Claudia Roth will Rückgabe von kolonialer Raubkunst vorantreiben
Die neue Kulturstaatsministerin Claudia Roth hat sich heute in einer Videokonferenz mit Experten über den Umgang mit den Benin-Bronzen ausgetauscht. Im Interview verrät sie, was dabei herausgekommen ist.
Frau Roth, sich mit der Rückgabe der Benin-Bronzen auseinanderzusetzen ist eine Ihrer ersten öffentlichen Amtshandlungen. Das Thema "Kunst aus kolonialen Kontexten" scheint Ihnen als neue Kulturstaatsministerin besonders wichtig zu sein - warum?
Claudia Roth: Ich glaube, das ist ein ganz entscheidender Punkt, wenn wir über Erinnerungskultur sprechen, über unsere Erinnerungspolitik und die Aufarbeitung der Kolonialgeschichte. Da gibt es einen Riesennachholbedarf, das ist ein richtig weißer Fleck. Man hat bei uns in Deutschland in der Breite so eine Tendenz zu sagen: Mit Kolonialismus sollen sich die Franzosen, die Briten, die Spanier, die Portugiesen, die Belgier auseinandersetzen - wir haben doch kein Problem. Ich glaube, dieses Wegschieben geht nicht. Wir müssen die Auseinandersetzung mit den kolonialen Verbrechen, die passiert sind, rausholen aus der Zitadelle der akademischen, hochgeschätzten Expertendebatte, wo sie stattfindet, und müssen sie reinholen ins allgemeine Bewusstsein. Wir brauchen eine breite Auseinandersetzung darüber, was Verantwortung heißt. Wie sieht unsere Erinnerungskultur aus in Auseinandersetzungen gegen diejenigen, die unsere Geschichte relativieren wollen und die Schlussstriche ziehen wollen, wo es keine Schlussstriche geben darf?
In Deutschland gibt es mittlerweile - zumindest bei einigen - ein Bewusstsein dafür, dass wir im Besitz von kolonialer Beutekunst sind. Mit der Rückgabe lässt man sich aber Zeit. Frankreich zum Beispiel geht damit viel entschiedener um. Wie möchten Sie den Prozess in Deutschland vorantreiben?
Roth: Es hat mich sehr gefreut, dass heute 40 Teilnehmer*innen bei dieser Konferenz dabei waren. In etwa 20 Museen in Deutschland gibt es Raubkunst, und da waren alle dabei. Federführend ist seit über zehn Jahren das Hamburger Museum am Rothenbaum - Kulturen und Künste der Welt mit Frau Plankensteiner, die auch dabei war und die gesagt hat, dass wir den Prozess vorantreiben müssen, indem wir Eigentumsrückübertragungen mit Nigeria ermöglichen und Rückgaben vereinbaren. Aber damit hört es nicht auf, sondern wir müssen darüber hinaus eine verstärkte Zusammenarbeit mit Nigeria pflegen, indem wir eine Kooperation zwischen deutschen und nigerianischen Museen vorantreiben, indem wir Kuratoren und Kuratorinnen und Museumsmanager*innen ausbilden und den Aufbau einer kulturellen Infrastruktur unterstützen. Wir haben sehr positive Signale: Hamburgs Kultursenator Carsten Brosda hat erklärt, Hamburg sei bereit zur Rückübertragung des Eigentums, auch Baden-Württemberg und das Kölner Museum. Ich glaube, es gibt eine große Bereitschaft, und das muss jetzt vorangetrieben werden, zusammen mit den Abkommen und den Verhandlungen, die mit Nigeria geführt werden.
Das heißt, wir stehen an einem guten Punkt, was dieses Vorantreiben angeht?
Roth: Ja, ich glaube, wir sind wirklich an einem guten Punkt. Die Entschlossenheit, ob wir es wirklich ernst meinen mit der Aufarbeitung unseres kolonialen Erbes, zeigt sich im Umgang mit den Benin-Bronzen. Dieses kulturpolitische Thema muss jetzt beispielhaft eine Priorität sein. Wir lassen die Museen natürlich nicht allein, denn es sind ja die Einrichtungen, die die wichtigsten Akteure sind. Deshalb biete ich an, die Digitalisierung zu unterstützen - das hat der Vertreter aus Freiburg auch noch einmal explizit als Forderung benannt. Wir wollen die Provenienzforschung vom kolonial belasteten Sammlungsgut unterstützen, damit man herauskriegen kann, aus welchem Zusammenhang dieses Sammlungsgut kommt. Diese Forschungsergebnisse wollen wir dann auf Plattformen zugänglich machen. Es soll also ein breites Thema sein, und viele Museen sind da schon seit geraumer Zeit dran. Aber mir geht es auch darum, dass wir die Dekolonialisierung auch als Thema in unserer allgemeinen politischen Debatte führen.
Die Frage ist nicht nur, wann und wie die geraubten Benin-Bronzen nach Nigeria zurückgegeben werden, sondern auch, ob nicht ein Teil als Dauerleihgabe hier bleibt. Was ist Ihre Haltung dazu?
Roth: Die geraubten Güter, das belastete Sammlungsgut sollte zurückgegeben werden, also was die Eigentumsübertragung angeht. Es gibt sehr offene Wunden und es geht darum, diese Wunden zu heilen. Es gibt ein Recht aller auf Zugang zu ihrem eigenen kulturellen Erbe und auf eine Weitergabe an zukünftige Generationen. Aber die Eigentumsrückübertragung heißt nicht notwendigerweise und automatisch, dass alles zurückgegeben wird. Denn ich höre von nigerianischer Seite, dass es durchaus auch ein Interesse gibt, dass die wunderbaren Kulturgüter auch präsentiert werden. Auch das wird mit den nigerianischen Partnern und Partnerinnen zu entscheiden sein, welche kulturellen Güter bei uns ausgestellt werden können. Aber die Eigentumsübertragung ist wichtig, um deutlich zu machen, dass es uns ernst ist.
Das Gespräch führte Andrea Schwyzer
