Porträt des Publizisten und Autors Stefan Aust  Foto: gbrci/Geisler-Fotopress

"Ich war skeptisch. Das war meine Grundhaltung"

Stand: 16.05.2018 08:33 Uhr

Für den Journalisten, Publizisten und "Welt"-Herausgeber Stefan Aust wurde das Jahr 1968 rückblickend zum "Lehrjahr", auch zum "Symboljahr".

Die Erinnerungen und die Assoziationen zu den 68ern gehen in alle möglichen Richtungen und polarisieren bis heute. Wir haben Künstler, Schriftsteller und Zeitgenossen aufgerufen, uns ihre Gedanken aufzuschreiben. Mit Arno Geiger, Jahrgang 1968, ging es los. Es folgten: Sibylle Lewitscharoff, Franziska Augstein, Nora Gomringer, Friedrich Schorlemmer, Elke Heidenreich, Frank Witzel, Antje Vollmer, Claus Peymann und Bettina Röhl.

von Stefan Aust

Manchmal komme ich mir so vor, als würde ich am Ufer sitzen und die Zeit ist an mir vorbeigezogen. So wie Forrest Gump in diesem großartigen amerikanischen Film, der durch eine raffinierte filmische Montage bei wichtigen Ereignissen der Geschichte immer vor Ort war.

So saß ich am Abend des 10. April 1968 mit Rudi Dutschke bei einem Italiener in Berlin. Einen Tag später wurde er vor dem SDS-Zentrum niedergeschossen. Ich war schon auf dem Flughafen Tempelhof, als ich ausgerufen wurde. Ich bin dann zurückgekehrt, Dutschkes Fahrrad lag noch in einer Blutlache auf der Straße. Danach zog ich gemeinsam mit Ulrike Meinhof zum Springer-Haus, wir reichten in der Menschenmenge die Steine nach vorn durch, und ich sah, wie ein später als V-Mann des Verfassungsschutzes entlarvter Mann Molotowcocktails verteilte.

Angespannte Situation in Berlin

Ich fand nicht in Ordnung, wie die Springer-Zeitungen damals die Bevölkerung gegen die Studenten aufgehetzt haben. Ich kann mich entsinnen, dass ich 1968 mit einem Freund im Taxi saß. Wir unterhielten uns über die Demonstrationen und plötzlich sagte der Fahrer: Sind Sie auch dabei? Und dann haben wir gesagt, ja. Da ist er rechts rangefahren, hat einen Totschläger unterm Sitz rausgezogen und auf uns losgehauen. Wir sind dann schnell, ohne zu bezahlen, ausgestiegen. Es war eine sehr angespannte Situation in Berlin damals.

"Ich war skeptisch. Das war meine Grundhaltung."

Trotzdem würde ich mich nicht als Achtundsechziger bezeichnen. Ich war bei vielen Demonstrationen, habe aber meistens ganz buchstäblich am Straßenrand - man kann auch sagen am Straßenrand der Geschichte - gestanden, weil ich als Journalist Abstand zu den politischen Aktivitäten der damaligen Zeit halten wollte. Ich war skeptisch. Das war meine Grundhaltung. Skeptisch gegenüber den Regierenden, aber auch skeptisch gegenüber deren Gegnern. Manche Positionen, wie etwa die Kritik am Vietnamkrieg, habe ich geteilt - ohne mich aber auf die Seite der nordvietnamesischen Kommunisten zu stellen. Ich konnte die Faszination, die manche in den sozialistischen Ländern gesehen haben, nicht nachvollziehen. Ich fand die DDR immer grauenvoll. Ich wusste damals nicht, dass die Zeitschrift "Konkret" vor meiner Zeit weitgehend von der DDR finanziert worden war. Bis der Herausgeber Klaus Rainer Röhl eine kritische Serie über den Arbeiter- und Bauernstaat schrieb. Da stellte die SED den Geldhahn ab.

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Ulrike Meinhof sagte: "Du bist einfach zu unpolitisch."

"Konkret" musste sich dann selbst finanzieren. Zu dieser Zeit kam ich dazu. Das ging zur Zeit der Studentenbewegung auch recht gut. Als der berühmte Schriftsteller Peter Weiß schrieb "Schafft zwei, drei, viele Vietnams", habe ich den "Konkret"-Herausgeber Röhl gefragt: "Wieso das? Ich denke, wir wollen den Vietnamkrieg beenden?" Ich war skeptisch, auch was die Weltrevolution anbetraf. "Mit Ihrer Haltung", so sagte Röhl einmal zu mir, "werden Sie nie den Standpunkt der Arbeiterklasse einnehmen". Da hatte er recht. Seine Ehefrau, die Kolumnistin Ulrike Meinhof, sah das noch kritischer. "Du bist einfach unpolitisch", meinte sie herablassend. Und als Adenauer starb, sagte sie zu mir: "Jetzt ist dein Vorbild tot." Das fand ich damals ziemlich gemein. Dennoch war ich entsetzt, als sie nur wenige Jahre später in den Untergrund ging und gemeinsam mit Baader und Ensslin die RAF gründete.

Symbol- und Lehrjahr 1968

So wurde für mich das Jahr 1968 zum Lehrjahr. Und es wurde zum Symboljahr. Die wichtigsten und auch die schrecklichsten Entwicklungen der Zeit stehen in Verbindung mit diesem Jahr, obwohl sie ihren Ausgang oft schon lange zuvor hatten: das Ende der Rassentrennung in den USA, Gleichberechtigung, die (zumindest scheinbare) Befreiung der Dritten Welt, aber auch Terrorismus und - was mir zunehmend auf die Nerven geht - das Sendungsbewusstsein der Nach-Achtundsechziger, das oftmals nichts anderes ist als scheinmoralischer Narzissmus. Der arrogante Blick derer, die sich für moralisch besser gestellt halten und dabei die Realitäten gern ausblenden.

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Dieses Thema im Programm:

NDR Kultur | Klassisch unterwegs | 23.05.2018 | 14:20 Uhr

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