Stand: 20.05.2016 01:00 Uhr

Wie Hitlers Halbbruder in Hamburg untertauchte

Gefängnis und ein Kind in England

Nachdem er in Linz fünf Monate lang im Gefängnis gesessen hat, wandert er nach Dublin aus. Auch hier finanziert er sein Leben mit Betrügereien und flieht, als er erneut auffliegt, nach Liverpool. Dort heiratet er seine irische Geliebte und wird Vater eines Sohnes, William Patrick Hitler. Alois Hitler trinkt, verspielt Geld bei Pferderennen und verprügelt wohl regelmäßig Frau und Kind. 1915 verlässt er sie und versucht sein Glück in Hamburg, wo er Rasierklingen verkauft, Hühner züchtet und kellnert. Mit gefälschten Papieren heiratet er erneut und zeugt wieder einen Sohn, Heinrich.

Ein Bigamist macht Karriere im NS-Staat

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Parade der SA am 30. Januar 1934 vor dem Brandenburger Tor. © picture-alliance / akg-images
3 Min

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Als 1924 bekannt wird, dass er auch in England Frau und Sohn hat, wird Alois Hitler junior wegen Bigamie angeklagt. Doch seine erste Frau verfolgt die Klage nicht weiter, mit sechs Monaten Haft auf Bewährung kommt er glimpflich davon. Er verlässt die Hansestadt, geht nach Berlin und verdingt sich als Kellner und Gelegenheitsarbeiter. Als sein Halbbruder Adolf 1933 an die Macht kommt, erweitern sich auch für Alois die beruflichen Optionen. Im gleichen Jahr kauft er einen Weinausschank in Berlin-Charlottenburg, 1937 übernimmt er von einem jüdischen Vorbesitzer ein Lokal am Wittenbergplatz. Zum notwendigen Startkapital sollen ihm NSDAP-Größen verholfen haben. Er nennt die Gaststätte "Alois" und beginnt den ersten wirklich lukrativen Job seines Lebens: Gastronom im NS-Staat.

Nach Kriegsende wird Alois Hitler junior in Hamburg behaupten, er habe das Lokal aus eigener Kraft aufgebaut. Weder habe er Kontakt zu seinem Halbbruder Adolf gehabt, noch sei er sonst mit Nationalsozialisten involviert gewesen. Heute ist anderes bekannt.

Edelweiß und Hitler-Bilder zum Geburtstag des "Führers"

Alois Hitler junior vor seinem Berliner Lokal !Alois" © Hans-Peter de Lorent: "Täterbilder".
Hitlers Halbbruder vor dem "Alois". Das Berliner Lokal war ein Szenetreff für ranghohe Nazis.

"Das 'Alois' war ein Szenetreff für ranghohe Nazis", berichtet NS-Forscher de Lorent. Der als charmant geltende Besitzer, der nicht nur den Schnauzbart wie sein Bruder gestutzt trägt, sondern diesem auch sonst stark ähnlich sieht, bewirtet die SA- und SS-Leute in einem gesonderten Raum im ersten Stock. Zum Geburtstag des "Führers" dekoriert Alois Hitler junior das Schaufenster mit Edelweiß und Hitler-Bildern, an Weihnachten schenkt er seinen Angestellten ebenfalls Bilder des Diktators.

Das Lokal ist eine Goldgrube. Auch wenn die Verwandtschaft zu Halbbruder Adolf nicht öffentlich gemacht wird, "hat er doch davon extrem profitiert", erklärt Hans-Peter de Lorent. Wünsche des Gaststättenbesitzers wie eine Erhöhung des Tabakkontingents oder die Genehmigung eines Vordergartens werden - im Gegensatz zu Anträgen des Vorbesitzers - umgehend erfüllt. In einem Behördenschreiben beantragt Alois Hitler, zusätzliche Räume in dem Haus in Anspruch zu nehmen, die derzeit noch von Juden belegt seien. Es sei "damit zu rechnen, dass diese Juden in der nächsten Zeit ihre Wohnungen räumen müssen".

Im SS-Lastwagen von Berlin nach Hamburg

Nach dem Zusammenbruch des Dritten Reiches wird es in der Hauptstadt Berlin eng für Alois Hitler junior. Einige Wertsachen und Lebensmittel im Gepäck flieht er mit seiner Frau Hedwig in einem SS-Lastwagen nach Hamburg, wo ihn kaum jemand kennt. Als Alois Hiller füllt er 1947 den Entnazifizierungsbogen aus. Er verschweigt eine Mitgliedschaft in der NSDAP und wird zunächst in Kategorie V als "entlastet" eingestuft.

Rührselige Geschichten in der Hamburger Presse

Doch als sich Zeugen aus seiner Berliner Zeit beim Entnazifizierungsausschuss melden und davon berichten, wie es im "Alois" zugegangen ist, muss Hitlers Halbbruder reagieren. Er schaltet die Presse ein, die rührselige Artikel über ihn druckt, denen zufolge er "keine Beziehung" zu Adolf Hitler gehabt hat und nicht an seinen Bruder erinnert werden will. "Herr Hiller hat einen blütenweißen Fragebogen und konnte glaubhaft nachweisen, daß er sich für Politik nie so stark interessiert hat wie für guten Kaffee und ein anständiges Bier", schreibt die Zeitung "Wochenend" im Oktober 1949. Dabei hatte ihn der Entnazifizierungsausschuss zu diesem Zeitpunkt aufgrund der Zeugenberichte bereits wieder neu eingestuft - und zwar in Kategorie III als "Minderbelasteten".

Gaststätte am Dammtor

Bei den Verhandlungen sagt Hiller, er leide an Gedächtnisschwund und habe daher einige Punkte im Fragebogen unabsichtlich falsch ausgefüllt. Nach einigem Hin und Her der Rechtsanwälte entscheidet der Entnazifizierungsausschluss schließlich im April 1950, Hiller wieder in die Kategorie "Unbelasteter" zurückzustufen. Somit darf er wieder in der freien Wirtschaft tätig werden und eröffnet eine kleine Gaststätte in der Nähe des Dammtors, wie der Journalist Wolfgang Zdral in seinem Buch "Die Hitlers" schreibt. Hiller habe in Hamburg unauffällig gelebt. Nur für Touristen, die wussten, wer sich hinter diesem neuen Namen verbirgt, habe er bisweilen Bilder seines Bruders Adolf mit dem Schriftzug "Hitler" signiert.

Am 20. Mai 1956 stirbt Alois Hitler junior in Hamburg und wird auf dem Ohlsdorfer Friedhof beigesetzt. Das Grab ist heute eingeebnet.

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Hamburg Journal | 27.01.2013 | 19:30 Uhr

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