Das NDR Funkhauses Schwerin in der Schlossgartenallee. © NDR Foto: Axel Herzig

Norddeutsch oder nordostdeutsch? Der NDR in Mecklenburg-Vorpommern

Stand: 13.09.2022 13:32 Uhr

Was ist Mecklenburg-Vorpommern? Norddeutsch oder nordostdeutsch? Vor 30 Jahren war das gar keine so unwichtige Frage. Denn nach dem Ende der DDR und dem Ende des Rundfunks der DDR stellte sich die Frage: wohin will Mecklenburg-Vorpommern?

von Louisa Maria Carius

Frühjahr 1990 – der Nordreport geht auf Sendung, ein Regionalprogramm im neu gegründeten Bundesland Mecklenburg-Vorpommern unter der Flagge des DFF, des Deutschen Fernsehfunks. Die Mauer ist da längst gefallen, die DDR geht unter, der politische Einfluss auf das Hörfunk- und Fernsehprogramm schwindet. Plötzlich können Themen aufgegriffen werden, die vorher, zu DDR-Zeiten, totgeschwiegen wurden.

Psychische Erkrankungen werden zum Beispiel erstmals in der "Visite“ thematisiert. Die Journalistinnen und Journalisten, die Kameraleute verlassen die Studio- und Unterhaltungssendungen der DDR – und gehen rein ins Land zu den Menschen. Im Juli 1990 gehen auch die beiden Wellen von Radio Mecklenburg-Vorpommern unter diesem neuen Namen auf Sendung.

Erste Kooperationen

Bereits im Februar 1990 beschließt die Leitung des NDR, das Sendegebiet um Mecklenburg-Vorpommern zu erweitern, sollte es zur Wiedervereinigung kommen. Gleichzeitig gibt es erste Kooperationen zwischen dem Fernsehen der DDR und dem NDR.

Weitere Informationen
Die prall gefüllte Plaza beim NDR Funkhausfest in Schwerin. © NDR Foto: Georg Hundt

Wir feiern mit Ihnen: 30 Jahre NDR in Mecklenburg-Vorpommern

Die Themen, die das ganze Land bewegt haben, außerdem Infos zu Aktionen und Gewinnspielen vom NDR MV. mehr

Zum Beispiel bei der ersten freien Volkskammerwahl der DDR im März 90. Oder in der Nacht vom 2. zum 3. Oktober 1990. Kollegen von RMV und von NDR1 Welle Nord senden aus dem ehemaligen Grenzort Schlutup, liefern Doppelmoderationen und stoßen um 0 Uhr gemeinsam mit Rotkäppchen-Sekt an. Nun gibt es nur noch ein gemeinsames Deutschland.

Harmonie nur im Radio

Was auf dem Sender so harmonisch klingt, sorgt politisch für Misstöne. Laut Einigungsvertrag muss der DDR-Rundfunk samt Technik, Liegenschaften und Mitarbeitenden bis spätestens 31. Dezember 1991 aufgelöst sein. Also muss ein Partner her. Der NDR will dieser Partner gerne sein, die im Bund und im Land regierende CDU hat andere Pläne. Sie will, dass Mecklenburg-Vorpommern gemeinsam mit Brandenburg und Berlin einen neuen Sender gründet: die nordostdeutsche Rundfunkanstalt, NORA. Dort habe das kleine Mecklenburg-Vorpommern mehr Einfluss als im großen NDR, so das Argument. Bestimmte Themen, wie zum Beispiel die Berichterstattung über die Landwirtschaft, ließen sich kostengünstiger gestalten, sagt Günther Krause, damals CDU-Vorsitzender in Mecklenburg-Vorpommern.

Koalitionspartner FDP plädiert hingegen für den NDR, will die alten Staatsgrenzen überwinden. Am Ende platzt fast die Koalition, weil die CDU gegen den Willen des Koalitionspartners die NORA-Gründung vorantreibt. Im Sommer 1991 muss die Landes-CDU nachgeben. Der damalige Ministerpräsident Gomolka sagt im Landtag: "Es hat sich abgezeichnet, dass eine Mehrheit für einen NORA-Staatsvertrag in diesem hohen Hause nicht zu erreichen ist.“ Der Weg für den NDR als Vier-Länder-Anstalt ist frei. Am 28. November 1991 beschließt der Landtag, der NDR wird nach Mecklenburg-Vorpommern kommen.

Eine neue Ära

Am Silvesterabend 1991 um Mitternacht stellt das DDR-Fernsehen seinen Sendebetrieb ein. Der NDR übernimmt die Regie. Und auch 80 Prozent der Mitarbeitenden. Sie werden nun von der Gauck-Behörde überprüft. Das sei richtig und wichtig gewesen. "Wir haben Klarheit geschaffen. Von Vornherein,“ sagt Gerd Schneider, Gründungsdirektor des Landesfunkhauses Mecklenburg-Vorpommern. Und es entspreche dem Grundverständnis des NDR, "dass wir keine Mitarbeiter beschäftigen, die in irgendeiner Weise staatsnah waren.“

Weitere Informationen
Das Landesfunkhaus  des NDR in Schwerin © NDR/ Foto: Christian Spielmann

Vier Länder, ein Sender: Wie Mecklenburg-Vorpommern zum NDR kam

Vor 30 Jahren kamen der NDR und Mecklenburg-Vorpommern nach langen Verhandlungen zusammen. Eine bewegte Zeit für den Rundfunk. mehr

Trotzdem gelingt der Übergang. Ost- und Westkollegen wachsen schnell zusammen. Dafür gebe es einen einfachen Grund, erzählt Jürgen Hingst; er kam von der Welle Nord und baute die Aktuell-Redaktion in Schwerin mit auf. Das entscheidende sei gewesen, dass die Kollegen aus Ost und West das gleiche Gehalt bekommen. "Und das war überhaupt nicht gang und gäbe, wenn man sich mal die Landesverwaltung anschaut, wie dort eben auf den Schreibtischen unterschiedliche Gehaltszettel für West und Ost lagen.“ Diese gleichen Gehälter – das habe sehr zum Betriebsfrieden beigetragen.

Qualitätsjournalismus von Anfang an

Ob Staatsbesuch von George W. Bush in Stralsund oder G8-Gipfel in Heiligendamm, ob die Einweihung der neuen Rügenbrücke oder der Autobahn 20, ob Werftenkrise oder Corona-Pandemie – die Journalistinnen und Journalisten des NDR sind von Beginn an im Land unterwegs und berichten. Zunächst für das Fernsehen und den Hörfunk, später auch für Online-Formate. Aber immer staatsfern, unabhängig, neutral, finanziert durch Beiträge nicht durch Steuern.

Und das sei wichtig, erklärt Elizabeth Prommer, Professorin für Kommunikations- und Medienwissenschaft an der Uni Rostock. Der Witz am öffentlich-rechtlichen Rundfunk sei ja, dass es eben kein Staatsrundfunk ist, so wie in Nazi-Deutschland oder der DDR, "sondern dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk von den gesellschaftlich relevanten Gruppen getragen wird, letztendlich also von uns allen, von den Bürgern.“ Der öffentlich-rechtliche Rundfunk habe eine entscheidende Funktion in der Demokratie, so Prommer, weil er Meinungsvielfalt und regional relevante Themen abbilde.

Joachim Böskens, Direktor des Landesfunkhauses Mecklenburg-Vorpommern betont, dass der NDR objektiv sei und sich nie mit einer Sache gemein mache: "Das ist der Kern des öffentlich-rechtlichen Rundfunks – dass wir frei sind in unserer Berichterstattung und nicht irgendwelche Weisungen von oben bekommen.“

Veränderungen für die Zukunft

Der NDR dürfe kein Dinosaurier werden und gemeinsam mit den Menschen, die noch linear fernsehen oder Radio hören, aussterben, warnt Medienexpertin Prommer. Tatsächlich verändert sich der NDR Mecklenburg-Vorpommern gerade stark. Er wird zum multimedialen Haus mit einer gemeinsamen Hörfunk-, Fernseh- und Onlineplanung, mit multimedialen Konferenzen und dem neuen Kernstück der Berichterstattung, dem multimedialen Newsroom, also dem Redaktionsraum, wo künftig Kolleginnen und Kollegen aus allen Bereichen inklusive der Technik und Produktion zusammensitzen und -arbeiten werden.

Mit dem Online-Nachrichtenformat NDR MV Live hat das Haus schon ein Format entwickelt, das sich an ein junges Publikum richtet. Veränderung, um sich auf die nachwachsende Generation, auf das sich verändernde Medienverhalten zu reagieren. Ob Online, im Fernsehen oder im Hörfunk: die NDR-Programme aus Mecklenburg-Vorpommern gehören heute zu den beliebtesten Regionalprogrammen der ARD.

 

Weitere Informationen
NDR Landesfunkhaus Schwerin © NDR

Wie Mecklenburg-Vorpommern zum NDR kam

3. Oktober 1990: Deutschland feiert die Wiedervereinigung. Gleichzeitig wird hinter den Kulissen eifrig um die Erweiterung des NDR Sendegebiets gerungen. mehr

Logo der Sendung Nordmagazin © NDR

Nordmagazin - unser Land in 30 Minuten

Jeden Abend ab 19.30 Uhr bringt das Nordmagazin 30 Minuten regionale Information und Unterhaltung aus dem Land - für das Land. mehr

Ein Kind steht, umgeben von schwarzköpfigen Schafen auf der Mela. © dpa-Bildfunk Foto: Bernd Wüstneck/dpa

NDR 1 Radio MV

Regionale Nachrichten, Service, Unterhaltung und Musik im Lieblingsmix - das ist NDR 1 Radio MV. mehr

Logo von NDR MV Live © NDR

NDR MV Live: Fakten und Hintergründe im Stream

Kompetent, direkt, authentisch: Die NDR Reporter im Livestream, genau dann, wenn es passiert - bei NDR MV Live. mehr

Dieses Thema im Programm:

NDR 1 Radio MV | Der Tag | 13.09.2022 | 16:00 Uhr

Mehr Geschichte

Das Passagierschiff "Cap Arcona" © Carl Müller & Sohn, Hamburg-Altona / Stadtarchiv Neustadt

#everynamecounts: Infos zu "Cap Arcona"-Überlebenden digitalisieren

Freiwillige sind aufgerufen, Infos einer historischen Kartei zu digitalisieren. Beim Untergang der "Cap Arcona" und der "Thielbek" starben 1945 rund 7.000 Menschen. mehr

Norddeutsche Geschichte