"Stars": Katja Kullmanns Roman über kosmische Wendungen
Ein Wink aus dem Kosmos verändert das dahinplätschernde Leben von Carla. Katja Kullmanns "Stars" ist ein unterhaltsamer, kluger und irgendwie ein bisschen galaktischer Roman, der überwiegend eine weibliche Leserschaft ansprechen dürfte.
2003 gewann Katja Kullmann mit ihrem Sachbuch "Generation Ally. Warum es heute so kompliziert ist, eine Frau zu sein" den Deutschen Bücherpreis (, einen Vorgänger des Deutschen Buchpreises und des Preises der Leipziger Buchmesse). Es war das Debüt der damals Anfang Dreißigjährigen. Es folgten weitere Sachbücher. Nun ist ihr Romandebüt erschienen - und das Leben der Frauen scheint nicht einfacher geworden zu sein - zumindest nicht das ihrer Heldin.
Von der Aushilfe zur Astrophilosophin
Der Wink des Schicksals kommt durch die Scheibe des Schlafzimmerfensters von Carla Mittmann geschossen:
Erst klirrte es, dann polterte es kurz. Ich öffnete die Augen und wandte den Kopf nach links, zum Fenster hin. Blasses Frühmorgenlicht sickerte durch den Vorhang. Auf dem Holzboden sah ich Scherben. Und einen Stein. Einen grauen Quader, ungefähr so groß wie ein Päckchen Butter.
Für Carla Mittmann ist klar: Es muss sich um eine Verwechselung handeln. Nur blöd, dass sie beim Blick aus dem Fenster eine klare Botschaft an sie entdeckt: "Freiheit für Mittmann" ist dort in großen Lettern mit Kreide auf den Bürgersteig zu lesen. Und dann steht da auch noch ein schmieriger Karton vor ihrer Tür. Darauf klebt ein welliger Ausdruck des Planeten Pluto, dem kosmischen Dirigenten von Macht und Ohnmacht, der noch zu so etwas wie Carlas Schicksalsplaneten werden wird. Der Inhalt der Schachtel: 10.000 Dollar in Zehner-Scheinen. Zeichen, die Carla irgendwann nicht mehr ignorieren kann:
Man kann so etwas als puren Zufall abtun, klar. Bloß passieren mir solche Sachen neuerdings ständig. Lauter vermeintlich belanglose Kleinigkeiten und Beiläufigkeiten - die man aber genauso gut als gezielt gestreute Schicksalsmetaphern interpretieren könnte.
Als Carla sich das eingesteht, ist sie längst Vollzeit in ihren einstigen Nebenerwerb eingestiegen. Nach einem akademischen Fiasko und während ihres Daseins als Daueraushilfe im Großkundenservice eines Möbelherstellers bot sie nach Feierabend als "Cosmic Charly" individuelle Horoskope im Internet an, bis eben der Wink aus dem Kosmos kam, der ihr ohnehin dahindümpelndes Leben verändert.
Kullmanns genauer Blick für die Kleinigkeiten
Es ist ein lakonischer, nüchterner Ton, in dem Katja Kullmann ihre Protagonistin erzählen lässt, mit einem genauen Blick für die Kleinigkeiten, aus denen die Leser*nnen - der Roman dürfte überwiegend eine weibliche Leserschaft ansprechen - ihr eigenes Bild erschaffen. So wie Carla ein klares Bild von den Menschen hat: Ob Laminatboden oder Bücherwand, reichliche Grünbepflanzung oder leidenschaftliche Kaffeetrinkerin, Carla ordnet sie in Kategorien - gepaart mit den entsprechenden Sternenkonstellationen.
Dabei behält Kullmann immer eine gewisse ironische Distanz zu ihrer Ich-Erzählerin. Und doch lässt sie sie ausführlich Sternenbilder und philosophische Betrachtungen ausführen sowie Postulate der großen Denker der Weltgeschichte einstreuen.
Eine Bestandsaufnahme unserer Gesellschaft
Auch Carla betrachtet ihre Arbeit als professionelle Astrophilosophin mit einer gewissen Skepsis - zunächst zumindest. Denn zum einen lassen sich die Sterne irgendwann auch für ihr Leben nicht mehr ignorieren, zum anderen lassen diese Sterne Carla selbst zum Star werden - mit Blog, Auftritten in Fernseh- und Radiosendungen - irgendwie auch gerechtfertigt, wie sie findet.
(…) manchmal kann jemand wie Charly ihnen tatsächlich helfen. Indem er den Leuten Geschichten anbietet, Geschichten über sie selbst, Interpretation ihrer Vergangenheit, Auslegungen ihrer Gegenwart, Entwürfe für ihre Zukunft. Erzählungen, in denen die Leute sich wiedererkennen und mit denen sie sich anfreunden können.
Und so lässt sich Kullmanns Roman auch als Bestandsaufnahme unserer Gesellschaft lesen, in der die Menschen sich nach Orientierung sehnen und sei es mit Hilfe der Sterne. Mit Carla und ihren Deutungen können sie ihre Probleme auslagern, ja die Verantwortung für ihre Leben abschieben, auf eine höhere Instanz, die Sterne.
"Stars": unterhaltsam, klug, lesenswert
In drei Teile strukturiert Kullmann ihren Roman. Wobei sie im letzten eine Schleife dreht, die die Geschichte nicht unbedingt gebraucht hätte. Und doch ist "Stars" sehr unterhaltsam, genau beobachtet, klug erzählt und daher unbedingt lesenswert.
Stars
- Seitenzahl:
- 256 Seiten
- Genre:
- Roman
- Verlag:
- Hanser
- Bestellnummer:
- 978-3-446-28246-9
- Preis:
- 24 €
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