Reichsregierung in Ostholstein - kurz vor der Kapitulation
Ende April 1945 versammeln sich Nazi-Größen beim Rückzug aus Berlin in Plön, Eutin und Lübeck. Dönitz und Himmler ringen um Hitlers Nachfolge. Es kommt zu zwei brisanten Treffen. Teil 1 einer Chronik.
Rüstungsminister Albert Speer ist einer der ersten. Der Architekt mit einer Vorliebe für Monumentalbauten bezieht am 21. April 1945 einen Bauwagen am Eutiner See. In der folgenden Nacht setzt sich in Berlin eine Kolonne mit Ministern samt Begleitung Richtung Ostholstein in Bewegung. Die Alliierten haben fast ganz Deutschland eingenommen und stehen kurz vor der Hauptstadt. Nur im äußersten Norden gibt es noch einen größeren Bereich, der noch nicht eingenommen ist. Hitler erteilt dem Oberbefehlshaber der Marine Karl Dönitz den Befehl, dort zu verteidigen, was vom Reich noch übrig ist.
22. April - Dönitz in der Barackenanlage "Forelle" bei Plön
Über Nebenstraßen, aufgehalten durch Flüchtlingstrecks, Straßensperren und Bombenangriffen, erreicht Dönitz am 22. April die Barackenanlage "Forelle" am Suhrer See bei Plön im Bereich der späteren Fünf-Seen-Kaserne. Ein Vorkommando hat bereits veranlasst, dass die Regierung im Landratsamt in Eutin (Kreis Ostholstein) tagen kann. Am 24. April beginnt die erste Sitzung. Auch das Bahnhofshotel Eutin und das Forsthaus am Ukeleisee werden zu Quartieren für Nazi-Größen.
Die SS-Zentrale in Lübeck
Zeitgleich bewegen sich andere Schaltstellen der Macht nordwärts. SS-Chef Himmler, der Koordinator der Vernichtung in den Konzentrationslagern, belegt zusammen mit 150 bewaffneten SS-Leuten die Polizeikaserne in Lübeck. Hier trifft er sich eigenmächtig mit dem Präsidenten des schwedischen Roten Kreuzes Folke Bernadotte. Himmler hofft, über ihn Kontakt zu den Westalliierten herzustellen. Er will sie überzeugen, gemeinsam gegen Russland zu kämpfen. Himmer bietet im Gegenzug an, dass Rotkreuz-Busse skandinavische KZ-Häftlinge nach Norden bringen.
28. April - Himmlers Alleingang fliegt auf

Hitler weiß von alldem nichts. Im Berliner Führerbunker erfährt er erst am 28. April nach Meldungen der BBC davon und tobt. Er lässt aus Rache einen Verbindungsoffizier der SS erschießen. Himmler und Dönitz treffen sich derweil im Oberkommando der Wehrmacht (OKW), das sich vorübergehend im Gutshaus Neuroofen bei Rheinsberg, nördlich von Berlin, befindet. Himmler setzt sich auf den Stuhl, der sonst Hitler vorbehalten wäre. Offenbar rechnet er sich gute Chancen aus, der Nachfolger des Führers zu werden.
29. April - Bomben auf Schloss Friedrichsruh
In den früheren Morgenstunden heiratet Hitler seine Lebensgefährtin Eva Braun und diktiert sein Testament. An der Ostfront herrscht Chaos, Millionen sind auf der Flucht. So machen auch auch Schiffe mit KZ-Flüchtlingen auf den Weg. Himmler hat befohlen, dass kein einziger dem Feind in die Hände fallen soll. Eines dieser Schiffe mit rund 1.000 Häftlingen aus dem KZ Stutthof bei Danzig, die "Ruth", legt am 29. April ab und wird später Flensburg erreichen. Die Briten bombardieren an diesem Tag das Bismarckschloss Friedrichsruh im Sachsenwald (Herzogtum Lauenburg), weil sie Himmler dort vermuten.
30. April - Treffen zweier Männer, die Hitler nachfolgen könnten

Vormittags erfährt Dönitz in Plön über einen Funkspruch von Himmlers Verrat. Hitler befiehlt, "stahlhart" gegen diesen vorzugehen. Himmler kann allerdings auf eine Gefolgschaft von SS und Polizei zählen. Dönitz fährt nach Lübeck. Um 15 Uhr kommt es zur Aussprache. Himmler bestreitet die Vorwürfe. Im selben Moment gibt sich Hitler in Berlin die Kugel. Von dessen Tod wird Dönitz erst bei seiner Rückkehr am Abend in Plön in Kenntnis gesetzt. Zudem die Botschaft: Dönitz soll Hitlers Nachfolger als Reichspräsident werden. Er bestellt Himmler zu sich.
An diesem Abend landet auch eine Pilotin namens Beate Uhse in Leck. Drei Tage später wird sie in Kriegsgefangenschaft gehen. Dass sie nach dem Krieg einen erfolgreichen Erotikversandhandel aufzieht, ist zu der Zeit nicht absehbar. Auf den Flugplätzen im Norden sammeln sich inzwischen etliche Maschinen der Luftwaffe. Um 22.00 Uhr wehen Hammer und Sichel auf dem Brandenburger Tor in Berlin.
1. Mai - Dönitz hat die Waffe griffbereit versteckt
Um 1 Uhr morgens trifft Himmler an den Plöner Baracken ein, begleitet von bewaffneten SS-Leuten. Dönitz berichtet später, er habe für den Fall einer Eskalation eine Pistole unter Papier auf seinem Schreibtisch griffbereit gehabt. Himmler ist offenbar von der Wendung überrascht. Er schlägt Dönitz vor, er möge der zweite Mann im Staate werden. Doch Dönitz hat keine Verwendung für ihn. Anderthalb Stunden später reist Himmler ab. Er lässt sich später im Gutshaus Neversfelde (Kreis Plön) unterbringen.
Dönitz weiß offenbar noch nicht, wie Hitler umgekommen ist und spricht in einer Rundfunkansprache aus Plön vom "Heldentod". Er fordert die Deutschen auf, weiter gegen den Bolschewismus zu kämpfen, dessen Verbündete auch die "Anglo-Amerikaner" seien.
2. Mai - Abfahrt nach Flensburg
Hamburg wird kampflos aufgegeben. Engländer stoßen über Lauenburg nach Lübeck durch. Der letzte Rückzugsort für die NS-Größen wird die Marinekriegsschule in Flensburg-Mürwik. Himmler bricht schon früh auf und nimmt den Generalbevollmächtigten für Dänemark Werner Best mit, der in sein Haus nach Kollund an der Flensburger Förde weiterreist. Abends steht Himmler an einem Hof in Ellgaard bei Esgrus (Kreis Schleswig-Flensburg) vor der Tür. Ein SS-Vertrauter hat sich bereits in der Nachbarschaft einquartiert und ihm dieses Quartier "organisiert".
Der Aufbruch von Dönitz und Gefolge dauert länger. In der Lagebesprechung am Nachmittag fällt der Beschluss, Kapitulationsverhandlungen mit den Briten aufzunehmen. Dönitz überlegt, ob es ratsam sei, eine neue Regierung zusammenzustellen. Hitler hat Anweisungen gegeben, welche Minister zu ernennen seien. Doch nicht alle sind greifbar und auch nicht geeignet, findet der neue "Führer". An den Plöner Baracken fallen Bomben. Sie treffen auch die schwedischen Rotkreuzbusse, die Flüchtlinge nach Skandinavien bringen sollen.
An der Levensauer Hochbrücke über den Nord-Ostsee-Kanal (damals: Kaiser-Wilhelm-Kanal) trifft Dönitz den Marineoffizier Hans-Georg von Friedeburg und instruiert ihn über die bevorstehenden Kapitulationsverhandlungen. Von Friedeburg soll schon am kommenden Morgen aufbrechen. Dönitz kommt erst am frühen Morgen in Flensburg an.
