch den Schutzschirm aufgefangen werden.
Enercity will Gaspreis teilweise um 70 Prozent anheben
Derweil drehen die Energieversorger im Land schon kräftig an der Preisschraube. Am Mittwoch legte Enercity nach. Das Unternehmen aus Hannover teilte mit, dass sich die Einkaufspreise gegenüber dem Vorjahr versiebenfacht hätten. Eine Megawattstunde Gas koste inzwischen 150 statt 20 Euro. "Uns bleibt aufgrund extrem starker Preissteigerungen an den Beschaffungsmärkten keine andere Wahl", sagte Vorstandschefin Susanna Zapreva. In der Grundversorgung Gas will das Unternehmen ab Oktober die Kosten demnach um bis zu 70 Prozent anheben. Für einen Zwei-Personen-Haushalt mit einem durchschnittlichen Jahresverbrauch von 12.000 Kilowattstunden bedeute das rund 700 Euro Mehrkosten.
Enercity spielt Abschalt-Szenarien durch
Außerdem hat Enercity angekündigt, im Falle ausbleibender Lieferungen kurzzeitig stellenweise das Gas abzuschalten, genauer "bei einer Gasmangellage behördlich angeordnete Abschaltungen vornehmen zu können", wie das Unternehmen dem NDR in Niedersachsen mitteilte. "Privatkunden sowie Betreiber von kritischer Infrastruktur gelten dabei als besonders geschützt und werden in den meisten Szenarien nicht abgeschaltet. Für den Fall, dass überhaupt kein Gas mehr aus Russland nach Deutschland käme und Gas für Privatkunden nicht ausreichte, ist sichergestellt, dass Abschaltzeiten bei Kundinnen und Kunden möglichst kurz wären."
Auch in Braunschweig steigen die Preise
Auch der Braunschweiger Versorger BS Energy hat seine Gaspreise in diesem Jahr zwei Mal angehoben - Anfang Februar um mehr als 23 Prozent und Anfang April um 39 Prozent, wie das Unternehmen auf Anfrage mitteilte. In beiden Fällen seien gestiegene Beschaffungskosten an die Kunden weitergeben worden. "Für einen Kunden in der Grundversorgung mit einem durchschnittlichen Jahresverbrauch von 11.700 Kilowattstunden stiegen die Kosten somit insgesamt um 58 Euro im Monat", schreibt der Energieversorger, der eine weitere Preiserhöhung bei Strom und Gas in diesem Jahr für "wahrscheinlich" hält.
EWE-Kunden müssen bis zu 400 Euro mehr zahlen - pro Monat
Der Oldenburger Versorger EWE hat die Preise in diesem Jahr bereits dreimal erhöht. Im Oktober will der Konzern nachlegen. Das kommt Verbraucherinnen und Verbraucher teuer zu stehen. "Wir müssen davon ausgehen, dass ein Vier-Personen-Haushalt 300 bis 400 Euro Mehrkosten für Energie pro Monat im Vergleich zum Vorjahr hat", sagte EWE-Vorstandschef Stefan Dohler am Mittwoch dem NDR Niedersachsen. Bei den Stadtwerken Osnabrück wird Gas für rund 70.000 Verbrauchererinnen und Verbraucher schon im August teurer. Den Preis für Strom soll um etwa 50 Prozent steigen, bei Gas beträgt die Zunahme sogar knapp 120 Prozent. Das Unternehmen rechnet in der Grundversorgung mit rund 135 Euro Mehrkosten pro Haushalt und Monat.
