Stand: 21.09.2014 09:42 Uhr

"Ich? Bespitzelt? Unvorstellbar"

von Karin Abenhausen

"Jetzt, wo Sie sich damit auseinandersetzen, ahnen Sie erst, was hätte passieren können." Mir klopft das Herz bis zum Hals, als Vera Iburg mir das sagt. Ich sitze neben der Sachgebietsleiterin der Stasi-Unterlagenbehörde in Berlin und blickte in meine Stasi-Akte. Ja, ich war wohl unbedarft und naiv, damals in den 80er-Jahren, als ich regelmäßig zur Buchmesse nach Leipzig fuhr, um Freunde zu treffen. Junge Menschen, Künstler, viele mit einem eher kritischen Blick auf die DDR. Mir schien das ganz normal. Schließlich gab es schon Gorbatschow, es gab Perestroika und Glasnost, die auf die DDR abzufärben begannen. Dachte ich. Doch jetzt, in diesem kleinen Raum in der Berliner Stasi-Unterlagenbehörde, über meine eigene Akte gebeugt, bekomme ich noch nachträglich Gänsehaut bei den Erläuterungen, die Iburg mir gibt.

Grenzer wussten mehr als meine Dokumente hergaben

Die Idee, mich auf die Suche nach meiner möglichen eigenen Stasi-Akte zu machen, kam mir während der Recherchen zu dem NDR Projekt "Die Stasi - Mitten in Niedersachsen". Ich erinnerte mich, bei meinen zahlreichen Leipzig-Besuchen schon in Helmstedt-Marienborn von den Grenzern immer wieder mit ein paar Sätzen angesprochen worden zu sein, die davon zeugten, dass sie mehr wussten als in meinen Einreisedokumenten stand.

Mut zusammennehmen und Antrag stellen

NDR Redakteurin Karin Abenhausen sitzt mit Vera Iburg vom BStU über einem Ordner mit Stasi-Unterlagen. © NDR Foto: Josy Wübben
Nervosität und Herzklopfen: NDR Redakteurin Abenhausen lässt sich von BStU-Mitarbeiterin Iburg ihre Stasi-Akte erklären.

Also: Einen Antrag bei der Stasi-Unterlagenehörde stellen. Erstes Herzklopfen, als die Nachricht kommt: "Ja, es gibt Material zu Ihrer Person." Dann nach Berlin, in die Karl-Liebknecht-Straße zum Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik, wie die Behörde offiziell heißt. Und nun hier bei Sachgebietsleiterin Iburg, die mir den Inhalt meiner Akte noch einmal erläutert, nachdem ich ihn im Lesesaal erstmalig gelesen habe.

Ich eine Spionin? Unvorstellbar

Es ist nicht viel, acht Seiten insgesamt. Kopien der Karteikarten, die für mich angelegt wurden. Immerhin unter anderem von der Berliner Hauptverwaltung Aufklärung, die für Gegenspionage und operative Aktionen in den NATO-Staaten zuständig war. Ich, eine junge Studentin damals, - und Spionage? Und das ausgerechnet für die DDR? Unvorstellbar. Gab es Mittel, mich unter Druck zu setzen und so anzuwerben? Und wieso interessierte sich überhaupt Berlin für mich?  Ich war doch in Leipzig.

Hintergrund
Archivierte Akten von Inoffiziellen Mitarbeitern (IM) des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) lagern in den Räumen der Stasi-Unterlagenbehörde in Berlin. © picture alliance / dpa Foto: Rainer Jensen

FAQ: Der Weg zur eigenen Stasi-Akte

Gibt es auch über mich eine Stasi-Akte? Die wichtigsten Informationen zum Antrag auf Akteneinsicht und das weitere Verfahren. mehr

Mit dem Künstler unter ständiger Beobachtung

Tatsächlich befinden sich in der Mappe auch Akten der Bezirksverwaltung Leipzig. Und die ausführliche Beschreibung eines Galeriebesuches von mir am 14. März 1987. Detailliert wurde ausgespäht, in wessen Begleitung ich kam, welche Kamera wir dabei hatten, welche Künstlermappen wir uns ansahen, wie viele Grafiken wir kauften. Vom Galeristen Gerd Harry Lybke, heute einer der renommiertesten Vermarkter für junge Maler aus Leipzig, damals noch ein relativ Unbekannter. Aber wohl nicht für die Stasi. Denn seine illegale Galerie, die er nur dank einer Gesetzeslücke öffnen konnte, weil er sie quasi als Atelier an Künstler vermietete, war unter ständiger Beobachtung. Ein etwas ungutes Gefühl hatte ich damals beim Galerie-Besuch. Aber ich hatte nicht ansatzweise geahnt, dass jeder Handgriff von uns beobachtet und dokumentiert wurde. Und dass es außerdem ein Gesuch der Stasi gab, Lybkes West-Kontakte genau festzuhalten.

Die Grafiken das Zünglein an der Waage?

Doch welche Rolle spielte ich als kleine Studentin in dem Spiel? "Nun, immerhin hatten Sie vor Ihrem Studium mal bei der Celleschen Zeitung volontiert und waren in Begleitung eines Fotografen", hält Iburg entgegen. "Hätten Sie Grafiken mit politischem Inhalt gekauft, sie mit in den Westen genommen und dort möglicherweise auch noch öffentlich gemacht, dann hätte man Ihnen Spionage vorwerfen können. Bei Ihrer nächsten Einreise hätte man Ihnen möglicherweise den Prozess gemacht." In diesen Worten steckt zwar viel "hätte" - doch es sitzt. Genau an diesem Punkt wäre ich offenbar erpressbar gewesen.

Die Fragen aller Fragen: Wer hat mich beschattet?

NDR Redakteurin Karin Abenhausen sitzt mit Vera Iburg vom BStU über einem Ordner mit Stasi-Unterlagen. © NDR Foto: Josy Wübben
War die Freundin der Stasi-Spitzel? "Wenn, werden Sie damit leben müssen", sagt Iburg vom BStU.

Auch wenn mir aus der Beschattung letztlich kein Schaden entstanden ist: Die Stasi-Unterlagenbehörde verlasse ich mit einem mulmigen Gefühl. Wer hat mich beschattet? War es meine Freundin, die mich damals begleitet hat? Gab es Wanzen und geheime Kameras, die mich, aus der Ferne gesteuert, beobachteten? Und was stand in den Akten, die es vielleicht noch von mir gegeben hat? Viele wurden zur Wendezeit entweder zerstört oder von der Stasi als sogenannte Rosenholz-Dateien unter mysteriösen Umständen über den KGB an die CIA weitergeleitet. Von dort gingen sie in Teilen wieder zurück nach Deutschland. Meine Karteikarte der Hauptverwaltung Berlin gehörte auch dazu. Die Ironie des Schicksals: Nicht erst seit Bekanntwerden der Aktivitäten des Auslandsgeheimdienstes NSA weiß der amerikanische Geheimdienst bestens auch über deutsche Privatpersonen Bescheid. Ich fühle mich ein bisschen wie jemand, in dessen Haus eingebrochen wurde: Nichts fehlt, aber vieles ist durchwühlt. Es nagt das Gefühl, dass da jemand in meinen privaten Sachen herumgeschnüffelt hat.

Riesieger Aufwand für vergleichsweise unbedeutende Person

Ja, ich war wohl naiv. Und mit meiner Naivität sicherlich nicht allein. So wie mir wird es auch anderen ergangen sein. Was mich kopfschüttelnd zurücklässt, ist der riesige Apparat, der selbst für eine vergleichsweise unbedeutende Person wie mich in Bewegung gesetzt wurde. Vielleicht werde ich noch einmal nachfragen, ob es meine Freundin war, die den Behörden Informationen zuspielte. "Wenn sie es war, werden Sie damit leben müssen", sagt Iburg. "Und wenn sie es nicht war, müssen Sie auch damit leben."

Dieses Thema im Programm:

Hallo Niedersachsen | 20.09.2014 | 19:30 Uhr