Arbeiter transportieren am 04.04.1967 die ersten Fässer mit radioaktivem Atommüll in das ehemalige Salzbergwerk "Asse II" in Remlingen nahe Wolfenbüttel in Niedersachsen.

Marodes Atommüll-Endlager Asse: Der lange Weg zur Räumung

Stand: 19.07.2022 05:00 Uhr

1967 wurden die ersten Atommüll-Fässer in der Asse versenkt. Seit Ende der 80er-Jahre ist klar, dass Wasser einläuft. Der Atommüll muss wieder raus, beschließt Niedersachsen vor zehn Jahren. 2033 soll es losgehen. Aber wohin damit?

Der 4. April 1967 markiert einen Wendepunkt in der Geschichte der Schachtanlage Asse II bei Remlingen im Landkreis Wolfenbüttel. Noch bis 1964 wurde hier Steinsalz gefördert. Aus wirtschaftlichen Gründen wurde der Abbau eingestellt. Dann wird die Asse zur Atommüllkippe: Im Bauch des Schachtes landen von nun an Uran, Plutonium und Arsen - insgesamt 125.787 Fässer und Gebinde mit schwach- und mittelradioaktiven Abfällen, dazu Chemiemüll. Für solch hochgiftige Stoffe würde man sich eine sichere Lagerstätte wünschen. Doch die Asse erweist sich in den folgenden Jahrzehnten als alles andere als das.

Ein Radlader kippt in der Schachtanlage Asse Fässer mit radioaktivem Müll in eine Kammer.
Anfangs wurden die Atommüll-Fässer einfach mit Schaufelbaggern in die Asse gekippt. Erst in den 1980er-Jahren wurden die Fässer liegend gestapelt.

1965 hat der Bund das Gelände um das ehemalige Salzbergwerk gekauft und es zu einem sogenannten Versuchsendlager für Atommüll ausbauen lassen. In 13 Kammern wird der radioaktive Müll zwischen 1967 und 1978 eingelagert - wobei dieser Ausdruck schon fast beschönigend klingt: Gabelstapler kippen die Tonnen mit ihrem gefährlichen Inhalt teilweise einfach direkt in den Schacht.

Bergmann im Bergwerk Asse bei Wolfenbüttel kontrolliert die Verfüllung © picture-alliance/dpa-Fotoreport Foto: Rainer Jensen
AUDIO: Atommüllager Asse - Eine Zwischenlösung? (14 Min)

Täglich rund 12.000 Liter Sickerwasser in der Asse

Ein Arbeiter begutachtet 1988 die eingelagerten Atommüll-Fässer im Asse II Schacht.  Foto: Holger Hollemann
1988 begutachtet ein Arbeiter die eingelagerten Fässer mit giftigem Atommüll. In der Schachtanlage Asse II werden sie teils 750 Meter unter der Erdoberfläche gelagert.

In den benachbarten Asse-Schächten I und III musste der Bergbau schon früher aufgegeben werden als in Schacht II - denn Grundwasser war in die unterirdischen Hohlräume eingetreten und hatte die weiteren Arbeiten dort unmöglich gemacht. Spätestens seit 1988 tritt auch in die Asse II Sickerwasser ein: Täglich laufen durchschnittlich rund 12.000 Liter in den Schacht, im Juni 2021 werden zwischenzeitlich sogar mehr als 15.000 Liter gemessen. Ob in Zukunft noch mehr Wasser eintreten wird, kann die Bundesgesellschaft für Endlagerung (BGE), die die Asse seit 2017 betreibt, nicht vorhersagen.

Zurzeit verhindern Pumpen ein Absaufen des Atommülllagers. Statt der derzeit 12,5 Kubikmeter am Tag wären sie technisch sogar in der Lage, bis zu 500 Kubikmeter Wasser aufzunehmen. Der überwiegende Teil der Flüssigkeit ist laut BGE radiologisch unbedenklich und wird von einem Chemieunternehmen abgenommen. Etwa 20 Liter am Tag gelten als kontaminiert. Sie bleiben versiegelt im Atommülllager zurück.

Instabile Kammern - eingebrochene Decken

Ein Bergmann kontrolliert 2003 die Arbeit eines Bohrkopfes in einem neu aufgefahrenen Versorgungsweg im Atommüll-Endlager Asse. © picture-alliance / dpa Foto: Rainer Jensen
Zwischen 1995 und 2004 werden die Hohlräume der Asse mit Rückstandsalzen verfüllt, um sie zu stabilisieren. Im Bild: Das Auffahren eines neuen Versorgungsweges 2003.

Als das Problem des einlaufenden Wassers Ende der 80er-Jahre bekannt wird, warnen Experten auch, dass einige Kammern bereits instabil und Zwischendecken eingebrochen seien - der Handlungsdruck liegt auf der Hand. Um weitere Einbrüche zu verhindern, werden offenstehende Hohlräume in der Südflanke des ehemaligen Bergwerks ab 1995 mit Haldensalz verfüllt. Doch das Ergebnis ist nicht zufriedenstellend, das ehemalige Bergwerk bleibt eine fragile Angelegenheit - ebenso wie das Risiko, dass die Behälter durch das Wasser beschädigt und radioaktive Stoffe freigesetzt werden.

AufpASSEn & Co.: Besorgte Bürger formieren sich im Protest

Ein gelbes A des Antiatomkraft Netzwerks "AufpASSEn e.V." steht vor dem Eingang der Schachtanlage Asse.  Foto: Ole Spata
Symbole des Protests: Seit Ende der 80er-Jahre kämpfen die Menschen in der Region für einen verantwortungsvollen Umgang mit dem Asse-Müll.

Die Bevölkerung in der Umgebung ist alarmiert und würde den Atommüll unter ihren Füßen am liebsten so schnell wie möglich wieder loswerden. Bürgerinitiativen wie zum Beispiel die Aktion Atommüllfreie Asse (AAA) aus Wolfenbüttel organisieren Protestaktionen, seit 2003 begleitet der Verein aufpASSEn e.V. die Arbeiten in der Asse kritisch und macht immer wieder auf die Probleme aufmerksam, die das Atommüll-Endlager den Menschen in der Region bereitet. Außerdem informiert der Verein über Weiterentwicklungen und fordert einen verantwortungsbewussten Umgang mit dem Atommülllager.

Marode Asse einer "der größten europäischen Problemfälle"

Im Jahr 2008 tritt das Bundesamt für Strahlenschutz (BfS) auf den Plan und wird auf Initiative des Bundes und des Landes Niedersachsen Betreiber der Asse. Das Ziel: die sichere Schließung der Grube und die Bergung der Fässer. Derweil ranken sich auch Gerüchte um das ehemalige Bergwerk: Uranabfälle sollen hier lagern, die bei der Vorbereitung einer deutschen Atombombe angefallen seien. Auch Geschichten über Kadaver von Affen im Schacht sin in Umlauf: An ihnen sollen radioaktive Versuche vorgenommen worden sein.

Im Jahr 2009 startet ein Untersuchungsausschuss des Niedersächsischen Landtags zur Lage in Remlingen. Einer der geladenen Zeugen ist der damalige Bundesumweltminister Sigmar Gabriel (SPD). Er bezeichnet die Asse als eines "der größten Problemfälle, die wir in Europa haben". Es sei skandalös, dass die Atomindustrie ein Bergwerk - so "löchrig wie ein Käse" - für eine "Billigentsorgung" genutzt habe.

Wie schlimm ist es wirklich? 2012 wird die Asse angebohrt

CDU-Bundesumweltminister Peter Altmaier besucht 2012 zusammen mit dem Präsidenten des Bundesamtes für Strahlenschutz Wolfram Koenig (re) die Schachtanlage Asse II.  Foto: Thomas Imo
Am 1. Juni 2012 besucht der Bundesumweltminister Peter Altmaier die Asse II, um eine Testbohrung zu starten. Dabei spricht er sich auch für eine vorgezogene Bergung des Atommülls aus.

Als CDU-Politiker Peter Altmaier 2012 den zurückgetretenen Norbert Röttgen als Bundesumweltminister ablöst, verspricht er, sich dem Problem-Endlager Asse II anzunehmen. Am 1. Juni, keine zwei Wochen nach seiner Ernennung, besucht er die Schachtanlage. Per Knopfdruck startet er die Anbohrung einer der Kammern, in denen radioaktiver Abfall lagert. Es ist eine Aktion zu Forschungszwecken, um den tatsächlichen Zustand des Atommülllagers und den Zustand der Fässer zu ermitteln. Der Umweltminister kündigt ein Sondergesetz für eine zügige Rückholung des Atommülls an.

Niedersachsen beschließt Asse-Räumung - "Lex Asse" folgt

Einstimmig beschließt der Niedersächsische Landtag am 19. Juli 2012, dass der eingelagerte Atommüll aus der maroden Schachtanlage Asse II entfernt werden muss. Im darauffolgenden Jahr wird die Rückholung auch im Atomgesetz verankert: Mit breiter politischer Mehrheit beschließt der Bundestag 2013 die "Lex Asse", das "Gesetz zur Beschleunigung der Rückholung radioaktiver Abfälle und der Stilllegung der Schachtanlage Asse II".

Weltweit erste Atommülllager-Räumung bis in die 260er-Jahre

2017 übernimmt die Bundesgesellschaft für Endlagerung (BGE) die Betreiberverantwortung für die Asse II vom BfS. Doch bis zur anvisierten Bergung des Atommülls ab 2033 sind noch einige Hürden zu nehmen. Im Osten soll das Bergwerk etwa durch eine neue Verbindungsstrecke erweitert werden, den sogenannten Schacht 5. Hier sollen zusätzliche Mitarbeiter und schwere Maschinen Platz finden, wenn es schließlich an die Räumung des Endlagers geht. Weltweit wurde noch nie ein Atommüll-Endlager geräumt - und die Arbeiten werden einem Bericht des Bundesumweltministeriums zufolge wohl bis in die 2060er-Jahre dauern.

Die Kosten für die eigentliche Bergung des Atommülls werden auf rund 4,5 Milliarden Euro geschätzt. Doch wenn der Müll rauskommt - wo soll er dann hin? Neben einem Zwischenlager, das erst noch entstehen muss, braucht es vor allem eine sichere dauerhafte Lagerstätte. Und auch die ist noch lange nicht in Sicht.

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Dieses Thema im Programm:

Hallo Niedersachsen | 19.07.2022 | 19:30 Uhr

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