Stand: 02.05.2018 08:13 Uhr

Claus Peymann: Das Märchen des 68er-Traums

von Claus Peymann

1968 - Ein Epochenjahr wird 50. Die Erinnerungen und die Assoziationen gehen in alle möglichen Richtungen: Protest, Revolte, Rebellion, Bewegung, Aufbruch. Und das Gegenteil: Kritik, Unbehagen, Beklemmung. Die Achtundsechziger - sie polarisieren bis heute. Wir haben Künstler, Schriftsteller, Zeitgenossen aufgerufen, uns ihre Gedanken aufzuschreiben. Heute setzen wir unsere Reihe fort mit einer markanten Stimme aus dem Theaterleben: Claus Peymann. Ab 1966 inszenierte er am Frankfurter Theater am Turm und feierte große Erfolge mit den Stücken Peter Handkes. Unvergessen die "Publikumsbeschimpfung" und "Kaspar".

Claus Peymann © dpa/Eventpress Hoensch
Der Theaterregisseur Claus Peymann begann seine Karriere am Frankfurter Theater am Turm und leitete zuletzt das Berliner Ensemble.

Von heute aus gesehen, kommt es mir manchmal vor, das 68, was ich meine, spielt in einem anderen Land. Von heute aus gesehen, kann man sich fast nicht vorstellen, was uns damals bewegte. Einerseits so ganz undeutsch, so ganz europäisch, französisch, "Dany le Rouge" in Paris im Théâtre Odéon, ich bin dorthin getrampt. Aber irgendwie erfasste uns auch ein neues Europa: Italien, die roten Brigaden, Frankreich vor allem, aber auch Amerika. Ein anderes Deutschland, ein Deutschland auf dem Wege wieder dumpf zu werden, das strikte Adenauer-Regime. Adenauer, der jetzt zu einem großen Staatsmann gemacht wurde, für uns damals ein Reaktionär, er holte die alten Nazis zurück, im Militär, in der Politik, im Kabinett, im Bundestag. Es gab scharfe Gesetze, die Notstandsgesetze, im fernen Asien tobte ein vollständig ungerechter Krieg, der Vietnamkrieg. Und das alles wollten wir nicht. Wir, die jungen Menschen, hatten Angst, dass das Alte wiederkehrt. Nie wieder Krieg, nie wieder Nazis - und plötzlich stand's wieder vor der Tür. Das hat uns mobilisiert und es packte uns eine große Internationalität. Ich sage manchmal, ich bin nicht 1937 geboren, wo ich biologisch zur Welt kam in Bremen, sondern eigentlich in den 60er-Jahren.

Ein Kind der 68er

Ich bin ein Kind der 68er, da bin ich geboren. Damals war ich am Theater am Turm in Frankfurt - das war damals die führende Avantgarde-Bühne in West-Deutschland, der Osten war ja zu. Dort inszenierten wir die "Publikumsbeschimpfung", das Stück von Peter Handke, was Furore machte. Aber auch andere Stücke von Handke: "Kaspar" und "Das Mündel will Vormund sein". Im Nachherein scheint es mir, dass diese Stücke eigentlich die Kunst zu der 66er-, 67er, 68er-Zeit waren. In der "Publikumsbeschimpfung": Alles, was bestand, ist falsch, alles muss geändert werden, das Publikum wird beschimpft. "Das Mündel will Vormund sein": ein stummes Spiel. Was wollten wir denn anderes? Wir wollten Vormund sein, wir wollten nicht mehr Mündel bleiben. Und im "Kaspar", ein ganz großartiges Stück von Peter Handke, wurde gezeigt, wie ein Mensch organisiert wird, wie er manipuliert wird, wie er zum Gemeinwesen erzogen wird und darüber eigentlich eingeht. Wie der alte Kaspar Hauser - dieser Mythos wurde von Handke ja benutzt. Im Nachherein ist das tatsächlich das Theater zu diesen Jahren.

Morgens Demo, abends Uraufführung

Man muss sich das vorstellen: Morgens sind wir nach Bonn gefahren und haben uns da mit der Polizei geprügelt, die große Demonstration gegen die Notstandsgesetze, hunderttausende. Dann sind wir wieder zurück nach Frankfurt und haben die Uraufführung von "Kaspar" gezeigt. Auf der Straße waren die Demonstranten, sie blockierten die Eingänge zum Theater am Turm, dem TAT, und wollten nicht, dass so eine elitäre Scheiße an so einem großen Tag passierte, nicht ahnend, dass dieses Stück ja von uns selbst, von ihnen selbst, von den Demonstranten handelte. Das war diese schöne, faszinierende Doppelgleisigkeit. Traumwandlerisch haben wir uns nass spritzen lassen von den Wasserwerfern, traumwandlerisch haben wir die berittene Polizei vor uns hergetrieben.

Mammut in der Traumfabrik

Wir haben uns dann verändert: Der eine ist Außenminister geworden, vorher hat er Steine geworfen; der andere ist Innenminister geworden, ein Hardliner; viele sind ins Establishment abgewandert. Und ich hatte im Theater, immer die Chance, in dieser herrlichen Traumfabrik, immer dieses Märchen, diese Hoffnung weiter im Gepäck. Mein Theater war bestimmt von dieser Erwartung und von dieser Sicherheit: Man kann ändern, wenn man kann; man muss ändern, weil man muss. Diese Grundhaltung hat heute natürlich etwas völlig Anachronistisches. Ich komme mir manchmal vor wie ein Mammut, in dem ich in meinem Theater das Märchen des 68er-Traums weiterträume, von der Verbesserung der Welt durch die Kunst weiterträume. Das macht manchmal für den einen oder anderen, unter anderem für mich, so eine persönliche Lächerlichkeit aus. Aber gut, lieber lächerlich sein als cool - dann bin ich eben ein bisschen lächerlich.

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Zwei Frauen auf dem Monterey Pop Festival am 17. Juni 1967 © picture alliance / AP Photo

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Dieses Thema im Programm:

NDR Kultur | Klassisch unterwegs | 02.05.2018 | 14:20 Uhr

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