Stand: 20.05.2016 01:00 Uhr

Wie Hitlers Halbbruder in Hamburg untertauchte

von Kristina Festring-Hashem Zadeh

Anfang Oktober 1945 erhält das Polizeiamt Hamburg am Gänsemarkt einen Brief, der Aufsehen erregt haben dürfte. Der Verfasser heißt Alois Hitler junior und ist der Halbbruder von Adolf Hitler. Er hat einen etwas ungelenk formulierten, aber sehr dringenden Wunsch: "Mit diesem Schreiben bitte ich den Herrn Oberst und Kommandeur der Polizei Hamburg meinen Familiennamen Hitler in Hiller umändern zu wollen." Es erscheine ihm "unmöglich, meinen Familiennamen Hitler weiterzuführen, der Name erschwert mir, meinen Beruf weiter auszuüben und stellt eine Belastung im Umgang mit dritten Personen dar." Der zu diesem Zeitpunkt 63-jährige Halbbruder des Massenmörders beteuert, er habe der NSDAP "nicht angehört, ebenso keiner ihrer Gliederungen."

Namensänderung in drei Wochen genehmigt

Die Hamburger Behörden glauben dem Mann mit der Nickelbrille und dem streng gescheitelten Haar. Nur drei Wochen später erkennen sie den Antrag als "begründet" an und erfüllen den Wunsch, das "t" im Nachnamen durch ein "l" zu ersetzen. Für 50 Reichsmark wird Hitler zu Hiller, in sämtlichen Papieren - inklusive des Eintrags im österreichischen Taufregister. Als Alois Hiller lebt der Mann fortan mit seiner Gattin Hedwig, dem ebenfalls umbenannten Neffen und dessen Frau in einem Reihenhaus in Hamburg-Fuhlsbüttel. Als die örtliche Presse auf die Geschichte aufmerksam wird und die Polizei bittet, Kontakt zu Hitlers Halbbruder herzustellen, lehnt die Behörde ab. Der Mann sei "seelisch schwer erschüttert" und solle "von neuen Aufregungen verschont" werden.

"Aus heutiger Sicht scheint es absurd, wie wenig die Polizeibehörde damals realisiert hat, mit wem sie es da eigentlich zu tun hat - und dass sie dem Mann einfach glaubte, ohne seine Vorgeschichte zu prüfen", sagt NS-Forscher Hans-Peter de Lorent. Der 67-jährige Hamburger ist am Rand seiner Recherchen zum Hamburger Bildungswesen im Nationalsozialismus im Staatsarchiv auf Akten zu Alois Hitler junior gestoßen. "Vorher wusste ich gar nicht, dass Adolf Hitler einen Halbbruder in Hamburg hatte."

"Kleinkrimineller Halbbruder passte nicht zum Führer-Mythos"

Hans-Peter de Lorent © NDR.de Foto: Kristina Festring-Hashem Zadeh
Der Hamburger Hans-Peter de Lorent hat sich intensiv mit der Geschichte von Alois Hitler junior beschäftigt.

Im NS-Staat hatte sich der Diktator zum Führer des Deutschen Volkes stilisiert, begleitet von einem irren Personenkult. Um seine Familie machte der Mann stets ein Geheimnis - so auch um Halbbruder Alois, mit dem er sich nicht in der Öffentlichkeit zeigte. Vor seinem Selbstmord am Kriegsende ließ Adolf Hitler sämtliche Familiendokumente verbrennen.

Erst die Arbeit zahlreicher Forscher hat im Lauf der Jahre die Verwandtschaftsbeziehungen des Diktators offengelegt. "Der kleinkriminelle Halbbruder und dessen unbeständiges Leben hätten kaum zum Mythos des gottgleichen Führers gepasst, den Adolf Hitler um sich inszenierte", sagt de Lorent, der die Geschichte von Alois Hitler junior in Hamburg mittlerweile umfassend recherchiert hat.

Sohn aus zweiter Ehe des Vaters

Die Mutter des späteren Nazi-Führers Adolf Hitler, Klara, in einer zeitgenössischen Aufnahme. (Hintergrund des Bildes wurde verbreitert) © dpa - Bildarchiv Foto: UPI
Den leiblichen Sohn und späteren Nazi-Führer Adolf verwöhnte sie, Stiefkind Alois lehnte sie ab: Klara Hitler.

Für Alois Hitler junior ist die Hansestadt nur ein Aufenthaltsort unter vielen. Geboren wird er am 13. Januar 1882 in Wien als Sohn von Alois Hitler senior und dessen späterer zweiter Ehefrau Franziska Matzelsberger. 1883 kommt seine Schwester Angelika zur Welt, im Jahr darauf stirbt die Mutter. Vater Alois Hitler senior heiratet schon 1885 ein drittes Mal: Klara Pölzl, die spätere Mutter von Adolf Hitler, der 1889 geboren wird.

Alois junior lebt sieben Jahre an der Seite des Bruders, ihr Verhältnis gilt als angespannt. Adolf wird von seiner Mutter bevorzugt, Stiefsohn Alois abgelehnt. Der jähzornige Vater schlägt öfter mal zu. Mit 14 Jahren verlässt Alois das Elternhaus. Er hält sich mit Gelegenheitsjobs und Diebstählen über Wasser, eine Kellnerlehre bricht er ab, so die Quellenlage.

Dieses Thema im Programm:

Hamburg Journal | 27.01.2013 | 19:30 Uhr

Schlagwörter zu diesem Artikel

NS-Zeit

Hamburger Geschichte

Zweiter Weltkrieg

Adolf Hitler am 5. Mai 1937 auf dem Weg zur Taufkanzel in Begleitung von Robert Ley und Blohm junior. © picture-alliance / akg-images Foto: akg-images

"Hitler war häufiger in Hamburg als bekannt"

Geschichtsforscher Harald Sandner hat für jeden Lebenstag Adolf Hitlers herausgefunden, wo er sich aufgehalten hat. An 75 Tagen war Hitler in Hamburg - öfter als bislang angenommen. mehr

Rudolf Fehling und ein Referendar (mit Stock) beim Unterrichten einer Schulklasse © d

Wie Nazi-Lehrer nach dem Krieg Karriere machten

Unter Hitler zündet der Hamburger Turnlehrer Rudolf Fehling Synagogen an und verprügelt Juden. Nach 1945 arbeitet er wieder im Schuldienst - und schlägt dort Kinder. Er ist kein Einzelfall. mehr

Konstanty Gutschows Skizze der Elb-Hochbrücke, die er für Hamburg plante © Niels Gutschow

Hitlers Hafen: Die Nazi-Pläne für Hamburg

Eine gigantische Elb-Brücke, ein Wolkenkratzer in Altona: So plante der Hamburger Architekt Konstanty Gutschow einen neuen Hafen. Unzählige Klinker wurden benötigt - produziert im KZ Neuengamme. mehr

Mehr Geschichte

Zerstörtes Haus in Kampen auf Sylt nach dem Orkan "Anatol" am 4. Dezember 1999. ©  picture-alliance / dpa Foto: Wulf Pfeiffer

Vor 25 Jahren: Orkan "Anatol" verwüstet Teile Norddeutschlands

"Anatol" löste vom 3. auf den 4. Dezember 1999 eine schwere Sturmflut aus und erreichte Windstärke zwölf. Die Schäden gingen in die Millionen. mehr

Norddeutsche Geschichte